# taz.de -- Porträt eines Hochstaplers: Heute ein König | |
> Ein Ex-SED-Funktionär gibt sich als Honorarkonsul von Jordanien aus. Über | |
> Jahre lebt er auf Kosten anderer – und landet im Gefängnis. | |
Bild: Lange hat Dieter Olbricht seine Umwelt belogen. Ende Juni kommt er frei; … | |
NEUBRANDENBURG taz | Stellen Sie sich vor, Sie führen einen Friseursalon in | |
Neustrelitz. Irgendwann stellt sich Ihnen ein Mann als Gesandter des Königs | |
von Jordanien vor und möchte mit Ihnen eine internationale Friseurkette | |
aufbauen. Klingt verlockend, oder? | |
Und wenn Sie ihn dann besser kennen lernen, erzählt er Ihnen, welche | |
wichtigen Leute er kennt. Dass er den libyschen Diktator Gaddafi getroffen | |
hat, Fidel Castro und natürlich Wladimir Putin, der ist nämlich sein | |
Freund. | |
Zweifel? | |
„Ich hatte alles“, sagt der Mann heute, „Briefbögen, Visitenkarten mit | |
Goldprägung, Stempel. Warum sollte ich nicht so auftreten?“ | |
Den Mann gibt es wirklich, an einem Februartag steht er vor dem | |
Marktplatz-Center in Neubrandenburg, Mecklenburg-Vorpommern. Kaffee? Ich | |
kenne eine gute Adresse. Schnellen Schrittes über den Marktplatz, an der | |
Straßenecke: ein Bäcker. | |
## Das Urteil: zwei Jahre und zwei Monate Haft | |
Dieter Olbricht bestellt einen Kaffee, klein, schwarz, den Keks isst er | |
nicht. | |
Dieses Treffen ist Olbrichts erster Auftritt seit mehr als einem Jahr. Sein | |
letzter fand im Landgericht von Neubrandenburg statt. Er brachte ihn in die | |
Lokalzeitung, in die Fernsehnachrichten. Und ins Gefängnis. | |
Betrug in neun Fällen und Titelmissbrauch. 120.611,12 Euro Schaden. Das | |
Urteil: zwei Jahre und zwei Monate Haft, derzeit im offenen Vollzug. Ende | |
Juni kommt er vorzeitig frei. | |
Mehrmals pro Woche darf Olbricht auf Freigang, raus aus dem Gefängnis, wo | |
er sich freut, wenn sie ihn „den Konsul“ nennen. Olbricht ist ein | |
großgewachsener Mann, 67 Jahre alt, in Haft ist er dünn geworden. Zwei | |
Kinder aus erster Ehe und sechs aus der zweiten. Diese Fakten stimmen, sie | |
lassen sich nachprüfen. Und der Rest seiner Geschichte? | |
Bewiesen ist das, wofür er verurteilt wurde: Er gab sich als Honorarkonsul | |
des Königreichs Jordanien aus. Einem Studienfreund versprach er, ihn im | |
Konsulat zu beschäftigen, und brachte ihn so dazu, ihm ein Auto zu kaufen. | |
Einen Friseur überzeugte Olbricht, dessen 16 Filialgeschäfte mit einer | |
seiner eigenen Firmen zu fusionieren, um mit dem Geld arabischer Investoren | |
eine internationale Friseurkette aufzubauen. Ein Makler überwies ihm fast | |
20.000 Euro auf sein Konto, angeblich, um die Sicherheit solcher | |
Geldtransfers zu überprüfen. Und das sind nur einige Fälle. | |
## Leben in einem Schloss | |
Das Gericht geht davon aus, dass Olbricht mit dem Geld der Geschädigten | |
seinen Lebensunterhalt finanziert hat. Seine Familie, den Besuch der | |
Privatschule seiner Kinder. Das Leben in einem Schloss. | |
„Für die Gewerbsmäßigkeit spricht auch“, schreibt der Richter, „dass d… | |
gesamte täuschungsbedingte Geschäftsgebaren des Angeklagten … von geradezu | |
