# taz.de -- Fake News in Serbien: Gezielte Ablenkung | |
> Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem in Serbien. Doch die | |
> Berichterstattung darüber ist oft tendenziös und teilweise sogar falsch. | |
Bild: Gewalt gegen Frauen ist auch ein Systemproblem. Doch staatsnahe Medien se… | |
Am 12. Juli sollte Marko Nikolić in einem Belgrader Sozialamt seiner Exfrau | |
Maja Djordjević ihren vierjährigen Sohn übergeben, den er einmal in der | |
Woche sehen durfte. Als er jedoch aus seinem BMW stieg, warf er das tote | |
Kind auf den Asphalt. Als die verzweifelte Mutter zum toten Kind rannte, | |
tötete er auch sie mit einem Messer und verletzte drei Sozialarbeiter. Wie | |
man später erfuhr, hatte Marko Nikolić zuvor monatelang Sozialarbeiter und | |
seine Exfrau terrorisiert. | |
Dies geschah nur eine Woche nachdem ebenfalls in einem Sozialamt in Belgrad | |
ein Mann seine Frau mit einem Stein auf den Kopf schlug und sie ermordete. | |
Die tragischen Vorfälle lösten in Serbien eine heftige Debatte über | |
häusliche Gewalt aus, der Frauen oft schutzlos ausgesetzt sind. Die wenigen | |
kritischen Medien in Serbien berichteten über „das Versagen des Staates“. | |
Das Wochenmagazin Vreme titelte: „Blut auf den Händen des Systems“. | |
Die Versäumnisse in diesen Fällen könne man gar nicht aufzählen, stand in | |
der Zeitung, sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft, die | |
Gerichte und das Sozialamt seien für den Tod des Kindes und der zwei Frauen | |
verantwortlich. Denn wegen der Sparmaßnahmen der Regierung seien die | |
Sozialämter völlig überfordert. | |
## Politisch motiviert | |
Doch wie immer, wenn das Regime in die Kritik gerät, egal ob es sich um | |
undurchsichtige Privatisierungen, Arbeiterstreiks, politisch kontrollierte | |
Justiz, Medienfreiheiten oder eben das Versagen von Sozialämtern handelt, | |
sorgten auch diesmal die größtenteils gleichgeschalteten serbischen Medien | |
dafür, um die Öffentlichkeit von den eigentlichen Problemen und | |
Verantwortlichen abzulenken. | |
Anstatt über das offensichtliche Versagen des Systems zu berichten, wurde | |
der Akzent auf die privaten Tragödien gesetzt und das in der serbischen | |
Gesellschaft weit verbreitete Problem der Gewalt gegenüber Frauen | |
relativiert. So konnte man etwa immer wieder hören, dass die beiden | |
getöteten Frauen „ihre Partner doch selbst ausgesucht hätten“. | |
Einer der bizarren Höhepunkte in der Debatte nach den tragischen Vorfällen | |
war eine Kolumne in der ältesten serbischen Tageszeitung Politika. Unter | |
dem Titel „Gegen Gewalt, nicht gegen Männer oder Frauen“ schrieb ein | |
gewisser Dr. Petar Veličković, angeblicher forensischer Psychiater und | |
Gerichtsexperte aus Montreal, dass aggressive Feministinnen die Morde in | |
den Sozialämtern missbrauchen würden, um ihre Weltanschauung aufzudrängen. | |
Er schwafelte darüber, wie auch Frauen, und nicht nur Männer, gewalttätig | |
sein könnten, dass etwa die meisten Kindstötungen eigentlich Frauen | |
verüben würden. „Dr. Veličković“ schickte auch ein Foto zum Text. | |
Doch bald flog auf, dass es ein Foto des in Serbien unbekannten deutschen | |
Schauspielers Andreas Kaufmann ist, der sich in der ARD-Seifenoper | |
„Marienhof“einen Namen machte. Darauf angesprochen, reagierte Kaufmann | |
entsetzt und kündigte an, Politika zu verklagen. Die Chefredaktion der | |
Traditionszeitung versuchte sich herauszureden, sprach vom | |
„Hackerangriff“, später davon, dass man sie „betrogen“ habe, machte si… | |
jedoch nur lächerlich. | |
## Verschollene Wahrheit | |
Die stellvertretende Chefredakteurin von Vreme, Jovana Gligorijević, | |
wundert es gar nicht, dass so etwas passiert ist. „Die Fake News in Serbien | |
benutzt man zweifach: um Regimekritiker schlechtzureden und ethisch | |
fragwürdige Ideologien zu verbreiten“, erklärt Gligorijević. | |
Fake News würden gleichgeschaltete serbische Medien systematisch im | |
Interesse der herrschenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) und von | |
Präsident Aleksandar Vučić verbreiten. So sei sogar im November 2015 ein | |
völlig erfundener Staatsstreich im TV Pink einen ganzen Tag lang live | |
übertragen worden. „Können sie sich das vorstellen?“, fragt Gligorijević. | |
Ob es sich um „auf den Kopf gedrehte Statistik“, oder „Rufmord mit | |
Vorbedacht“ handelt, das Regime Vučić setzte Fake News brutal als Waffe im | |
politischen Kampf ein. Sender wie TV Pink oder Studio B, Tageszeitungen wie | |
Informer oder Srpski Telegraf verbreiten sie einfach mit dem Ziel, das | |
Regime zu stärken und seine „Feinde“ zu vernichten. Gligorijević nennt au… | |
das jüngste Beispiel: Den regimekritischen bekannten Schauspieler Sergej | |
Trifunović zerfetzen dieser Tage regimenahe, gleichgeschaltete Medien, weil | |
er angeblich gesagt hätte „auf dem Grab von Präsident Vučić pissen zu | |
wollen“. | |
## Saftige Annoncen und Staatsförderungen | |
Tatsächlich kritisierte Trifonović das Justizsystem, weil es den Fall des | |
Selbstmords eines Jungen als Folge der Gewalt in den Schulen verjähren | |
ließ, und bediente sich in seiner Empörung einer literarischen Metapher. | |
Die Medien, die nach der Regimepfeife tanzen, werden mit saftigen Annoncen | |
und Staatsförderungen belohnt, kritische Medien hingegen systematisch | |
finanziell erwürgt, ihre Reichweite wird immer kleiner. Im Jahresindex von | |
Reporter ohne Grenzen über Medienfreiheiten liegt Serbien auf Platz 66, | |
sieben Plätze schlechter als im Vorjahr. | |
Im Meer von Fake News kann man in Serbien mittlerweile die richtigen | |
Nachrichten kaum erkennen. Vor wenigen Tagen titelte die meistgelesene | |
Tageszeitung in Serbien, Informer, die USA sammelten slawische DNA ein, um | |
eine biologische Waffe gegen Russen und Serben zu bauen. So bizarr es auch | |
klingen mag: Wenn man sie oft genug wiederholt, dringen selbst die | |
verrücktesten Fake News durch. | |
9 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Andrej Ivanji | |
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