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# taz.de -- Prozess wegen Bundeswehrritualen: Stiefelsack für den Täufling
> Vier Soldaten klagen gegen ihre Entlassung. Sie sollen in Pfullendorf an
> entwürdigenden Aufnahmeritualen teilgenommen haben.
Bild: Ort entwürdigender Rituale? Staufer-Kaserne in Pfullendorf
Sigmaringen taz | Um junge Männer wie den ehemaligen Hauptgefreiten W. geht
es in diesem Bundeswehrskandal also. Der Kläger, knapp zwanzig Jahre alt,
schwarze Anzughose, weißes Hemd, sitzt an diesem Nachmittag in einem
stickigen Verhandlungssaal des Sigmaringer Verwaltungsgerichts. Ohne selbst
ein Wort zu sagen, folgt er knapp drei Stunden lang dem Rechtsgespräch der
Juristen um ihn herum.
Es geht um die Feinheiten des Soldatengesetzes, um
Dienstpflichtverletzungen, um die militärische Ordnung, um das Ansehen der
Bundeswehr, vor allem aber: um die Zulässigkeit des Bescheids, mit dem die
Armee den Soldaten W. im Januar rausgeworfen hat.
In der Affäre, mit der die Pfullendorfer Bundeswehrkaserne im Januar diesen
Jahres Schlagzeilen machte, ist W. eine der Hauptpersonen. Zu Beginn der
Verhandlung am Mittwoch trägt das Gericht vor, was die Armee ihm und
mehreren Kameraden vorwirft: Zwischen September 2016 und Januar 2017 sollen
sie an sogenannten Soldatentaufen beteiligt gewesen sein. Abends, als in
der Kaserne getrunken wurde, sollen die Beteiligten mit diesen Ritualen
neue Rekruten begrüßt haben.
Oft lief das dann so ab: Der Täufling bekam einen Stiefelsack über den Kopf
gezogen, die anderen Soldaten zerrten ihn dann in den Waschraum. Dort
duschten sie ihn kalt ab. Manchmal filmten sie die Aktion. Einmal zogen sie
den nassen Kameraden hinterher raus in die Kälte.
## Aufgebauscht und überreagiert?
Als das Ritual aufflog, entließ die Bundeswehr mehrere der Beteiligten.
Vier von ihnen, zwei ehemalige freiwillige Wehrdienstleistende und zwei
ehemalige Zeitsoldaten, gehen dagegen gerichtlich vor. Am Mittwoch
verhandelte das Verwaltungsgericht ihren Fall.
Drei Fernsehsender haben Kamerateams nach Sigmaringen geschickt, knapp
zwanzig Journalisten verfolgen die Verhandlung im Saal. Ihr Interesse gilt
aber nur indirekt der Zukunft des ehemaligen Soldaten W. und seiner
Kameraden. Es gilt der Zukunft der Verteidigungsministerin, die das
Gericht in dieser Verwaltungsrechtssache gewissermaßen mitverhandelt.
Ursula von der Leyen hatte die Vorfälle in Pfullendorf zum Skandal erhoben.
Sie hat die mutmaßlichen Verbrechen publik gemacht und hinterher hart
durchgegriffen. Viel zu hart, heißt es aus Bundeswehr und Bundestag: Die
Ministerin habe aufgebauscht und überreagiert.
Der Fall ist komplex. Im Herbst 2016 schreibt eine Offizierin aus
Pfullendorf an die Ministerin. Sie behauptet, während der
Sanitätsausbildung müssten sich Soldatinnen komplett ausziehen. Vorgesetzte
griffen ihnen an die Brust, steckten ihnen Tampons in den Hintern und
filmten das Ganze auch noch.
## Vorwürfe abgeschwächt
Das Ministerium leitet interne Ermittlungen ein und geht im Januar an die
Öffentlichkeit. „Die Ermittlungen bestätigten in weiten Teilen die
Angaben“, teilt es mit. Und es erhebt einen zweiten Vorwurf: Die Ermittler
seien in Pfullendorf auch auf Aufnahmerituale gestoßen, bei denen Soldaten
aus niederen Dienstgraden neue Kameraden fesselten.
Die Staatsanwaltschaft legt in beiden Fällen Aktenzeichen an – im ersten
Fall wegen Sexualstraftaten, im zweiten wegen Freiheitsberaubung und
Nötigung. Von der Leyen setzt einen General ab, lässt Offiziere versetzen
und die beschuldigten niederen Soldaten rauswerfen. Als kurz darauf der
rechtsextreme Soldat Franco A. auffliegt, attestiert sie der Truppe ob all
der miesen Nachrichten ein „Haltungsproblem“.
Im Mai zerbröselt aber ein wesentlicher Vorwurf: Die Staatsanwaltschaft
leitet zumindest wegen der Sanitätsausbildung kein Verfahren ein. Die
Offizierin habe ihre Vorwürfe inzwischen längst abgeschwächt. Tatsächlich
hätten sich Soldatinnen weder ausziehen müssen, noch hätten ihnen die
Ausbilder Tampons eingeführt.
## Freiwillige Teilnahme
Bleiben die Aufnahmerituale. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in diesem
Fall noch und klärt, ob die „Taufen“ strafrechtlich relevant sind. Das
Verwaltungsgericht muss bewerten, ob der Rauswurf zulässig war. Sagen die
Richter Nein, hat von der Leyen ein Problem mehr.
In der Verhandlung berufen sich die Anwälte der Kläger darauf, dass alle
Getauften freiwillig an den Aufnahmeritualen teilgenommen hätten. Einer
habe ihm Nachhinein sogar vom „coolsten Erlebnis seiner Dienstzeit
gesprochen“.
Das Gericht lässt allerdings schon während der Verhandlung anklingen, dass
es dieser Argumentation nicht unbedingt folgen wird. „Wie soll das
gruppendynamisch laufen, dass sich in so einem Setting jemand traut, Nein
zu sagen, ohne Gefahr, von den anderen ausgeschlossen zu werden?“, fragt
der Vorsitzende Richter, bevor er sich mit seinen Kollege zu Beratungen
zurückzieht. Am frühen Abend das Urteil: Klage abgewiesen, Rauswurf
bestätigt.
Bei der Bundeswehr sei nur ein Aufnahmeritual vorgesehen: das Gelöbnis.
Dulde sie daneben Soldatentaufen wie die in Pfullendorf, führe das zu einer
„Zirkelbildung“. Die Getauften seien drin, wer nicht mitmachen wolle, sei
draußen. Dem müsse die Armee entgegenwirken. Allein schon, um Nachahmer
abzuschrecken, sei die Entlassung gerechtfertigt.
19 Jul 2017
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Bundeswehr
Pfullendorf
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Mali
Schwerpunkt Rassismus
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