Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Flüchtlingslager Rukban in Syrien: Im Dreieck des Todes
> Im größten Flüchtlingslager Syriens leben bis zu 80.000 Menschen. Seit
> Monaten ist Rukban nahezu vom Lebensmittelnachschub abgeschnitten.
Bild: Völlig isoliertes Flüchtlingslager: Rukban
Amman taz | Kaum noch Nahrungsmittel, kaum noch Medizin, Kindestod aufgrund
von Durchfallerkrankungen. Neun Monate lang warten Zehntausende Menschen
mitten in der Wüste auf Hilfe. Am Samstagnachmittag schließlich erreichen
tatsächlich die ersten Lkws eines UN-Konvois das Rukban-Camp. Sie bringen
dringendst benötigte Nahrungsmittel und Medizin ins größte Flüchtlingslager
Syriens. Seit Monaten ist Rukban vom Lebensmittelnachschub abgeschnitten.
Die Zufahrtswege, über die Schmuggler den Schwarzmarkt des völlig
isolierten Camps mit Waren versorgten, werden vom syrischen Regime
blockiert.
„Dreieck des Todes“, so beschreiben Aktivisten das Rukban-Camp. Zwischen
45.000 und 80.000 Menschen harren laut UN-Schätzungen in einem
menschenfeindlichen Wüstenareal im Dreiländereck zwischen Syrien,
Jordanien und Irak aus – einige schon seit 2014. Rukban sei „einer der
verzweifeltsten Orte in Syrien“, sagt der UN-Unterhändler Jan Egeland, der
dort zuständig ist für humanitäre Angelegenheiten.
Innerhalb von zwei Wochen ist es in dem Camp, das ab 2014 im Niemandsland
zwischen einem syrischen Kontrollposten und der geschlossenen Grenze zu
Jordanien entstand, nach Agenturberichten zu mindestens einem Dutzend
Todesfällen gekommen. Sie seien direkt auf die widrigen Lebensbedingungen
und die medizinische Unterversorgung zurückzuführen.
Innerhalb von 48 Stunden starben ein fünfjähriger Junge und ein vier Monate
altes Mädchen. Mitte September konnten Kranke die Ende 2016 von den
Vereinten Nationen auf jordanischer Seite finanzierte Klinik des
jordanischen Gesundheitsdienstes JHAS sieben Tage lang nicht erreichen. Es
ist für sie die einzige Möglichkeit, professionelle medizinische Behandlung
zu bekommen. Im Juli wurden 4.000 Fälle von Durchfall und 500
Hepatitis-A-Infektionen dokumentiert. Beide Krankheiten sind nicht
notwendigerweise tödlich, können unbehandelt aber zum Tod führen.
## Warnung vor dem Winter
„Die Lage der Menschen – darunter befinden sich viele Kinder – wird sich
mit den Wintermonaten weiter verschlechtern“, warnt Geert Cappelaere,
Unicef-Regionaldirektor für den Nahen Osten und Nordafrika. In den rauen
Wüstenbedingungen fallen die Temperaturen im Winter regelmäßig unter den
Gefrierpunkt.
Ende Oktober peitschte der erste Regensturm über das Lager hinweg, zerriss
einige der aus Plastikplanen errichteten Zelte und brachte selbst
Lehmbauten zum Einsturz. Auf dem Facebook-Account der Zivilverwaltung des
Rukban Camps zeigen Videos, wie sich das Lager in kurzer Zeit in einen
Schlammsee verwandelt.
Die letzte Hilfslieferung der Vereinten Nationen erreichte das Camp im
Januar von Jordanien aus. Seitdem sind die Menschen abhängig vom heillos
überteuerten Schwarzmarkt im Camp. Seit Anfang Oktober kann sich kaum noch
jemand auch nur einen Laib Brot leisten, wie der Campbewohner Abu Nashwan
der Nachrichtenagentur AFP berichtet. Durch die Blockierung der Zugangswege
sind die Preise extrem angestiegen. Selbst Grundnahrungsmittel wie
beispielsweise Mehl haben sich nach Angaben von BewohnerInnen um fast das
Doppelte verteuert. Beobachter sprechen bereits von Belagerung.
Der 78 Lkws umfassende Konvoi kam fast zu spät. Es gibt kaum noch
Nahrungsmittel und Medikamente. Mitten in der Wüste können die vielen
Tausend Menschen ohne Hilfe von außen nicht überleben. Ali Al-Za’tari,
UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, hofft weiter, dass ein
bereits im September letzten Jahres beantragter Hilfskonvoi der UN in das
Camp durchgelassen wird.
## Verantwortlich sind die anderen
Jordanien, das einzige Land, von dem aus in den letzten Jahren immerhin
spärlich Hilfe nach Rukban gelangte, bestreitet jede Verantwortung für die
Lage der Flüchtlinge. Außenminister Ayman Safadi hat auch aktuell wieder
betont, dass Hilfe für das Flüchtlingslager aus Syrien selbst kommen müsse.
