# taz.de -- Cannabis im Berliner Apothekenverkauf: Gras auf Rezept | |
> Seit März dieses Jahres können Ärzte Patienten Cannabis als Medikament | |
> verschreiben. Aber funktioniert diese neue Regelung in Berlin wirklich? | |
Bild: Auch optisch machen die Pflanzen was her | |
Eigentlich sollte nach der Gesetzesänderung alles einfacher werden. Doch | |
das Gegenteil ist der Fall. Schwerkranke haben zum Teil größere Probleme, | |
Cannabis als Medikament zu bekommen, als vor der Novelle. Bereits der | |
stellvertretende Linken-Chef der Bundestagsfraktion, Frank Tempel, schlug | |
deshalb kürzlich Alarm. Die Misere reduziert sich keineswegs nur auf | |
ländliche Regionen und Kleinstädte. | |
Sogar im liberalen Berlin ist es für den Patienten nicht ganz einfach, | |
einen Kassenarzt zu finden, der ihm Cannabis als Medikament verschreibt, | |
haben Recherchen der taz ergeben. Noch größere Schwierigkeiten machen die | |
Krankenkassen selbst. In vielen Fällen lehnen sie die Kostenübernahme für | |
medizinisches Gras ab. | |
Wesentlich leichter ist es dagegen für Selbstzahler. Sie brauchen nur mit | |
dem Rezept des Arztes ihres Vertrauens in eine Apotheke zu gehen. Vor der | |
Gesetzesänderung, die am 17. März 2017 in Kraft trat und durch einen | |
einstimmigen Beschluss des Bundestags zustande kam, war das undenkbar. | |
Früher mussten alle Patienten eine Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts | |
für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorweisen, um Cannabis | |
verschrieben zu bekommen. Jetzt können Ärzte getrocknete Blüten und | |
Extrakte der Hanfpflanzen im Rahmen ihrer Therapiehoheit verordnen, wenn | |
sie es für das Wohl des Patienten für gerechtfertigt halten. | |
Auch in Berlin ist die Nachfrage inzwischen so explodiert, dass Apotheken | |
die gewünschten Mengen zum Teil nicht vorrätig haben. Der Bedarf habe sich | |
im Unterschied zu vorher versechsfacht, sagt Florian Holzapfel, | |
Geschäftsführer der Pedanius GmbH. Pedanius sitzt in Berlin und deckt | |
Holzapfel zufolge 50 Prozent des deutschen Markts ab. „So eine große | |
Zunahme hat keiner vorausgesehen.“ Dabei habe Pedanius im Vorfeld | |
großzügig kalkuliert und alles aufgekauft, was Holland und Kanada an | |
medizinischem Gras zu bieten gehabt hätten. Aber er habe dazugelernt, sagt | |
Holzapfel. „In sechs bis acht Wochen wird in den Apotheken wieder | |
ausreichend Cannabis sein.“ Engpässe werde es in Zukunft keine mehr geben. | |
Dass sich der Handel noch nicht eingespielt hat, ist das kleinste Problem. | |
Gravierender ist, wie schwerkranken Kassenpatienten mitgespielt wird. Die | |
Krankenkassen weigern sich in vielen Fällen, die Kosten für das Medikament | |
zu übernehmen. „Es gibt riesige Probleme“, weiß Maximilian Plenert vom | |
Selbsthilfenetzwerk Cannabis-Medizin-Berlin. Der Durchschnittsbedarf eines | |
chronisch Kranken, der Cannabis zur Schmerzlinderung brauche, beträgt | |
Plenert zufolge ein bis zwei Gramm pro Tag. | |
Bundesweit hatten rund 1.000 Patienten eine Ausnahmegenehmigung des BfArM | |
zum Bezug des Medikaments. Selbst bei diesen machten die Kassen | |
Schwierigkeiten, bestätigt eine Apothekerin der taz. Ein | |
Betäubungsmittelrezept sei nur sieben Tage gültig. Vier bis acht Wochen | |
dauere bei manchen Kassen die Prüfung der Kostenübernahme. Bis dahin sei | |
das Rezept verfallen, der Patient müsse wieder zum Arzt, um ein Neues zu | |
holen. „Für einen Menschen, der am Lebensende steht und einfach ein | |
Schmerzmittel braucht, ist das Quälerei.“ | |
Bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) sind bundesweit bis Ende Juli | |
rund 3.300 Anträge auf Kostenübernahme eingegangen. Rund die Hälfte sei | |
genehmigt worden, die Zahl könne noch steigen, heißt es. Ein Sprecher der | |
AOK Nordost Berlin begründete die Restriktion gegenüber der taz so: | |
Voraussetzung für die Kostenübernahme sei, dass eine allgemein anerkannte, | |
dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe | |
oder nach umfassender Abwägung im begründeten Einzelfall nicht angewendet | |
werden könne. „Zudem muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf | |
eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf | |
schwerwiegende Symptome bestehen“. | |
„Die Kassen versuchen das Gesetz zu torpedieren“, steht für den Sprecher | |
des Deutschen Hanfverbands, Georg Wurth, fest. Dagegen gebe es nur ein | |
Mittel: vor Gericht ziehen und klagen. Grundsätzlich kann innerhalb von | |
vier Wochen nach Entscheid bei den jeweiligen Widerspruchsstellen der | |
Krankenkassen Widerspruch eingelegt werden. | |
Eine andere Möglichkeit wäre, das Apotheken-Gras aus eigener Tasche zu | |
bezahlen. Aber woher soll ein chronisch Kranker das nehmen? Dazu kommt: | |
Cannabis aus dem medizinischen Fachhandel ist viel teurer als auf dem | |
Schwarzmarkt, 8 bis 12 Euro kostet ein Gramm Gras in Berlin in der Szene. | |
Die Apotheke kassiert 20 bis 25 Euro, allerdings sind die Pflanzen- und | |
Blütenteile dort auch von besserer Qualität. Das allein erklärt aber nicht | |
den großen Preisunterschied. | |
An den Apotheken liege es nicht, sagt der Präsident der Berliner | |
Apothekenkammer, Christian Belgardt. Die Preiserhöhung sei am 17. März mit | |
dem neuen Gesetz gekommen. Damit gehöre Cannabis zu den Rezepturen, die mit | |
einer Preisbindung unter die Arzneimittelpreisverordnung fallen. Die | |
einzige Möglichkeit, von dieser Preisspanne runterzukommen, wäre, wenn | |
Kassen und Deutscher Apothekenverband verhandeln würden, so Belgardt. Oder: | |
wenn Cannabis als Fertigarzneimittel zugelassen würde und der Hersteller | |
bei der Preispolitik mitzieht. | |
8 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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