| # taz.de -- Hörspiel im „Bayerischen Rundfunk“: Bio-Bourgeoisie, so uncool | |
| > Sich über Hipster lustig zu machen, ist derzeit genauso uncool, wie | |
| > Hipster zu sein. Dominik Buschs Hörspiel zeigt, wie gekonntes Mobbing | |
| > geht. | |
| Bild: Ein trauriger Hipster – hat er sein Rennrad verloren? | |
| Schon der Titel beweist: Dominik Busch ist ein aufmerksamer Beobachter und | |
| präziser Analyst. „Unsere Fahrräder wiegen nichts und kosten ein Vermögen�… | |
| heißt das Hörspiel, das er für den Bayerischen rundfunk (BR) produziert | |
| hat. Damit weist der Autor unmissverständlich in Richtung des Milieus, in | |
| dem das Stück spielt: modernes Bürgertum, zwischen Bildbänden und | |
| Superfood, wohlsituiert an der Nordsee. Dass das alles nicht unbedingt den | |
| besseren Menschen macht, hätte man sich schon vorher denken können. Und | |
| doch berührt und verstört Buschs Hörspiel. | |
| Gesa, von ihrem Mann verlassen für eine Marsmission, verbringt ein paar | |
| Tage bei ihrer Schwester Karen. Die wohnt zusammen mit Mann Sven in einer | |
| schicken Siedlung am Meer. Selbst entworfen. Inklusive Filzkugelteppich. | |
| Gesa hingegen ist Botschafterin der Uncoolness (sie „legt die Socken zu den | |
| Socken und die Unterhosen neben die Socken zu den Unterhosen“). Gesa stört | |
| die Harmonie, denn sie verkörpert, was ihre Schwester Karen nicht sein oder | |
| haben will: Kohlehydrate, Winkearme, seit zwei Jahren keinen Sex mehr. Je | |
| tiefer die Verachtung für die Schwester, desto höher ist Karens | |
| Selbstwertgefühl. Bei einem Ausflug ans Meer eskaliert die Situation. Am | |
| FKK-Strand weigert sich Gesa, sich auszuziehen. Karen und ihre hippen | |
| Freunde legen Hand an. Es folgt ein geradezu archaisches Gerangel mit | |
| abruptem Ende. | |
| „Das Ganze geht von Erfahrungen aus, die ich in diesem Umfeld gemacht habe, | |
| als ich zwischen 25 und 30 war“, sagt Dominik Busch. Der preisgekrönte | |
| Hörspielautor ist in einer bürgerlichen Schweizer Familie aufgewachsen, hat | |
| Germanistik und Philosophie studiert. Er promovierte über die | |
| Searle-Derrida-Debatte und besuchte eine Jazz-Musikschule in Luzern. „Diese | |
| Leute sind top aufgestellt, verdienen viel Geld, verstehen sich als sehr | |
| aufgeklärt – und merken nicht, wie verschlossen sie doch eigentlich sind | |
| gegenüber jedem, der nicht in ihre Welt passt.“ | |
| ## „Du hattest noch nie X-Beine“ | |
| Kann Mobbing geschehen, auch wenn man das eigentlich nicht will? Das wollte | |
| Dominik Busch in seinem Stück herausfinden. Und zeigt: Auch die scheinbar | |
| tolerante Gojibeeren-Bourgeoisie hat niedere Instinkte. Man schielt auf die | |
| anderen, will besser dastehen – und macht notfalls die Schwachen schwächer. | |
| Nur weil es auf dem Rennradsattel daherrollt, ist Mobbing nicht weniger | |
| grausam. | |
| Ach, sowieso, das Rennrad. Kaum ein anderer Gegenstand verkörpert so | |
| treffend die Mischung aus Snobismus, Weltverbesserung und | |
| Selbstoptimierung, die für das beschriebene Milieu charakteristisch ist. In | |
| den Worten Dominik Buschs: „Das moderne Rad verzichtet auf alles Mögliche, | |
| auf Gangschaltung und Bremse. Das hat es aber nicht billiger, sondern eher | |
| teurer gemacht. Dieser Zuwachs an Nichts ist Luxus.“ Wie ein Dingsymbol | |
| strampelt das Fahrrad durch die Geschichte und verbindet die | |
| Handlungsstränge miteinander: „Du hattest noch nie X-Beine (…). Und doch | |