schauspielerischer Professionalität geprägt war.“ | |
Dieter Olbricht ist ein Hochstapler. Das ist das einfache Urteil. Aber wie | |
konnte er mindestens ein Jahrzehnt lang immer wieder Menschen überzeugen, | |
der König von Jordanien interessiere sich für sie? | |
In einer ostdeutschen Landeshauptstadt sitzt ein Mann in seinem gelb | |
gestrichenen Büro an einem Funktionstisch und erzählt, wie er auf Olbricht | |
reingefallen ist. Carsten Mühlenberg ist Finanzbeamter in einer leitenden | |
Position, ausgerechnet. Deshalb ist Mühlenberg nicht sein richtiger Name. | |
Er ist braungebrannt wie jemand, der nicht mehr viel Zeit im Büro | |
verbringt. Über Olbrichts Geschäfte sagt er: „Letztendlich lief es daraus | |
hinaus, dass andere das Kapital haben mussten.“ | |
2006 will Mühlenberg nebenberuflich zwei Finanzunternehmen beraten, deren | |
Geschäfte nicht laufen. Sie brauchen Geld von Investoren – so kommen sie | |
mit Olbricht in Kontakt. | |
## Einladungen ins Adlon und Trinkgelder von 50 Euro | |
Geschäftspartner wie Mühlenberg lädt er ins Berliner Nobelhotel Adlon ein. | |
Er bewirtet sie großzügig, steckt Lieferanten 50-Euro-Scheine als Trinkgeld | |
zu und Vertrauten Bargeldbündel, manchmal von einer Banderole umfasst, die | |
mit arabischen Schriftzeichen beschrieben ist. Und Olbricht tritt | |
tatsächlich mit arabischstämmigen Männern auf. Mühlenberg erinnert sich, | |
wie Olbricht bei ihrem ersten Treffen mehrmals mit seinen Bodyguards | |
telefoniert. | |
Der Finanzbeamte ist beeindruckt, wie geschäftig der gut gekleidete Mann | |
wirkt und dabei geheimnisvoll bleibt. Er steigt ein. Die Geschäfte | |
schildert er so: | |
Olbricht fordert ihn auf, ihm ein Auto zu besorgen, so wie er es Jahre | |
später noch einmal mit seinem Studienfreund machen wird. Einen Mercedes, | |
R-Klasse, das Nummernschild: CO 77, die Initialen von Olbrichts Frau. | |
Anfangs bekommt Mühlenberg die Raten erstattet, sogar eine Prämie von 4.000 | |
Euro gezahlt, die Olbrichts Frau bei einem Treffen im Schloss aus ihrem | |
Schlafrock zieht. | |
Doch Olbricht plant mehr. Er will ein Bankhaus in der Schweiz kaufen, um | |
große Summen aus dem Nahen Osten nach Europa zu überweisen. Mühlenberg, der | |
Finanzexperte, soll dabei helfen. Die Verhandlungen ziehen sich hin, fünf | |
Jahre später sind Mühlenbergs Partner pleite, er selbst ist fast 70.000 | |
Euro los. Über Olbricht sagt er: „Ich musste feststellen: Der ist ganz | |
schön nebulös.“ | |
Wie erzählt man die Geschichte eines Mannes, der notorisch lügt? Eine | |
Geschichte, die sich als Geflecht aus Firmen, Geschäftspartnern, | |
Insolvenzen und Neugründungen entspinnt, über Neubrandenburg hinaus nach | |
Österreich, in die Schweiz, nach Ägypten, Dubai und Jordanien? | |
## Ernennung zum Chef des Geheimdienstes? Nein danke | |
In der Bäckerei stellt Olbricht nun Bedingungen auf, unter denen er seine | |
Geschichte preisgeben will. Er fordert ein Honorar. Bekommt er nicht? Dann | |
einen Minijob bei der taz, um mehr Freigang zu bekommen. Auch nicht? Dann | |
eine Drohung: Ein Abgeordneter der AfD-Landtagsfraktion ist Anwalt und sei | |
