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# taz.de -- Alternative Ernährungskultur: Crowdfunding für kleine Beete
> Ist Ackerbau jenseits der Monokultur möglich? Mit der solidarischen
> Landwirtschaft stellen Bauern die Gemeinschaft ins Zentrum.
Bild: Sächsische Weiten: Nichts, außer ein paar Felder und Kühe
Leipzig taz | In Sehlis bei Taucha – rund 15 Kilometer nordöstlich von
Leipzig – sitzt Philipp Andreß auf einem ausrangierten Sofa vor seinem
Bauwagen und dreht sich eine Zigarette. Der Himmel ist fast wolkenlos. Bis
auf das Zwitschern einiger Vögel ist nichts zu hören. Teilnahmslos liegt
Emma im hohen Gras. Der Kuh schwirren einige Fliegen um den Kopf, aber das
scheint sie kaum zu stören.
Hinter dem Bauwagen schlängelt sich ein verwaister Wirtschaftspfad durch
das Gelände einer ehemaligen Landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaft. Von dem Betrieb ist nicht viel übriggeblieben:
leere Stallungen, ausgebrannte und zusammengefallene Gebäude. In der
Landwirtschaft arbeitet hier niemand mehr, niemand außer Philipp.
„Manchmal denke ich mir: Krass, du bewirtschaftest hier 5.000 Quadratmeter,
versorgst 50 bis 60 Menschen. Was machst du eigentlich hier?!“, sagt
Philipp und streicht sich mit einer Hand über das bärtige Kinn. Trotz der
sommerlichen Temperaturen trägt er eine grau-melierte Wollmütze, die seine
langen Haare verdeckt.
Auf einem Tischchen vor dem Sofa liegt ein Klemmbrett, darauf angeheftet
ein Zettel mit den Tagesaufgaben: Sellerie vorbereiten, Erbsen jäten,
Kartoffeln pflegen, Mangold hacken, Möhren abflammen, Tomatensaatgut
austragen, Büroarbeiten. Philipp ist selbstständiger Gärtner. Vor drei
Jahren gründete der heute 28-Jährige „Kleine Beete“ – ein solidarisches
Gartenprojekt, hier in der Provinz, zwischen DDR-Ruinen und den endlos
scheinenden Feldern Sachsens.
Philipps Arbeit wird von einer Gemeinschaft aus Menschen finanziert, die
sich entschlossen haben, der Geiz-ist-geil-Mentalität der
Lebensmitteldiscounter den Rücken zu kehren. Jedes Mitglied zahlt monatlich
einen Anteil, der bei einer Versammlung im Vorjahr festgelegt wird.
## Gegen die Monokultur
So hat Philipp Planungssicherheit: „Wir sind hier vom freien Markt
unabhängig“, erklärt er. Fällt ein Teil der Ernte aus, trägt die
Gemeinschaft die Unkosten. Im Gegenzug erhalten die Mitglieder saisonale,
regionale Lebensmittel und wissen genau, wo ihr Gemüse herkommt. So wird
die klassische Produzenten-Konsumenten-Beziehung aufgelöst, bei der
Landwirte auf immer größer werdenden Flächen immer mehr Monokulturen für
immer kleiner werdende Weltmarktpreise produzieren.
„Die Lebensmittel verlieren ihren Preis und erhalten so ihren Wert zurück“,
lautet dagegen das Credo der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi). Es wird
nicht das Gemüse bezahlt, sondern die Arbeit, die damit verbunden ist. Dass
er von dem Acker aber mal leben könnte, hätte Philipp vor einiger Zeit noch
als Hippie-Hirngespinst abgetan.
Nach „einer abartigen Zeit bei Amazon“ und einer abgebrochenen Ausbildung
als Gestaltungstechnischer Assistent absolvierte er vor ein paar Jahren ein
Praktikum auf einem Biohof – nur wenige hundert Meter entfernt von seinem
jetzigen Arbeitsplatz bei „Kleine Beete“. Im Anschluss begann Philipp auf
dem Hof eine Ausbildung. Er kaufte sich den Bauwagen, um näher an seiner
Ausbildungsstelle zu wohnen.
In dem Bauwagen haben zu DDR-Zeiten Landarbeiter ihre Nächte verbracht,
zwischenzeitlich wurde er mal als Hühnerstall genutzt. Schnell wurde
Philipp klar, dass er nicht als Angestellter arbeiten möchte: „Ich werde
meine positive Energie nicht für Lohnarbeit verschwenden“, sagt er. Durch
„Kleine Beete“ konnte er seinen Wunsch nach Unabhängigkeit verwirklichen.
