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# taz.de -- Flüchtlingslager in der Wüste: Gefangen im Niemandsland
> An der geschlossenen jordanischen Grenze sitzen mitten in der Wüste
> zehntausende Geflüchtete fest. Hilfe kommt nur spärlich durch.
Bild: Blick auf Rukban aus der Ferne. Ins Camp herein kommen die Helfer fast ni…
Rukban taz | Wenn Maryam morgens die Plane ihres selbst gebauten Zeltes
hochhievt, sieht sie nichts als Staub. Kein Horizont in Sicht, keine
Perspektive. Vor zwei Tagen erst fegte wieder ein Sandsturm unbarmherzig
über alles hinweg, was sich ihm entgegenstellte. Er zerriss die Planen und
Seile, zerstörte die einfachen Behausungen. Mitten im Niemandsland versucht
Maryam, mit ihrem Mann, ihrer alten Mutter und zwei kleinen Kindern zu
überleben. Niemandsland, weil es für niemanden gedacht ist, weil es
niemandem gehört und weil in diesem Stück Wüste eigentlich auch niemand
sein sollte.
Eigentlich. Mit Maryam harren rund 80.000 Syrerinnen und Syrer in dem
Flüchtlingslager aus. Die meisten sind Frauen und Kinder. Geflohen sind sie
vor Krieg und Terror, von wem auch immer er ausging. Sie haben sich
zwischen zwei Erdwällen niedergelassen, in einer demilitarisierten Zone
zwischen Syrien und Jordanien. Rukban heißt dieser karge Teil der Wüste im
Süden Syriens.
Kein Strauch ist zu sehen, kein Schutz zu finden. Hin und wieder rasen
Beduinen in ihren Pick-up-Geländewagen an der demilitarisierten Zone
vorbei. Ihre Vorfahren haben sich über Generationen auf ein Leben in der
Wüste eingestellt. Nicht so die Geflohenen. Die südsyrische Wüste war nicht
ihr Ziel, sie wollten weiter nach Jordanien. Doch die Grenze, die so
verheißungsvoll nahe vor ihnen liegt, ist geschlossen.
Luis Eguiluz arbeitet in Jordanien für Ärzte ohne Grenzen. „Es gibt nichts
in Rukban. Sie sitzen fest“, sagt er. Trotzdem reißt der Strom der nach
Rukban Flüchtenden nicht ab. Kämpfe in Rakka, Dera’a und bei Palmyra haben
die Zahl der hier Schutz Suchenden zuletzt erneut steigen lassen. Ein Leben
im Niemandsland scheint für viele noch immer die beste aller Optionen zu
sein. „Sie sind Opfer von allen Seiten“, sagt Eguiluz, „am Ende fühlen s…
sich hier trotz der schlechten Situation zumindest besser vor Gewalt
geschützt. Die Lebensgefahr ist geringer.“
## Unter einer grauschwarzen Wolke
Viele in Rukban flohen vor dem sogenannten Islamischen Staat, andere vor
den Gruppen Assads. Sucht man bei Google Maps nach dem Dorf Maheen, aus dem
Maryam und ihre Familie kommen, erscheint eine grauschwarze Wolke, die sich
über die flachen Häuser des Dorfes erhebt und in den sattblauen Himmel
emporsteigt. Es ist die Aufnahme von einem russischen Luftangriff.
Als Maryam mit ihrer Familie in Rukban ankommt, ist von ihrem Proviant
nichts mehr übrig. Kein Wasser, kein Essen und kaum Geld. Schlepper und
Schutzgelder sind teuer. Maryams Mutter berichtet: „Wir haben in der
Wildnis geschlafen.“ Im Lager angekommen, wollte die Familie schnell weiter
nach Jordanien. „Nun sind wir seit 18 Monaten hier.“
Im Sommer 2014 kommen die ersten Schutzsuchenden in Rukban an. Es ist die
letzte Möglichkeit, noch ins sichere Jordanien zu gelangen, nachdem das
Königreich alle anderen Grenzübergänge geschlossen hat. Mehrere Hundert
Flüchtlinge täglich lässt die Regierung in Amman anfangs einreisen. Doch
infolge der russischen Luftangriffe ab September 2015 schießt die Zahl der
Zuflucht Suchenden in die Höhe. Ein halbes Jahr später stauen sich laut
Human Rights Watch 70.000 Menschen an der Grenze.