mit ihm bekannt. „Der verklagt Ihre Zeitung.“ | |
Schließlich erzählt er doch, ohne Gegenleistung: von Missionen zu | |
DDR-Zeiten, seiner Zeit in einem „Superkader“ und von der Stasi. Wie er in | |
Palästen ein und aus ging. Bei einem späteren Treffen behauptet er, dass | |
der König von Jordanien ihn zum Geheimdienstchef ernennen wollte, er aber | |
ablehnte. Warum er diese Herrscher getroffen hat? Dürfe er nicht sagen. Wie | |
er den König kennengelernt hat? Ob er Arabisch spricht oder auch nur | |
Englisch? Olbricht lacht und tippt nur auf seine schwarze Aktentasche. | |
Er zieht einen Brief hervor. „Der ist mit Gold geschrieben“, sagt er. Das | |
stimmt nicht, aber das Firmenemblem des Absenders ist goldfarben geprägt. | |
Der Brief kommt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Eine Einladung an | |
Olbricht. Sie ist auf 2015 datiert, Olbricht gibt sie nicht aus der Hand, | |
verstaut den Brief schnell wieder in seiner Tasche. | |
Was er gern ausführlich zeigt: einen Kugelschreiber, verziert mit | |
schimmernden Steinchen. „Ein Geschenk des Königs“, raunt er, „der ist so | |
viel wert wie mancher Kleinwagen.“ Dabei bekommt man exakt dieses Modell im | |
Schreibwarenhandel für 35,95 Euro. | |
Kaum jemand, der mit Olbricht zu tun hatte, will darüber sprechen. Einer | |
der Geschädigten sagt am Telefon: „Er ist ein Verbrecher, und er ist es | |
nicht wert, noch mehr darüber zu sagen.“ Andere sind nicht auffindbar oder | |
reagieren nicht auf Kontaktversuche. Einige wenige erzählen, wenn ihre | |
Namen nicht erwähnt werden. Mal im Beisein eines Anwalts, der die | |
Ausführungen stoppt, als die Sprache auf Sexpartys kommt. Keiner von ihnen | |
hat je eine Entschädigung bekommen; das Gericht stellte fest: Bei Olbricht | |
ist nichts zu holen. | |
## Jordanien will ihn wirklich zum Honorarkonsul ernennen | |
Aus den Gesprächen mit ihnen ergibt sich aber auch: Das mit Jordanien | |
stimmt. | |
Dieter Olbricht ist mindestens einmal mit einer kleinen Delegation von | |
Trollenhagen, einem kleinen Flughafen nahe Neubrandenburg, nach Amman | |
geflogen. Privatjet. Eskorte vom Flughafen ins Fünfsternehotel. Opulente | |
Geschäftsessen, bewaffnete Männer. Ein Fotograf war dabei, ein Notar und | |
früherer DDR-Diplomat, Banker aus der Schweiz. Mehrere von ihnen erzählen | |
übereinstimmend von einem Besuch im Königspalast. Dort trafen sie einen | |
Mann, der ihnen als Abdullah II. bin al-Hussein vorgestellt wurde. Der | |
König des Haschemitischen Königreichs Jordanien. | |
Das ermittelte auch die Kriminalpolizei in Neubrandenburg. Olbricht war | |
nicht nur in Jordanien, die dortige Regierung hatte tatsächlich vor, ihn | |
zum Honorarkonsul zu ernennen. Erst 2010 stellten sie das | |
Ernennungsverfahren ein. Olbricht behauptet bis heute, er sei wirklich | |
Honorarkonsul gewesen, nur nicht in Deutschland akkreditiert. | |
Fest steht: Er führte den Titel einfach. Es ist ein Ehrenamt, das auch dazu | |
dient, Handelsbeziehung zwischen zwei Staaten zu erleichtern. Für wen hielt | |
die jordanische Regierung den Mann, der nicht einmal Englisch spricht? | |
