# taz.de -- Katharina Sieverding über Kollwitz-Preis: „Jetzt mache ich eigen… | |
> Die Künstlerin bekommt den Käthe-Kollwitz-Preis 2017. Ein Gespräch über | |
> die Namensgeberin, Beuys und feministische Strategien. | |
Bild: Ausschnitt aus dem Werk XVI/80 von Katharina Sieverding (1980) | |
taz: Frau Sieverding, Sie erhalten den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie | |
der Künste in Berlin. Was bedeutet das für Sie? Und wie stehen Sie zu Käthe | |
Kollwitz und deren Werk? | |
Katharina Sieverding: Der Preis hat mich natürlich sehr gefreut. Der hat | |
bei mir sehr viel ausgelöst. Ich bin zum Beispiel auf das | |
Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Dortmund gegangen. Da spielte die Künstlerin | |
und ihre Haltung im Kunstunterricht eine große Rolle. Und was die Akademie | |
der Künste in Berlin angeht: 1966 habe ich hier mehrere Monate ein Studio | |
gehabt, während ich für die Deutsche Oper die Kostümausstattung für Giacomo | |
Meyerbeers „Der Prophet“ gemacht habe. Das war eine ungewöhnliche | |
Inszenierung von Bogumil Herlitschka und dem Bühnenbild von Teo Otto. Und | |
wie immer flogen faule Eier, Tomaten und so weiter. Es war ein Skandal. | |
Jetzt, wo ich den Preis erhalte, kommt alles wieder so hoch, was man auch | |
an Immunität gelernt hat, ganz früh, weil oft die besten Kunstproduktionen | |
abgelehnt werden. Da gibt es eine Verbindung zu Käthe Kollwitz, die ja auch | |
eine Unempfindlichkeit entwickelt musste. Das alles kommt mir in den Sinn. | |
Was zeigen Sie in Ihrer Preis-Ausstellung? | |
Ich wollte gern etwas aus meiner Arbeit extrahieren, ein Statement, in dem | |
es um Bilder geht, die ich für die Öffentlichkeit gemacht habe wie | |
„Deutschland wird deutscher“ oder „Die Pleite“ und „Am falschen Ort�… | |
ging es darum, wie ich ein größeres Publikum außerhalb der Museumsmauern | |
anspreche. Also habe ich alle 19 Arbeiten auf dieses eindeutige | |
Plakatnorm-Format von 252 mal 356 Zentimeter reduziert und auch als solche | |
angebracht. Ich wollte keine museale Schau, keine Kunst-Kunst. So verstehe | |
ich den Käthe-Kollwitz-Preis nicht. | |
Die Akademie ehrt Sie als eine Künstlerin, die das Zeitalter großformatiger | |
Fotokunst mit eingeleitet hat. Ist das große Format Ihre Waffe im Kampf um | |
Aufmerksamkeit? | |
Waffe würde ich nicht sagen. Es geht mehr um die Aufmerksamkeit für den | |
Inhalt. Ich versetze mich in den Betrachter – wie der in Lebensgröße vor | |
dem Bild steht. Das kommt auch aus der kinematografischen Erfahrungen, die | |
jede/jeder hat. Für mich ist das ein Bildraum, in den man sich hinbewegen | |
kann. Das kommt vielleicht auch durch meine Bühnenerfahrung, dass ich mit | |
dem Bildraum wie mit einem Bühnenraum umgehe. | |
Woher kommt Ihre Bühnenerfahrung? | |
Ich habe in Hamburg Kunst studiert, nachdem ich vorher ein Medizinstudium | |
abgebrochen habe. Aber auch das hat mich nicht ganz ausgefüllt. Ich wurde | |
dann Volontärin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo ich eines Tages | |
im Malersaal landete. Und dann hörte ich: Da kommt jetzt ein Titan, der | |
überfordert alle. Da habe ich mich reingeschlichen in die erste Stellprobe | |