„Richtig in den Boden greifen“
Die Sonne steht im Zenit, als ein junge Frau den Wirtschaftspfad hinter dem
Bauwagen entlanggeradelt kommt. Leonie ist seit März Teil der Solawi
„Kleine Beete“. Heute will sie Philipp bei der Arbeit unterstützen. Leonie
– blonde Haare, Sidecut, Tattoos auf Arm und Schulter – ist überzeugt, dass
die konventionelle Landwirtschaft mehr Fluch als Segen ist: „Mit 16 habe
ich angefangen darüber nachzudenken, dass in der Landwirtschaft alles nicht
so gut läuft. Das möchte ich einfach nicht unterstützen.“ Ab und zu kommt
die Biologiestudentin deshalb aus Leipzig hier hochgeradelt und hilft
Philipp mit dem Gartenprojekt.
„Worauf hast du Bock, Leo? So richtig in den Boden greifen oder eher was
Feineres?“, fragt Philipp. „Richtig in den Boden greifen!“, kommt es von
Leonie zurück. Zeit für die Ackerarbeit. Hinter dem Bauwagen hat Philipp
einen kleinen Holzverschlag. Dort holt er Werkzeuge, sammelt sie auf einer
Schubkarre und bollert über den Rasen, vorbei an Emma, entlang des Ackers,
bis die beiden an der hintersten Parzelle ankommen.
Mit einem Maßband beginnt Philipp einzelne Reihen abzumessen: „Eins, zwei,
drei, vier Reihen Paprika bis hier und da drüben die Tomaten.“ Mit einem
Gummihammer treibt Leonie Holzpflöcke in den Acker. Sie werden mit einer
Kordel verbunden und markieren so die Paprikareihen.
In Sichtweite von den beiden pflügt ein Landwirt mit schwerem Gerät über
die Hügel. Der konventionell arbeitende Nachbar bewirtschaftet mehrere
hundert Hektar Land. Es sind zwei Welten, die aufeinandertreffen – zwei
Vorstellungen davon, wie Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen sind.
Im Einklang mit dem Umfeld
Jetzt im Sommer ist für Philipp einmal pro Woche Erntetag. Auf einer seiner
Listen hat er festgelegt, wie viel von welchem Gemüse jedes Mitglied der
Solawi erhält. Reihe für Reihe geht Philipp die Grünstreifen entlang,
erntet, wiegt das Gewicht von Tomaten und Kartoffeln, zählt die Salatköpfe
ab und sortiert alles in stabile Plastik- und Holzkisten.
Kiste um Kiste trägt er zu seinem weißen VW-Transporter und stapelt alles
auf der Ladefläche, bis die Liste abgearbeitet ist. Im Transporter riecht
es nach Erde und Kräutern, nach Tomaten und Fenchel. Philipp startet den
Motor, dann geht es über das Gelände der verlassenen
Produktionsgenossenschaft den holprigen Wirtschaftspfad entlang bis zur
Hauptstraße.
Nach einer halben Stunde Fahrt erreicht Philipp die Kolonnadenstraße im
Leipziger Zentrum. Seinen VW-Transporter hält er vor der „Libelle“ – ein…
Lokal, das sich als libertäres Zentrum versteht. Es ist kurz vor 17 Uhr und
momentan ist in der „Libelle“ nicht viel los. Nur Vivien ist schon da und
rückt einige Stühle und Tische zurecht. Dann beginnen Philipp und sie die
Kisten mit dem Gemüse aus dem Transporter zu räumen.
Vivien hat seit zwei Jahren einen Anteil bei einer weiteren Solawi, die
sich „Sterngartenodyssee“ nennt: „Ich möchte meinen ökologischen Fußab…
verkleinern“, sagt sie und fährt fort: „Ich bin auch mal bei der Ernte
dabei gewesen. Seitdem schmeiße ich weniger Essen weg.“
Nach und nach trudeln die ersten Solawi-Mitglieder ein. Jedes Mitglied
trägt sich in eine Liste ein und wiegt sich dann das von Philipp angegebene
Gemüse ab. Der hat inzwischen alle Kisten in die „Libelle“ geschleppt. Für
heute ist genug getan, für die Zukunft aber hat er schon ungefähre
Vorstellungen: „Ich sehe mich als Wachstumskritiker und möchte keine
Filialen aufmachen – kein Wachstum um des Wachstums willen“, sagt er und
fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Alles muss wachsen wie eine Pflanze,
ganz organisch, zu einer optimalen Größe im Einklang mit dem Umfeld.“ Dann
steigt er in seinen leeren VW-Transporter und fährt zurück aufs Land nach
Sehlis bei Taucha.
29 Jul 2017
## AUTOREN
David Knapp
## TAGS
Schwerpunkt taz Leipzig
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