Offenbar hat er sie genauso beeindruckt wie den Friseur aus Neustrelitz. | |
Olbricht reiste auch nach Ägypten, er wollte Schlachthöfe aufkaufen und ein | |
Gestüt. Er schlug Geschäfte mit Wasseraufbereitungsanlagen vor. Er ließ | |
Verträge aufsetzen, zeitweise nutzt er den Namen einer jordanischen Firma, | |
Mawared International Development Limited, es existiert ein Vertrag, der | |
Olbricht 2009 nicht nur ein Jahresgehalt von 300.000 Euro zusichert, | |
sondern auch Zugriff auf ein Geschäftskonto mit bis zu 1 Million Euro | |
gewährt. Ob der Vertrag echt ist und dieses Geld tatsächlich geflossen ist, | |
lässt sich nicht überprüfen. Die versprochenen Geschäfte kamen nicht | |
zustande. | |
## Vom Schlossherrn zum Gefängnisinsassen | |
Olbrichts Geschäfte und Ideen wirken wahllos und sprunghaft. Er handelt | |
nicht wie einer, der kühl kalkulierend den nächsten Betrug plant. Sondern | |
wie ein Fantast, der tatsächlich an seine Pläne glaubt. | |
Ein paar Wochen nach dem Treffen im Café fährt Olbricht mit seinem | |
vibrierenden Auto über die B104 hinweg, aus dem Neubrandenburger | |
Stadtzentrum heraus in Richtung Osten. Olbricht will das Schloss zeigen, | |
in dem er bis zu seiner Verhaftung wohnte. Der klapprige Kleinwagen gehöre | |
seine Tochter, entschuldigt er sich schon beim Einsteigen, die sei mit dem | |
großen Wagen unterwegs. | |
Olbricht fährt vorbei an Plattenbauten, die angeordnet sind wie die Steine | |
eines Tetrisspiels, das fast verloren ist, dann Ackerland. Er biegt auf die | |
A20, das Symbol der Nachwendezeit: Die ehemalige DDR wurde damit an die BRD | |
angeschlossen. Olbricht verlässt die Autobahn und sucht eine wenig | |
befahrene Überlandstraße. „So, das ist die geheime Strecke“, sagt er. „… | |
sicher.“ | |
## „Kein Zufall“ | |
Ein Auto kommt entgegen, es ist ein Polizeiwagen, zwei Uniformierte sitzen | |
darin, Olbricht wackelt auf seinem Sitz, grinst. „Das ist kein Zufall.“ | |
Er beginnt, aus seiner Kindheit zu erzählen. Der Vater Funktionär und damit | |
beschäftigt, Angriffe gegen die junge DDR abzuwehren, so nennt es Olbricht. | |
Die Mutter Pädagogin, streng, von Disziplin und Sozialismus getrieben. Der | |
Sohn möchte Geologe werden, doch die Eltern drängen ihn zur | |
Funktionärslaufbahn. Er studiert also Agrarwissenschaften, das wird | |
gebraucht in der Region, er tritt in den Staatsdienst ein. | |
Als die Wende kommt, ist er zweiter Sekretär der SED-Kreisleitung in | |
Strasburg nahe Neubrandenburg – der verlängerte Arm der Partei. „Ich musste | |
alles kontrollieren. Polizei, Gerichte.“ Er spricht von | |
Überwachungsmaßnahmen und Festnahmen, die nicht nach Verwaltung klingen | |
sollen, sondern nach Stasi. Die Unterlagenbehörde aber kann keine Belege | |
dafür finden, dass Olbricht je für das Ministerium für Staatssicherheit | |
tätig war. Weder als offizieller noch als inoffizieller Mitarbeiter. | |
Nach der Wiedervereinigung macht er sich selbstständig. Es ist die Zeit, | |
in der die Arbeitslosigkeit in der Region auf über 20 Prozent steigt. | |
Olbricht versucht es mit Spielautomaten, Immobiliengeschäften, | |
