# taz.de -- Bio-Importe aus der Ukraine: Pestizide durch Pestizide ersetzen | |
> Nach Skandalen lässt die EU Bio-Waren aus der Ukraine besonders streng | |
> kontrollieren. Kiew möchte das ändern, doch noch immer wird betrogen. | |
Bild: In der Nähe von Kiew: schicke Farbe, ob Bio-Ernte oder nicht | |
Berlin taz | Die Ukraine wünscht sich, dass die EU 2018 ihre besonders | |
strengen Kontrollen für Bio-Importe aus dem osteuropäischen Land aufgibt. | |
„Das Parlament wird voraussichtlich bis Ende des Jahres unser neues | |
Bio-Gesetz verabschieden, das auf den Öko-Verordnungen der EU basiert“, | |
sagte die zuständige Vize-Agrarministerin Olga Trofimtseva in Berlin der | |
taz. | |
Außerdem richte die Ukraine eine Datenbank über alle ihre Bio-Unternehmen | |
ein. „Das wird die Lieferkette transparenter machen.“ Aus der Ukraine kamen | |
in den vergangenen Jahren große Mengen „Bio“-Ware, die konventionell | |
erzeugt worden war. | |
Das korruptionsgeplagte Land ist für die deutsche Biobranche einer der | |
größten Futterlieferanten. Aus der Ukraine wurden im Jahr bis Mitte 2016 | |
laut Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft zum Beispiel 26 Prozent des | |
hiesigen Verbrauchs von Sonnenblumenprodukten importiert. Demnach lieferte | |
die Ukraine auch 15 Prozent des Maises sowie sechs Prozent des Weizens und | |
Dinkels. | |
Doch Ende 2014/Anfang 2015 fiel auf, dass Bio-Futterzutaten aus der Ukraine | |
im Öko-Landbau untersagte Ackergifte enthielten. Pestizide im Futter finden | |
sich meist nicht in damit erzeugten Lebensmitteln wieder. Aber solche | |
Nahrungsmittel sind eben nicht so umweltfreundlich hergestellt worden wie | |
vom Gesetzgeber verlangt. | |
## Am Einfuhrort besonders überprüfen | |
Wegen dieser Erfahrungen empfahl die Kommission den EU-Staaten erstmals in | |
einer Leitlinie von Dezember 2015 dringend, alle Importe aus bestimmten | |
Hochrisikoländern am Einfuhrort in die Union besonders zu überprüfen. So | |
sollen etwa die Niederlande im Rotterdamer Hafen jede Weizenlieferung aus | |
der Ukraine im Labor auf Pestizide untersuchen. Zudem werden die Behörden | |
angehalten, alle Dokumente zu kontrollieren. Zum Beispiel darauf, ob alle | |
Namen, Adressen und Bio-Zertifikate der beteiligten Unternehmen korrekt | |
sind. | |
„Diese Kontrollen machen uns das Leben schwerer“, sagte | |
Vize-Agrarministerin Trofimtseva nun. „Aber 99,9 Prozent unserer Kunden | |
sind sehr zufrieden mit Bioware aus der Ukraine.“ Betrug sei die Ausnahme. | |
„Und wir schauen da nicht weg.“ Das neue Öko-Gesetz werde mehr als die zu | |
ungenauen alten Vorschriften helfen, Betrug zu verhindern. Zudem finde Ende | |
September in Odessa eine Konferenz mit Behörden, Kontrollstellen und | |
Unternehmen über den Kampf gegen Bio-Betrug statt. | |
Oft würden nicht die ukrainischen Produzenten betrügen, sondern Händler | |
oder Importeure aus Drittländern wie der Türkei. So sei es offenbar in dem | |
im Mai von der [1][Washington Post] aufgedeckten Fall gewesen: Rund 16.000 | |
Tonnen konventionelle Soja aus der Ukraine wurden als „bio“ umdeklariert im | |
Dezember via Türkei nach Kalifornien geliefert. | |
„Manche Importeure schließen die Augen in solchen Fällen. Diese Seite muss | |
auch reagieren“, so Vizeministerin Trofimtseva. Ihr ist aber klar, dass | |
„wir unsere Hausaufgaben zuerst erfüllen müssen, damit die EU-Kommission | |
uns von der schwarzen Liste streicht“. | |
## Bio-Siegel entzogen | |
Eine Hürde dabei ist, dass immer wieder problematische Lieferungen | |
auftauchen. Seit Erlass der Leitlinien zu den speziellen Kontrollen im | |
Dezember 2015 bis Ende Juni 2017 habe es 39 Meldungen über mögliche | |
Unregelmäßigkeiten bei Getreide und Ölsaaten aus der Ukraine gegeben, | |
teilte die EU-Kommission der taz mit. „Die betroffenen Volumina können auf | |
insgesamt etwa 10.000 Tonnen geschätzt werden.“ Fast der gesamten Menge ist | |
demnach das Bio-Siegel entzogen worden, sodass sie nicht auf den Öko-Markt | |
der EU gelangte. Nur wenige der Verdachtsfälle hätten sich nicht bestätigt. | |
„Eine Lageanalyse hat zu dem Schluss geführt, dass auch 2017 erhöhte | |
Kontroll- und Berichtsmaßnahmen für bestimmte Produkte […] nötig zu sein | |
scheinen“, schrieb die Kommission weiter. Aufgrund der Menge der 2016 | |
aufgefallenen Unregelmäßigkeiten seien neben der Ukraine Kasachstan und | |