dieses Theatermenschen und war begeistert. Ich war die Einzige im | |
Zuschauerraum, die übrig blieb, nachdem alle fluchtartig den Raum verlassen | |
hatten. Fritz Kortner drehte sich um und sagte: Was meinen Sie denn? Sie | |
sind ja die Einzige, die noch hier ist. Und ich sagte: Mich hat das | |
begeistert. Am Theater ist doch alles möglich. Damit war ich engagiert. | |
Wie kamen Sie dann zu Beuys nach Düsseldorf? | |
Also, bei Beuys bin ich im Sommer 1967 gelandet. Während der Salzburger | |
Festspiele – natürlich die „Zauberflöte“ – regte sich der Dirigent au… | |
dass die Tür von Sarastro klemmt. „Frau Sieverding!“ – „Ja, Herr Karaj… | |
sagte ich, „es war eine feuchte Nacht, das hört sofort auf, wenn es warm | |
wird.“ Kurz und gut, das hat mich so geärgert, dass ich gesagt habe, nein, | |
jetzt ist Schluss. Ich will das alles nicht mehr bedienen hier. Zumal ich | |
in der Tagespresse las, dass am 2. Juni Benno Ohnesorg erschossen worden | |
war. Da habe ich gesagt, jetzt gehe ich zu Beuys in die Klasse und mache | |
meine eigenen Statements. Mit Beuys sind wir da voll in die | |
Studentenproteste geraten. Und da habe ich mir eine Kamera ausgeliehen und | |
fing an, das alles zu dokumentieren. Ich konnte mir nicht vorstellen, ich | |
gehe zurück und kaue da am Pinsel. | |
Sie waren dann schon vor den Becher-Schülern sehr groß. War es ein | |
Experiment mit dem Medium oder Ausdruck einer künstlerisch-politischen | |
Strategie? | |
Ich wollte Bilder oder Statements über die ganzen Verhältnisse in der Welt | |
machen. Es gibt ja etliche Serien zum Kalten Krieg. Oder dazu, was | |
Radioaktivität ist. Oder was bedeutet „Die Sonne um Mitternacht schauen“? | |
Das heißt, die Sonne durch die Erde zu imaginieren. Ich fand es immer ein | |
gutes Training, sich dafür zu interessieren, was eigentlich auf der anderen | |
Seite des Globus los ist. Ich wollte gern solche Bilder in die | |
Kunstgeschichte einschreiben, damit Spätere sehen, aha, da war doch jemand, | |
der diese ganzen Missstände und Machtverhältnisse kritisch hinterfragt und | |
in Bilder umgesetzt hat. | |
Das große Format Ihrer Arbeiten bringt einen noch auf einen anderen | |
Gedanken. Sie haben mit Kortner gearbeitet, der als Titan galt, dann waren | |
Sie bei Beuys. Wollten Sie mit Ihren großen Selbstporträts diesen Titanen | |
auf Augenhöhe begegnen? | |
Das hat mich nicht interessiert, es ging um den Inhalt jeder Arbeit, was | |
ich da ausdrücken wollte. Dass ich diese Porträts gemacht habe, hängt damit | |
zusammen, dass ich keine Kamera hatte. Die stammen alle aus dem | |
Passfotoautomaten oder sind Polaroids. Der Passbildautomat stand im | |
angesagtesten Nachtclub in Düsseldorf, wo ich mein ganzes Studium durch | |
gejobbt habe. Also, ich war dieses Arbeiten mit dem geringsten Aufwand in | |
der kleinsten Einheit gewohnt – Labor, Studio und so. Die Frage war: Was | |
mache ich daraus? | |
Wenn Sie sowohl Subjekt wie eben auch Objekt Ihres künstlerischen Werks | |
sind, liegt darin nicht auch eine bewusste Strategie? Frauen sind damit oft | |
erfolgreich im Kunstbetrieb, man denke an Frida Kahlo oder Cindy Sherman. | |
Absolut. Mich in dieser Größe in die Ausstellungen einzuschreiben, war | |