Trockenbau. Dies und das und nichts. Er heiratet seine zweite Frau, eine | |
Friseurin, 27 Jahre jünger als er, sie bekommen sechs Kinder und er viel | |
Anerkennung für ihre Schönheit. | |
Olbricht hält den Kleinwagen vor der Einfahrt des Schlosses, in dem heute | |
eine andere Familie lebt. Hinter dem Tor ein altes Herrenhaus aus rotem | |
Backstein, dahinter zweieinhalb Hektar Park und ein Teich. | |
Hier hat er gewohnt und Geschäftspartner empfangen, am Eingang hing ein | |
Messingschild: „Repräsentanz des Haschemitischen Königreichs Jordanien. | |
Exzellenz – der Konsul“. Olbricht hatte das Schloss gemietet, aber | |
irgendwann nicht mehr gezahlt. Der Strom wurde abgestellt. In einem der | |
Gerichtsurteile steht, der Eigentümer habe einen Räumungstitel erwirkt, ihn | |
aber lange nicht durchgesetzt, weil er Leerstand vermeiden wollte. Bei | |
einem Insolvenzverfahren von 2005 an kann keine Vermögensmasse festgestellt | |
werden. Heißt: Olbricht besitzt offiziell nichts. Seine Geschäfte gehen | |
weiter. | |
## Die Rolle seiner Frau ist widersprüchlich | |
Aus dem Auto aussteigen will Olbricht nicht. Er erklärt lieber aus der | |
Ferne. Die drei Fenster in der zweiten Etage: das Konsulzimmer. Auf dem | |
Dach: eine ausfahrbare Antenne. Hinter den Mülltonnen: eine Kamera. Was er | |
nicht beschreibt: das Leben mit seiner Familie, sein Zuhause. Den Verlust. | |
Olbricht gilt als fürsorglicher Vater, sagen andere, aber auch streng. Die | |
Rolle seiner Frau ist widersprüchlich. Sie war in die Geschäfte ihres | |
Mannes involviert, tritt mal als eine Art Sekretärin auf, mal ist sie als | |
Gesellschafterin eingetragen. In erster Instanz wird sie zu einer | |
Bewährungsstrafe verurteilt, später dann freigesprochen. Heute will sie mit | |
der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. | |
Olbricht startet den Wagen und fährt zurück in die Stadt, in der er noch | |
immer die Machtorte von damals sieht. Er fährt an der Bezirksverwaltung der | |
SED vorbei, heute ist hier das Rathaus. Dann hält er an der JVA in | |
Neubrandenburg, wo er zu Beginn seiner Haftstrafe einsaß. Er deutet aber | |
auf das Gebäude daneben – die ehemalige Zweigstelle des Ministeriums für | |
Staatssicherheit. „Offiziell sind wir nicht mehr da“, sagt er, „aber wir | |
haben nicht verloren.“ | |
Was er im wiedervereinigten Deutschland vermisste, fand er in Jordanien. | |
„Für mich war es nicht ‚Tausendundeine Nacht‘. Der Luxus, die Schönheit, | |
der Patriotismus, die Untergebenheit, das war größer als ‚Tausendundeine | |
Nacht‘.“ | |
Auf einem Hügel stehen fünfstöckige Plattenbauten und Hochhäuser mit 14 | |
Etagen, in den 70er Jahren hochgezogen, um 10.000 Menschen ein Zuhause zu | |
geben. Auch Olbricht hat hier gelebt. „Zu DDR-Zeiten ein ganz prominentes | |
Viertel“, sagt er und fährt an einem Immobilienbüro vorbei, das „Grand Ci… | |
Property“ heißt. Nach der Wende hat man auch hier begonnen, ganze Blocks | |
zurückzubauen. | |
## Viele Fälle sind bereits verjährt | |
Während die DDR langsam abgerissen wurde, baute Olbricht an seinem | |
