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# taz.de -- Venezuela vor der Abstimmung: Generalstreik und Schicksalswahl
> Am Sonntag will Präsident Nicolás Maduro wählen lassen, um seiner
> Verfassungsreform näherzukommen. Seit Beginn der Proteste bereits 128
> Tote.
Bild: Erster Tag des Generalstreiks
Caracas taz | In den Stunden vor dem zweitägigen Generalstreik war an
Schlaf nicht zu denken: Um Mitternacht verbreitete sich in den sozialen
Netzwerken ein Video des Oppositionsführers Leopoldo López, das die
Anspannung vor dem Wahlsonntag noch weiter steigerte. Darin rief López die
Streitkräfte des Landes auf, sich nicht an Demokratieabbau und
Verfassungsbruch zu beteiligen. Am Sonntag will Präsident Nicolás Maduro
die 545 Mitglieder einer Verfassunggebenden Versammlung wählen lassen. Die
Opposition wirft Maduro vor, dadurch das Parlament entmachten zu wollen.
Wenige Stunden drauf folgten ein Großteil der Venezolaner dem Aufruf des
Oppositionsbündnisses MUD, gegen die geplante Verfassungsänderung zu
protestieren und bis Freitagvormittag die Arbeit niederzulegen.
Nach 115 Tagen der Straßenproteste gegen die Regierung wirkten am Mittwoch
ganze Viertel in der Hauptstadt Caracas wie ausgestorben. Viele Geschäfte
blieben geschlossen, Busse fuhren nicht. 92 Prozent der Angestellten in
Caracas seien am ersten Streiktag nicht zur Arbeit erschienen, verkündet
der Vizepräsident im Parlament, Freddy Guevara. Seit 2015 hält die
Opposition hier die Mehrheit – zum Missfallen der Regierung.
Für die Bewohner von Caracas war der Streikaufruf Anlass genug, sich so
weit wie möglich mit den ohnehin knappen Lebensmitteln einzudecken. „Man
weiß nie, was passiert“, sagt Yolanda Mejías, eine ältere Frau, die zwei
schwere Einkaufstüten trägt. „Die Regierung ist zu allem bereit und das
Volk wird nicht zur Ruhe kommen“. Nach einer Pause sagt sie nachdenklich:
„Es könnte auf einen Bürgerkrieg hinauslaufen“.
## Straßensperren wie Schützengräben
Andere hingegen sehen dem Streik mit Gelassenheit entgegen. „Die 48 Stunden
Streik sind doch nichts Besonderes“, sagt eine Passantin in Sportklamotten,
die soeben drei Stunden vom Stadtteil Las Minas de Baruta nach El Hatillo
gelaufen ist. „Das ist doch normal, seitdem Chávez vor 18 Jahren an der
Macht gekommen ist.“ Für die Passantin ist auch normal, dass viele Nachbarn
in den frühen Morgenstunden Straßensperren errichtet haben.
Trancazo heißt diese Protesform. Nicht mal Motorräder lassen diejenigen
durch, die sich hinter den Barrikaden ducken, als seien es Schützengräben.
Zum Schutz dient ihnen Holzstämme, Gartengeräte, selbst Mülltüten. Auch
Frauen beteiligen sich an den Straßensperren, die Gasmasken baumeln am
Gürtel. „Die Verfassunggebende Versammlung wird nicht kommen“, prophezeit
ein Transparent. „Stunde null“, ein anderes. Nach einer aktuellen Umfrage
lehnen sieben von zehn Venezolaner die Verfassungsreform ab.
„Wir müssen den Mitbürgern klarmachen, in welch kritischem Zustand sich das
Land befindet“, rechtfertigt Miguel Pereira die Blockade. Pereira bewacht
den Zugang einer Wohnsiedlung im Osten der Stadt. Der 58-Jährige glaubt,
dass die Einberufung der Verfassunggebenden Versammlung die Demokratie
weiter abbaut: „Die Regierung wird unsere Bürgerrechte weiter beschneiden.
Deshalb haben wir die Straße gesperrt: Um die Gleichgültigen
wachzurütteln, und all jene, die glauben, alles in Ordnung sei.“
Wegen Personen wie Miguel Pereira sind am Mittwoch viele Mitbürger genervt
zu Hause geblieben. „Sie erzeugen nur Ablehnung“, glaubt Javier Hernández,
ein Obstladenbesitzer, der weder mit der Regierung noch mit der Opposition
zu tun haben will. „Es würde doch reichen, wenn man den Osten der Stadt
sperren würde, wo die chavistas (Regierungsanhänger, d. Red.) wohnen.“ Der
Streik, er trifft die Falschen, hörten man in Caracas öfter. Sie sollen
Miraflores sperren, den Präsidentenpalast, sagt Carmen Arocha, die an einem
Imbissstand arbeitet. „Ich bin nicht einverstanden mit dem Streik, denn
wenn ich nicht arbeite, hab ich nichts zu essen.“
## 171 Personen festgenommen
[1][Die ersten 24 Stunden des Streiks] wurden vielerorts von Gewalt
begleitet. Im Zentrum von Caracas setzte die Polizei Tränengas ein, in
anderen Stadtteilen stürmten Sicherheitsbehörden die Häuser mutmaßlicher
Oppositioneller oder kam es zu Ausschreitungen. Drei Menschen starben:
[2][In der Stadt Mérida kamen zwei Demonstranten im Gefecht mit der
Nationalgarde ums Leben], ein dritter starb in Caracas. Landesweit wurden
171 Personen festgenommen, meldete die venezolanischen
Menschenrechtsorganisation Foro Penal. Die Zahl der Toten ist seit Ausbruch
der Proteste Anfang April auf 128 gestiegen.
Im Westen von Caracas hat man davon nicht viel mitbekommen. In den
Arbeitervierteln Catia oder San Agustín, die historisch stark mit dem
Chavismus verknüpft sind, hatten Läden, Bäckereien und Supermärkte
geöffnet. Auch U-Bahn und Busse fuhren. Hier sah man niemanden bei nervösen
Hamsterkäufen.
Doch die in dieser Gegend so friedlich erscheinende Stimmung trügt. Für
Freitag ist der nächste Protestmarsch gegen Präsident Maduro angekündigt.
Und am Sonntag ist eine Wahl, die ein Großteil des Volkes für illegitim
hält.
Übersetzung aus dem Spanischen: Ralf Pauli
27 Jul 2017
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## AUTOREN
Mirelis Morales Tovar
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