# taz.de -- Künstlerin über Weltmusik: „Musik ist etwas Revolutionierendes�… | |
> Die bildendende Künstlerin Jutta Koether spricht über | |
> Erweckungserlebnisse, sogenannte Field Recordings und den Einfluss der | |
> 68er. | |
Bild: Eine junge Besucherin bei Deutschlands größtem Weltmusik-Festival in Ru… | |
taz: Frau Koether, „Ein Traum von Weltmusik“ heißt eine Konferenz im | |
Berliner HAU, in deren Rahmen Sie einen Vortrag halten. Eigentlich arbeiten | |
Sie vorrangig als bildende Künstlerin – wie kommen Sie zur „Weltmusik“? | |
Jutta Koether: Für „Ein Traum von Weltmusik“ verweise ich zurück auf eine | |
Arbeit, die ich Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger gemacht habe. Es | |
war meine erste Klanginstallation überhaupt, ich zeige daraus ein Exzerpt. | |
Damals war ich von journalistischem Interesse geleitet, es ging um das | |
Sammeln von Informationen. Ich habe Sounds auf Straße, Märkten und Plätzen | |
gesammelt, klassische Field Recordings. | |
Wo haben Sie die aufgenommen? | |
Ich war vor allem in Köln, Brüssel, Paris, London und New York unterwegs. | |
Die Musik, die ich vorfand, war zum Beispiel arabischen, pakistanischen und | |
afrikanischen Ursprungs. In den USA kamen karibische und | |
lateinamerikanische Sounds hinzu. Diese alte Arbeit gleiche ich mit der | |
Gegenwart ab und setzte sie in Kontrast zu den Verfahren und Medien, mit | |
denen man heute arbeitet. Damals habe ich noch mit dem Kassettenrekorder | |
aufgenommen. | |
Sie arbeiteten in den Achtzigern in der Redaktion der Spex, in der damals | |
schon Weltmusik stattfand. Wie wurde sie zu der Zeit verhandelt? | |
Es gab in der Spex auch Autoren, deren Begehren es nicht war, popkulturelle | |
Codes oder Musikgeschichte zu analysieren. Denen ging es eher um Musik als | |
körperlich-spirituelle Erfahrung, als Erweckungserlebnis, als Therapie und | |
Selbsthilfe. Das hätte man damals nur niemals zugegeben. Natürlich hat man | |
dann aber auch versucht herauszufinden, aus welchen Kontexten sich diese | |
Musiken herleiten. Woher stammen die musikalischen und tänzerischen | |
Praktiken? Wie ist eine weiße junge Frau zum Blues gekommen? Solche Sachen. | |
Man hat den westlichen Ländern damals pauschal vorgeworfen, einen | |
exotistischen Blick auf andere Musikkulturen zu haben. | |
Diese Problematik steht immer im Raum. Aber wenn ich durch die Straßen von | |
London laufe und Lieder aus Pakistan einsammle, dann ist das erst mal eine | |
Realität des Lebens. Es ist Material wie alles andere auch. Ich habe damals | |
versucht, bestimmte Praktiken in meinem Leben so zu setzen, dass ich eben | |
nicht einen zoomäßigen Blick auf mir unbekannte Kulturen bekomme. Ich habe | |
immer nur Material ausgewählt, das etwas mit mir zu tun hatte, zu dem ich | |
mich verhalten will und kann und muss. | |
Inwieweit war Ihr Interesse an „Weltmusik“ musikwissenschaftlich? | |
Mich hat etwa interessiert, wie angloamerikanische Gitarrensounds in Afrika | |
gelandet und wie sie dort verarbeitet worden sind. Wie stoßen bestimmte | |
kulturelle Konzepte aufeinander und wie reiben sie sich aneinander? Nach | |
dem Mauerfall waren die tektonischen Verschiebungen dann ziemlich schnell | |
offensichtlich; man hat das auch gefühlt in der Musik, die über die Grenzen | |
kam. | |
Seit Ende 60er Jahre, als traditionelle Musik aus aller Welt via Jazz, | |
E-Musik und Krautrock in Westdeutschland bekannter wurde, hat sich der | |
Blick auf globale Musik erweitert. Damals waren Weltmusik und Pop getrennte | |
Sphären, heute sprechen manche von Weltmusik 2.0. Was ist da passiert? | |
Der wesentliche Einschnitt für alle Kulturbereiche ist die Digitalisierung | |
und die Art und Weise, wie dadurch Materialien getauscht und kommuniziert | |
werden. Ich bezweifle, dass man eine lineare Geschichte von Weltmusik | |
erzählen kann. Die Genealogien werden durcheinandergewürfelt, weil nicht | |
mehr klar ist, wer nun welche Kultur remixt, wer etwas zusammenfügt und mit | |
welchem Ziel – insofern ergäbe der Begriff ‚Weltmusik 2.0‘ Sinn. Ich wei… | |
nicht, ob es die einstmalige „Weltmusik“ überhaupt noch gibt, in dem Sinne, | |
wie sie vorher gedacht war. Man kann nur noch auf sie verweisen. Ich habe | |
Weltmusik eigentlich genau wie Pop als etwas gesehen, das sehr in seiner | |
jeweiligen Zeit ist. Nur eine Art von Pop, der größer war als unsere enge | |
Definition von Popkultur. | |