natürlich auch eine feministische Strategie. Ich war damit anwesend, man | |
kam nicht an mir vorbei. Ich denke aber, ich habe das schon vorher am | |
Theater gelernt, was es heißt, wenn man in diesen Bedeutungsraum Kunst | |
eintritt. Dass das eine ziemlich präzise Performance verlangt, weil man ein | |
Statement macht, durch die Art, wie man auftritt. | |
Ihr Gesicht spielt ja eine wichtige Rolle in Ihrem Werk. Es ist kein | |
privates Gesicht. Sie sind nicht die, die man auf den Bildern sieht. Ist | |
Ihr Gesicht ein Rollengesicht? Eine Marke? | |
Es gab je gerade die große Ausstellung in Bonn. Da habe ich die Anfänge | |
gezeigt, wie sich das entwickelt hat mit dem Gesicht. Ich habe das immer | |
erst über Projektionen austariert, ich habe also mit einem Projektor die | |
Bilder in den Raum geworfen und so die Größe ermittelt. Und dort sieht man | |
auch, dass es sich um Serien handelt, die zum Teil aus 200 Porträts | |
bestehen. Dieses Serielle ist wichtig. Und was die Marke angeht: Vielleicht | |
kommt das hin, aber das ist tricky. Man fordert sich damit selber heraus, | |
weil es das „Gegenüber“ offensichtlich herausfordert. | |
Aber Sie haben ja auch mit anderen Bildern gearbeitet, andere | |
Überlagerungen gemacht, etwa die Kristallisationsbilder. | |
Ja, also die betrachte ich sozusagen als innere Porträts. Was mich immer | |
unglaublich interessiert, ist unser Potenzial an Selbstheilungskräften und | |
unsere Möglichkeiten, sie zu aktivieren. Diese Kristallisationsbilder | |
entstehen aus einem ganz kleinen Minitropfen Blut, der mit Kupferchlorid | |
vermischt wird und dann auskristallisiert. Jeder Mensch entwickelt da | |
völlig eigene Signaturen. Damit habe ich mich lange beschäftigt. Eigentlich | |
hätte ich vielleicht doch gerne Medizin gemacht. Mein Vater war Radiologe, | |
im Ruhrgebiet, wo er diese ganzen Staubsteinlungen und -mägen der | |
Zechenarbeiter diagnostizierte. | |
Was Sie aus Ihrem Studium vor allem bei Beuys beibehalten haben, ist | |
politische Aufmerksamkeit. Das zeigt sich auch jetzt in der Schau. Es gibt | |
ein Bild aus Syrien. Was war der Auslöser für das Bild? | |
Auslöser war, dass ich es nicht fassen konnte, dass man selbst so ein | |
Flüchtlingslager noch angreift. Das Bild zeigt das größte syrische | |
Flüchtlingslager und drüber geblendet sind russische Soldaten, die ihre | |
Jagdbomber mit Waffen bestücken. Das hat mich dermaßen aufgeregt, dass ich | |
eine Serie machen musste, die ich „Global Desire“ nenne, das überall auf | |
der Welt am Explodieren ist … | |
Sie unterrichten ja viel als Professorin. Was ist Ihnen wichtig, Ihren | |
Studenten mitzugeben? | |
Das Allerwichtigste ist erst mal, dass sie sich füreinander interessieren | |
und miteinander ins Gespräch kommen. Jeder wird hinterher so einsam und es | |
geht dann mit der Konkurrenz los. Also muss man lernen, miteinander zu | |
reden, Tag und Nacht zu diskutieren, bis alles zu einer Arbeit gesagt ist. | |
Das kann manchmal Stunden dauern. Das war es, was ich anbieten konnte. | |
11 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
Katrin Bettina Müller | |
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