Das syrische Regime und seine Verbündeten in Moskau jedoch sehen die USA in
der Verantwortung. Denn in der Nähe des Rukban-Camps sind diese Soldaten
stationiert – angeblich sind es einige hundert. Der Militärstützpunkt
Al-Tanf war 2016 gemeinsam mit den Verbündeten der Anti-IS-Koalition
errichtet worden.
Rukban liegt keine 15 Kilometer von dem Stützpunkt entfernt und befindet
sich damit in einer 55 Kilometer breiten Sperrzone, die von den USA
ausgerufen wurde und den Stützpunkt umgibt. Verhandlungen zwischen
Campbewohnern, russischen, jordanischen und US-Vertretern mit dem Ziel,
Kämpfer und Zivilisten aus dem Camp zu evakuieren, sind festgefahren.
Für Syrien wiederum ist genau das eine willkommene Ausrede, keine Hilfe
leisten zu müssen. Allerdings hatte Damaskus auch schon vor Ankunft der
US-Amerikaner in al-Tanf die Flüchtlinge sich selbst überlassen.
## Eine lange Woche
Seit September 2017 hatten die Vereinten Nationen auf die Genehmigung und
Sicherheitsgarantien des syrischen Regimes gewartet, um ihren Hilfskonvoi
von Damaskus aus nach Rukban schicken zu können. Laut Ali Al-Za’tari von
den Vereinten Nationen hätte der gemeinsam von der UN und dem Roten
Halbmond organisierte Konvoi bereits letzten Samstag das Camp erreichen
sollen. Nach Angaben des Roten Halbmonds waren logistische Probleme und
vorhersehbare Gefahren für die Sicherheit des Konvois der Grund für dessen
einwöchige Verspätung.
Eine Woche, die für die Menschen im Camp unendlich lang war. Die UN
beschreibt die humanitäre Situation als „insgesamt kritisch“ und das,
obwohl noch nicht einmal Winter ist. Wie Fadwa Baroud, die Presse- und
Öffentlichkeitsbeauftragte der UN in Syrien, der taz mitteilte, bringt der
Konvoi Nahrungsmittel, Wasser, Sanitär- und Hygieneartikel, medizinische
Hilfe, Plastikplanen sowie Kleidung für 50.000 Menschen, laut Rotem
Halbmond außerdem Kleidung für 18.000 Kinder und 1.200 Sets für
Neugeborene. Zudem wurde bereits heute mit einer Notfallimpfaktion gegen
Masern und Polio für 10.000 Kinder begonnen.
„Während diese dringend benötigte Lieferung zwar eine wichtige
Errungenschaft ist, muss eine längerfristige Lösung für die vielen
Zivilisten in Rukban gefunden werden. Wir müssen alles tun, was wir können,
um weiterhin der Zivilbevölkerung zu helfen, die hier unter den härtesten
Bedingungen leben“, bringt Ali Al-Za’tari auf den Punkt, was viele im Camp
denken.
Shukri Shehab, Chef einer notdürftigen Klinik im Camp, macht gegenüber der
taz über WhatsApp klar dass es vor allem eine Zukunft in Sicherheit ist,
die die Campbewohner nach all den leidvollen Jahren im Camp verlangen. „Wir
wollen nicht viel. Wir wollen in Frieden und Sicherheit leben“, so Shukri.
Ist der Hilfskonvoi in der jetzigen Situation auch noch so essenziell, eine
Lösung für die Zukunft lässt weiter auf sich warten.
5 Nov 2018
## AUTOREN
Marianne Sievers
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlingslager
Syrische Flüchtlinge
Schwerpunkt Syrien
Lesestück Meinung und Analyse
Syrische Flüchtlinge
Schwerpunkt Syrien
Syrische Flüchtlinge
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lagebericht des Auswärtigen Amts: Verheerende Lage in Syrien
Das Auswärtige Amt berichtet in einem internen Lagebericht von Folter in
Syrien – und warnt indirekt vor Abschiebungen.
Fakten, Wahrheit und der Krieg in Syrien: Auf dem Friedhof des Postfaktischen
Auch wenn viele es anders sagen: Es gibt sie, die eine Wahrheit, auch im
Krieg, auch in Syrien. Und es lohnt sich, nach ihr zu suchen.
Flüchtlingslager in der Wüste: Gefangen im Niemandsland
An der geschlossenen jordanischen Grenze sitzen mitten in der Wüste
zehntausende Geflüchtete fest. Hilfe kommt nur spärlich durch.
Autobombe in Jordanien: Sechs Soldaten getötet
Trotz der Nähe zu Syrien und zum Irak ist die Lage in Jordanien
vergleichsweise stabil. Trotzdem gibt es auch hier immer wieder Anschläge.
Syrische Flüchtlinge in Jordanien: In der Wüste gestrandet
60.000 Flüchtlinge aus Syrien sitzen in einer jordanischen Sicherheitszone
fest. Die Regierung in Amman fürchtet Terroristen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.