Lügengebäude. Irgendwann zieht er sogar die Privatschule seiner Kinder | |
hinein, schlägt eine Kooperation mit dem Königreich und seinem Unternehmen | |
Mawared vor, um Arabischunterricht anzubieten. „Vertrag mit jordanischem | |
Unternehmen perfekt“, schreibt die Lokalzeitung 2009. | |
Es dauert lange, bis der Ärger über die geplatzten Geschäfte zu groß ist, | |
die Zweifel der Geschäftspartner zu sehr gewachsen. Einer der ersten, der | |
sich zu wehrt, ist Carsten Mühlenberg, der Finanzbeamte. Er zeigt Olbricht | |
2011 an. Kurz darauf gehen auch dessen früherer Kommilitone und der | |
Immobilienmakler zur Polizei. Festgenommen wird er schließlich im Oktober | |
2012 vor der Schule seiner Kinder, wegen einer Anzeige, die der | |
Friseurmeister stellt. Erst als der Staatsanwalt die Anklage vorlegt, | |
erfahren zumindest einige Geschädigten voneinander. Denn es sind längst | |
nicht alle Fälle aufgeführt, auch der von Mühlenberg nicht. Viele sind | |
bereits verjährt. | |
Warum haben sie alle Olbricht so lange geglaubt? | |
Mühlenberg sitzt in seinem Behördenbüro und sagt: „Um mal was Neues zu | |
machen, der Verwaltungsjob ist stinklangweilig.“ Die Wende hat er irgendwie | |
überstanden, das Eigenheim ist gebaut, obwohl seine frühere Firma pleite | |
gegangen ist, und bis zur Rente sind es noch ein paar Jahre. | |
Ein anderer Betrogener sagt: „Bis zur Wende saßen wir auf festen Stühlen, | |
bis die dann gekippt wurden.“ | |
## Er will ein Buch schreiben – der Titel: „Tränen im Dunkeln“ | |
Mal ist der Untergang der DDR verwunden, mal ein unwiderruflicher | |
Lebensknick. Und dann kommt einer und verspricht Abenteuer, spricht von | |
Palästen, Gold, Privatjets – alles nur einen Handschlag entfernt. In dieser | |
Sehnsucht sind sich Betrüger und Betrogene ähnlicher, als es ihnen lieb | |
sein kann. | |
Ein Anruf Ende Mai. Olbricht sagt, er suche eine Wohnung, für sich und | |
seine jüngeren Kinder. Ein Richter hat entschieden, dass er in einem Monat | |
das Gefängnis vorzeitig verlassen darf. | |
„Ich bin dann nicht frei“, sagt Dieter Olbricht, „Ich bin dann nur | |
draußen.“ Seine Pläne: Ein Buch veröffentlichen über seine Zeit als Konsul | |
und eines über die Haft, das er „Tränen im Dunkeln“ nennen will. | |
Verschiedene Verlage hätten Interesse. Häftlinge beraten, die wie er, | |
zurück ins Leben finden sollen, vor Schülern auftreten. Und ins Fernsehen | |
gehen. Markus Lanz hat ihn in seine Sendung eingeladen, erzählt er am | |
Telefon, und auch die Talksendung „Das!“ des NDR. | |
In Wahrheit ist das, was auf ihn wartet, klein. Seine Frau hat sich kurz | |
vor Ende der Haftzeit von ihm scheiden lassen, Freunde hat er nicht. Er | |
wird von Hartz IV leben. Das mit den TV-Einladungen stimmt nicht, sagen | |
beide Redaktionen auf Nachfrage. | |
Dann macht Olbricht einen Vorschlag: „Ich habe da ein gutes Gefühl – Sie | |
und ich, wir sollten zusammenarbeiten. Ich erzähle Ihnen dann auch von | |
Jordanien. Stelle Sie dem König vor, ganz exklusiv!“ | |
25 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Christina Schmidt | |
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