| streift die Innenseite deines rechten Knies hin und wieder die kalte | |
| Alustange zwischen deinen Beinen, deinen Rahmen unter dir, düster.“ | |
| „Ein Hörspiel machen, das ist, wie beim Schreiben die Augen zu schließen“, | |
| sagt Busch. Im Gegensatz zum Theater müssten hier Bilder stärker erzählt | |
| werden, um überhaupt erst im Kopf zu entstehen. Den Text zu „Unsere | |
| Fahrräder wiegen nichts und kosten ein Vermögen“ hat er fürs Radio | |
| geschrieben. Das Hörspiel ist für ihn nicht bloß Zweitverwertung von | |
| Romanen oder Bühnentexten, sondern ein Medium an sich. | |
| 250 Hörspiele sendet der BR pro Jahr, davon 50 Neuproduktionen. Die | |
| Bandbreite reicht vom Radio-Tatort bis zu zehn Stunden Kafkas „Der | |
| Prozess“. Im weltweiten Vergleich ist Deutschland übrigens das Land, in dem | |
| die meisten Hörspiele produziert und konsumiert werden. Hier ist es vor | |
| allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der die Produktionskosten | |
| bezahlen kann. Hörspiele zählen zu den teuersten Audio-Produktionen, | |
| während das Medium eher eine Nische ist – aber eine, die sich hält. „Wir | |
| verzeichnen insgesamt eine starke Zunahme, vor allem im Podcast-Bereich“, | |
| sagt Herbert Kapfer, Leiter der Redaktion Hörspiel und Medienkunst im BR, | |
| über die Entwicklung der Zuschauerzahlen. In der ARD-Hörspieldatenbank | |
| finden sich im Jahr 2016 über 500 Produktionen. Events wie Hörspieltage und | |
| Live-Hörspiele sorgen für Aufmerksamkeit über die Radioantenne hinaus. | |
| ## „Wie sie ‚Filzkugelteppich‘ ausspricht, so cool.“ | |
| „Unsere Fahrräder wiegen nichts und kosten ein Vermögen“ erzählt auf | |
| schnelle, aufregende, verwirrende Art – ein Hörspiel, das nicht einfach so | |
| nebenher läuft wie sonst so manches im Radio. Um der verschachtelten | |
| Handlung folgen zu können, braucht es Konzentration. Die Erzählperspektive | |
| wechselt je nach Szene, vom direkten Dialog in den inneren Monolog, vom | |
| „du“ übers „sie“ zum „ich“. Der klassische Erzähler weicht immer … | |
| einem Pingpong aus mehreren Stimmen, die sich rhythmisch überschlagen: „Auf | |
| einmal reißt der Knoten. Der Knoten reißt. Der Knoten reißt in zwei. | |
| Zerrissen. Entzwei. Gerissen. Dieses Geräusch. Es reißt. Der Stoff. Die | |
| Naht. Sie reißt.“ | |
| Dass Autor Dominik Busch auch ausgebildeter Musiker ist, merkt man der | |
| Inszenierung an. Nicht nur die Sprache ist poetisch bis musikalisch, auch | |
| der Einsatz der Stimmen sorgt für Dynamik. Statt großer Melodien setzt der | |
| Autor auf spärliche Sounds: hier und da ein Tretlager, leises Trommeln, | |
| Wellenrauschen. Busch findet es spannender, wenn sich die Geräusche nicht | |
| sofort zuordnen lassen, sondern einen Klangteppich bilden. Die Töne hat er | |
| selbst eingespielt, zum Beispiel auf Gläsern aus der Kantine des BR und | |
| einer alten Öltonne. | |
| Schließlich zeugt auch die Auswahl der Schauspieler von der Akribie des | |
| Klangfetischisten. Immer wieder habe er sich im Vorfeld verschiedene | |
| Tonaufnahmen angehört und Notizen gemacht, so Busch. Entschieden hat er | |
| sich schließlich für fünf Stimmen, zum Beispiel die der Schauspielerin | |
| Brigitte Hobmeier. „Wie sie dieses Wort ‚Filzkugelteppich‘ ausspricht, so | |
| cool.“ | |
| 6 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Kathrin Müller-Lancé | |
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