## UN-Jeeps nur in der Ferne
Dann erschüttert der erste Anschlag das Camp. Im Juni 2016 reißt ein
Attentäter sechs jordanische Soldaten mit in den Tod. Das Königreich
schließt sofort seine Grenze. So gut wie niemand darf sie noch passieren,
auch Hilfslieferungen kommen nicht mehr durch. Seitdem müssen die Menschen
in Rukban weitgehend ohne fremde Hilfe auskommen. Lediglich vier größere
Lieferungen haben das Lager im vergangenen Jahr erreicht. Für das
mittlerweile fünftgrößte Flüchtlingslager der Welt reicht das hinten und
vorne nicht.
Selbst ohne die aus anderen Camps bekannten Zelte des Flüchtlingshilfswerks
UNHCR müssen die Menschen in Rukban auskommen. Ein offizielles
UN-Flüchtlingslager muss mindestens fünfzig Kilometer von Konfliktzonen
sowie Landesgrenzen entfernt sein. Rukban liegt direkt an der Grenze. Keine
zehn Kilometer entfernt von hier ist der strategisch wichtige Grenzübergang
al-Tanf an der Autobahn Damaskus–Bagdad. Dort kommt es zu Anschlägen und
Luftangriffen.
Nur in der Ferne sehen die Bewohner manchmal UN-Jeeps und Lastwagen der
jordanischen Armee. Ihr Ziel ist nicht das Camp, sondern ein sogenannter
Servicepoint der Vereinten Nationen. Im Dezember letzten Jahres wurde er
auf der jordanischen Seite des Erdwalls erbaut. So können die UN zumindest
– wenn auch nur dürftig – Hilfe leisten.
## Schlaglöcher und Sand
Fast zwei Stunden brauchen die Nothelfer für die fünfzig Kilometer vom
jordanischen Ruwaished aus dorthin. Sie donnern über die Sandpiste, werden
von Schlaglöchern und Fahrrillen hin und her geworfen, der aufgewirbelte
Sand verstopft die Atemwege.
Rund zehn Metallcontainer haben die UN in der zumindest bisher sicheren
Entfernung von sieben Kilometern zum Camp aufgebaut. Stacheldraht wölbt
sich um die Außenseiten der weißen Container, Metall kratzt auf Metall.
Schwer bewaffnete jordanischen Soldaten, schussbereit in Panzern und
Militärfahrzeugen sitzend, schlagen die Zeit tot. Der Sand knirscht in den
Scharnieren, wenn sie die Türen zum Schichtwechsel öffnen.
Im spärlichen Schatten, den einer der Container wirft, sitzt Maryams
Mutter. Sie durfte ihre hochschwangere Tochter zum Servicepoint begleiten
und wartet nun. Genügend Stühle für sie und die Handvoll anderer Mütter mit
ihren Kleinkindern gibt es nicht, doch immerhin verteilen NGO-Mitarbeiter
Essen für die mangelernährten Kinder. Heute gibt es sogar noch etwas Reis,
Hühnchen und Cola – Reste des Caterings, das für die Soldaten und
Journalisten bereitgestellt wurde. Immerhin: Wer in den Servicepoint
gelassen wird, wird satt.
## „Die Tür des Erbarmens“
Maryam erzählt: „Es war schwierig, zum UN-Servicepoint zu kommen. Ich habe
zwei Wochen versucht, einen Termin zu bekommen. Gott hat die Tür des
Erbarmens für mich geöffnet, alhamdulillah.“ Die Ärzte haben ihr wegen
ihrer früheren zwei Kaiserschnitte nun sogar versprochen, dass sie ihr Kind
in einem jordanischen Krankenhaus zur Welt bringen kann.
