# taz.de -- Ein Jahr „Volksentscheid Fahrrad“: „Die Wut ist da!“ | |
> Berlins Radler treten selbstbewusster in die Pedale, sagt Azra Vardar vom | |
> „Netzwerk Radfreundliches Neukölln“. Der Politik fehle der Wille, für | |
> mehr Sicherheit zu sorgen. | |
Bild: Von so ein bisschen Wasser lassen sich Berlins Radfahrer nicht aus der Sp… | |
taz: Frau Vardar, vor einem Jahr hat die Initiative Volksentscheid Fahrrad | |
in kurzer Zeit 90.000 Unterschriften für eine sicherere Infrastruktur für | |
Radfahrer gesammelt und so das Thema weit oben auf die politische Agenda | |
gesetzt. Spiegelt sich das nach Ihrem Eindruck im Alltag der Radler schon | |
wider? | |
Azra Vardar: Das Bewusstsein ändert sich bei den Radlern. Wir werden immer | |
mehr, das merkt man auf den Straßen. Wir werden selbstbewusster und treten | |
für unsere Rechte ein. Dass sich die Infrastruktur verbessert hat, merke | |
ich aber leider noch nicht. Da vermisse ich den politischen Willen für | |
echte Verbesserungen, etwa den Wegfall von Parkspuren an | |
Hauptverkehrsstraßen – was international längst Standard ist. | |
Haben Sie die Empfindung, dass die Politik sich der Bedeutung des Themas | |
bewusst ist? | |
Der Bezirk Neukölln beschäftigt sich schon damit. Der Fahr-Rat, an dem auch | |
Verbände und Radlobbyisten beteiligt sind, hat sich hier im Bezirk wieder | |
getroffen – erstmals seit 2013. | |
Neukölln will bis 2021 6 Millionen Euro in die Sicherheit der Radler | |
investieren … | |
Wir werden die Politik daran messen, was umgesetzt wird. Und nicht alles | |
davon nutzt den Radlern am Ende wirklich. So wird der Hauptteil des Geldes | |
für die Asphaltierung von Nebenrouten ausgegeben. Das führt aber auch dazu, | |
dass Autos dort schneller fahren. Die Sicherheit für Radler wird so nicht | |
erhöht. | |
Wie könnte man das verbessern? | |
Wir fordern Qualitätsstandards für diese Nebenrouten, die echte | |
verkehrsberuhigende Maßnahmen vorsehen – nicht nur ein paar Schilder. | |
Das Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln, bei dem Sie mitarbeiten, gibt es | |
schon seit 2015. Ist der Bezirk besonders gefährlich für Radfahrer? | |
Auf jeden Fall. Wir haben die Sonnenallee, die Hermannstraße und die | |
Karl-Marx-Straße. Bei Letzterer entsteht derzeit immerhin ein Radstreifen, | |
wenn auch sehr langsam. Bei den beiden anderen Hauptstraßen fehlt die | |
sichere Infrastruktur komplett. Und selbst wenn alle Autofahrer | |
rücksichtsvoll fahren und sich an die Verkehrsregeln halten würden, wäre es | |
dort immer noch gefährlich für Radler. | |
Vor zwei Wochen starb ein Radfahrer nach einem Unfall in der Hermannstraße. | |
Ein im Halteverbot parkender Diplomat rammte ihm die Fahrertür entgegen, | |
worauf der Mann stürzte und sich tödlich verletzte. Ist das eine krasse | |
Ausnahme oder gehören solche Gefahrensituationen zum Alltag für Radler? | |
Solche Situationen sind absolut Alltag. Jeder, der regelmäßig die | |
Hermannstraße und die Sonnenallee entlangfährt, weiß das. | |
Am Abend nach dem Tod des Mannes versammelten sich mehrere hundert Radler | |
dort, wo der Unfall geschehen war. Die Wut unter den RadfahrerInnen muss | |
groß sein. | |
Natürlich ist die Wut da. Und wir wollen zeigen, dass wir viele sind. Dass | |
so viele kamen, zeigt aber nicht nur Wut, sondern auch Bestürzung und | |
Traurigkeit, weil viele diese Straßen kennen. Und es jedem hätte passieren | |
können. | |
Derzeit wird über das Radgesetz verhandelt. Was ist aus Ihrer Sicht das | |
wichtigste Ziel?Es muss zu einer grundlegenden Verkehrswende kommen: Radler | |
müssen den Platz bekommen, den sie brauchen. Das ist der wichtigste | |
Grundgedanke. Der zweite Punkt ist die Sicherheit: Es müssen endlich | |
weniger Unfälle passieren. Menschen aller Altersgruppen müssen sicher Rad | |
fahren können. | |
Glauben Sie, dass das Gesetz bald kommt? | |
Ich hoffe es. Auf den konkreten Zeitplan warten wir noch. | |
29 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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