War 68 hierzulande bedeutend für die Adaption von Weltmusik? | |
68 hatte Einfluss auf das ganze Denken. Ich kann das nur an meiner | |
persönlichen Geschichte festmachen. Ich bin als Teenager in die 1970er | |
hineingewachsen, und es gab eine Öffnung, wahrscheinlich angestoßen durch | |
die 68er, die mir Zugang zu den verschiedenen Musikkulturen verschafft hat. | |
Es war eine Einladung, über das Eigene hinauszuschauen. Der Musik und der | |
fremdsprachigen Literatur habe ich es zu verdanken, dass ich mich nicht mit | |
Deutschland identifizieren wollte und musste. Diese geistige, auch | |
psychische Öffnung geschah unter anderem durch die freie Musik: Free Jazz, | |
Krautrock und soziale Praktiken, die damit im Zusammenhang standen. | |
Damals war es weniger Pop, der Weltmusik importiert hat, sondern Free Jazz | |
und E-Musik. Am Wochenende steht auch einen Neuinterpretation von | |
Stockhausens eigenem „Traum von Weltmusik“ an. Wie wichtig war dafür sein | |
Werk? | |
Zunächst einmal: Auch in die Popmusik ist vieles eingegangen – nur stand es | |
vielleicht nicht auf dem Etikett. Und ich meine jetzt nicht so etwas | |
David-Byrne-Mäßiges – der hat wirklich Klänge aus den Ländern x oder y na… | |
einem bestimmten Schema importiert. Bei Bowie war das schon etwas anders, | |
auch bei dem gab es ja bestimmte Werke mit weltmusikalischen Einflüssen. | |
Wenn man anderen Musikkulturen mit einer grundsätzlichen Offenheit | |
begegnet, dann hört man das – die interessantesten Figuren begreifen sich | |
selbst als eine Art Conduit. Dass man einerseits die Stimme oder | |
Komponistin ist, aber zugleich auch eine Station, durch die etwas | |
hindurchläuft. Wo Stockhausen am meisten Conduit war, da war er am besten. | |
Später trat er als großer Guru auf – und das hatte sich verfestigt in der | |
Idee von sich selbst. Das war eben keine Idee von „Welt“, sondern hatte | |
etwas Imperiales. | |
Heute werden Projekte wie „Heimatlieder aus Deutschland“ und „Songs of | |
Gastarbeiter“, bei denen immigrierte Musiken gesammelt werden, als | |
gelungene Projekte auf Augenhöhe gefeiert. Ein Fortschritt? | |
Grundsätzlich ja. Ich will bei meiner Präsentation aber auch zeigen, dass | |
weltmusikalische Sounds an sich eine Kraft haben und dass man sie | |
möglicherweise eben nicht in bestimmte Formen und Formate zurückführen | |
sollte. Hierzulande ist es so, dass daraus immer schulmeisterliche Dinge | |
gemacht werden, die stets gleich funktionieren und etwas darstellen müssen. | |
Musterschüler-Integration zum Beispiel. | |
Ja, eine solche Lesart finde ich problematisch. So funktioniert natürlich | |
Gesellschaft, das ist mir klar. Als künstlerisch Interessierte geht mir das | |
nicht weit genug. Für mich ist das einengend und bevormundend, wenn man | |
etwas wieder zusammenfasst und dadurch kontrolliert. Musik ist nicht | |
kontrollierbar, sollte es nicht sein. Musik hat es immer geschafft, | |
Praktiken hervorzurufen, die widerständiger sind. Musik in ihrer Essenz ist | |
für mich etwas Aufwühlendes und Revolutionierendes. Etwa, das den Körper | |
des Menschen ergreift. Deswegen sucht er sie auch, deswegen macht er Musik. | |
Weil er diesen Druck hat oder das verspürt. | |
Malerei und Musik hing bei Ihnen immer zusammen. In der taz hat Harald | |
Fricke geschrieben, sie sähen sich nicht im Umfeld der neuen Malerfürsten, | |
sondern eher in der Tradition von Jazzmusikern, die trotz Legendenstatus | |
niemals reich geworden sind. | |
Vielleicht habe ich ihm mal von einem meiner grundlegenden formativen | |
Erlebnisse erzählt. Das war das Anschaffen eines Sun-Ra-Albums. Ich war 13 | |
Jahre alt. Ich habe die Musik so lange gehört, bis ich sie verstanden | |
hatte. Das war das absolute Erweckungserlebnis. Dass man so arbeitet, so | |
denkt, so dirigiert. Ich habe Jazzmusiker immer darin bewundert, dass sie | |
eine so unglaubliche Unabhängigkeit hatten. In dem Sinne, wie sie | |
gearbeitet haben. Und in dem Sinne, wie frei sie von Verwertungsmechanismen | |
waren – das zeigt sich in dem Motto: „Es ist egal, ob man für 3 Leute | |
spielt oder für 500.“ Auch deren Herangehensweise: Improvisation ist | |
möglich und gewollt; es gibt das absolut autonome Wesen und Instrumente, | |
aber genauso das Eingehen auf die anderen. Ich dachte, dass man das in der | |
künstlerischen Praxis auch so handhaben könnte. | |
20 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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