Russland betroffen. Die Häufigkeit der Probleme sei „immer noch bedeutend“ | |
gewesen. | |
Dass die Ursachen nicht nur bei den Händlern, sondern auch bei den | |
Produzenten in der Ukraine liegen, zeigte im Dezember ein Treffen von | |
Kontrollstellen, Importeuren und anderen deutschen Experten, die in dem | |
Land tätig sind. Die Farmen würden oft einfach nur bestimmte konventionelle | |
Pestizide weglassen und durch andere ersetzen, heißt es im | |
Ergebnisprotokoll des Workshops in Frankfurt am Main. Doch „es wurden | |
bereits ‚Öko-Betriebsmittel‘ bei Inspektionen identifiziert, denen | |
unzulässige Pflanzenschutzmittel zugemischt wurden“. | |
## Offizielle und inoffizielle Buchführung | |
Die meist viehlos wirtschaftenden Großbetriebe würden nicht eine | |
Fruchtfolge praktizieren, die genügend die Bodenfruchtbarkeit pflegt. Sie | |
würden etwa kein Kleegras anbauen, obwohl diese Pflanzen wichtig sind, weil | |
sie Stickstoff im Boden fixieren und so helfen, Kunstdünger zu ersetzen. | |
„Die betriebliche Buchführung umfasst meist einen ‚offiziellen‘ und einen | |
‚inoffiziellen‘ Teil.“ So können Kontrolleure noch schlechter erkennen, … | |
beispielsweise im Ökolandbau verbotene Pestizide gekauft wurden. | |
Auch in den Lagern und Hafenanlagen sehen die Experten Mängel: Das Risiko, | |
dass die Bio-Ware dort mit Chemikalien kontaminiert oder mit | |
konventioneller Ware vermischt wird, sei hoch. Die Öko-Inspektoren vor Ort | |
würden zu wenig unangekündigt kontrollieren und zu wenige Proben während | |
der Produktion oder Wachstumsphase der Pflanzen nehmen. | |
Doch auch die Händler und Exporteure kommen nicht gut weg: „Die teilweise | |
komplexen Strukturen sind schwer zu überschauen.“ Türkische Händler würden | |
die Ware über die Türkei verschiffen. So könnten sie die verschärften | |
EU-Kontrollen für Hochrisikoländer umgehen, „ohne dass dies sachlich | |
gerechtfertigt ist“. | |
Eine [2][Untersuchung der EU-Kommission bei einer in der Ukraine tätigen | |
Kontrollstelle] im April 2016 hatte bereits gravierende Mängel offengelegt: | |
Die Inspekteure hätten meist zum falschen Zeitpunkt kontrolliert, schreiben | |
die Beamten in ihrem Bericht. „In den meisten Fällen waren die Inspektionen | |
sehr kurz und sehr oberflächlich, und es wurde nicht angemessen geprüft, ob | |
die Produktionsstandards der Kontrollstelle von den Unternehmern | |
eingehalten werden.“ | |
## Untätige Kontrollstelle | |
Die Kontrolleure hätten nicht richtig überprüft, ob die Betriebe die Menge | |
Bioprodukte mit den Produktionsmitteln wie dem Land oder dem Saatgut | |
überhaupt hätten erzeugen können. In „bestimmten Fällen“ sei die | |
Kontrollstelle untätig geblieben, als nicht zugelassene Pestizide entdeckt | |
wurden. | |
Doch gerade derzeit fällt es vielen deutschen Biobauern schwer, auf Futter | |
aus Hochrisikoländern zu verzichten. Denn allein in Niedersachsen ist dem | |
Agrarministerium Hannover zufolge in den vergangenen zwei Jahren die Anzahl | |
der beispielsweise der Bio-Milchviehbetriebe [3][um 52 Prozent gestiegen] – | |
von 112 Höfen Anfang 2015 auf 168 im Herbst 2016. | |
[4][In Bayern] gab es vergangenes Jahr laut Behörden 17 Prozent mehr | |
Bio-Milchkühe, 14 Prozent mehr Öko-Legehennen und 33 Prozent mehr | |
-Masthähnchen. Auch die anderen Bundesländer melden Zuwächse bei der | |
Bio-Tierhaltung. Die Folge: „Dieses Jahr“, sagt Diana Schaack, Analystin | |
bei der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft, „wird es beim Getreide | |
knapp.“ | |
Anmerkung der Redaktion, 28. Juli 2017: In einer früheren Version dieses | |
Artikels stand, dass die zitierte EU-Untersuchung sich auf eine ukrainische | |
Kontrollstelle bezogen habe. In dem Untersuchungsbericht ist aber nur von | |
einer in der Ukraine tätigen Kontrollstelle die Rede. Das haben wir | |
präzisiert. | |
25 Jul 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.washingtonpost.com/business/economy/the-labels-said-organic-but… | |
[2] http://ec.europa.eu/food/audits-analysis/audit_reports/details.cfm?rep_id=3… | |
[3] http://www.ml.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/agrarminister-m… | |
[4] http://www.stmelf.bayern.de/service/presse/pm/2017/157031/ | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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