Damit wird Maryam bald zu den 221 Patientinnen und Patienten aus Rukban
gehören, die bislang in ein jordanisches Krankenhaus gebracht wurden, weil
sie im Servicepoint selbst nicht behandelt werden konnten. Nach dem
Krankenhaus aber müssen sie zurück nach Rukban. Dorthin, wo Erdlöcher als
Toiletten dienen und es Duschen erst gar nicht gibt.
3.936 weitere Menschen wurden im Servicepoint selbst behandelt. Dabei
hätten es nach Auskunft eines UNHCR-Arztes sehr viel mehr sein können, bis
zu 33.000. „Die Stämme sind verantwortlich dafür, uns hier rein- und
rauszubringen“, erklärt Maryam. Auch sie hat es nur deshalb zum
Servicepoint geschafft, weil sie Kontakte hatte. Die Tribal Army, ein
Zusammenschluss verschiedener Rebellengruppen, die der Freien Syrischen
Armee nahestehen, ist Jordaniens Verbündeter auf syrischer Seite. Sie ist
für den Transport der Kranken vom Camp zum Checkpoint zuständig.
## Die Stämme und die Tribal Army
Die Tribal Army vertritt längst nicht alle im Camp agierenden Stämme. „Wir
nehmen an, dass der Grad der Befangenheit in Bezug auf die
Gesundheitsversorgung sehr hoch ist“, sagt auch Eguiluz von Ärzte ohne
Grenzen. „Wir sind sehr besorgt über diese Art von Missbrauch“, klagt der
Helfer.
Die Stämme rivalisieren miteinander, oft kommt es zu Kämpfen innerhalb des
Camps. Die stärkste Fraktion behält das Sagen. „Es gibt keine oberste
Autorität im Camp“, sagt Eguiluz. Dieses Machtvakuum macht sich der IS
zunutze. Auch den vierten Anschlag in diesem Jahr, bei dem Attentäter
wieder jordanische Grenzposten angriffen, reklamierte die Terrormiliz er
für sich.
Um 16 Uhr verlassen die weißen, kugelsicheren UN-Fahrzeuge die unwirkliche
Gegend in einer Kolonne. Die Nothelfer machen sich wieder auf den Weg in
die Zivilisation. Zurück bleiben die auf dem Boden kauernden Frauen. Sie
versuchen, ihre Kinder vor Hitze und Staub zu schützen, indem sie sie in
Decken einwickeln.
## Schmale Kindergesichter
Wer nur den Servicepoint gesehen hat, erahnt zumindest, wie es im Lager
Rukban selbst aussieht. YouTube-Videos von Helfern, die Zutritt hatten,
zeichnen das Bild eines Provisoriums. Zusammengeflickte Planen, dazwischen
Gruppen verloren wirkender Kinder. Die jungen Gesichter sind schon
gezeichnet von einem Leben in Entbehrung. Auch Maryams ausgetrocknete,
wettergegerbte Hände, die unter ihrem langen schwarzen Gewand
hervorschauen, erzählen von den rauen Lebensbedingungen. Vereinzelt Hütten
aus Lehmziegeln – erbaut von Menschen, die nach fast drei Jahren nicht mehr
an Rückkehr in die Heimat oder ein Weiterziehen glauben.
Ein Militärtransporter bringt Maryam, ihre Mutter und die anderen jungen
Mütter kurze Zeit später zurück, er rast mit ihnen über die Sandpiste in
Richtung Checkpoint. Auf dem harten Boden des Laderaums sitzend, drücken
die Frauen mit einem Arm ihre Kinder an sich, mit dem anderen versuchen
sie, sich an den Metallstangen im Wageninneren festzuhalten, damit sie von
den Schlaglöchern nicht allzu sehr hin und her geworfen werden.
Durchgerüttelt klettern sie aus dem Planwagen. Hinter dem Stacheldraht
wartet auf sie das trostlose Camp.
13 Jul 2017
## AUTOREN
Marianne Sievers
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