# taz.de -- Alte Gemäuer: Ein Wärterhäuschen in Italien | |
> Die römische Regierung will Zollstationen und Burgen kostenlos an | |
> Selbstrenovierer verpachten. So soll der Tourismus in der Provinz | |
> anwachsen. | |
Bild: Ein Objekt für Qualitätstourismus? | |
Der eine spottet. Die Italiener würden „Schlossherren und Burgfrauen“ für | |
abgetakelte Ruinen suchen (Spiegel online). Ein anderer geißelt diese böse | |
„Hassrede“ über das Land der Schönheit und der kreativen Einfälle (FAZ | |
Blog). Ein typischer Schlagabtausch in der Presse. Das deutsche Gemüt | |
erregt sich, wenn es um Italien geht. Sogar wenn das Thema eher harmlos | |
ist. In diesem Fall werden weder Staatsschulden noch die Mafia diskutiert, | |
sondern die kostenlose Verpachtung von Staatsimmobilien an | |
Selbstrenovierer. | |
Die Regierung in Rom und die staatliche Immobilienagentur wollen | |
renovierungsbedürftige Bahnhäuschen, Zollstationen, verlassene | |
Militäreinrichtungen, Bauernhöfe und ein paar Burgen an Private abgeben. | |
Die Pächter sollen die Gebäude instandsetzen und ein Netz von Unterkünften | |
und Restaurants entlang alter Wanderwege und neuer Radfahrstrecken | |
schaffen. Das Ziel ist ein neuer, nachhaltiger Tourismus, fernab von | |
überfüllten Badestränden. | |
Die Italiener behandeln das in Deutschland hitzig diskutierte Thema eher | |
emotionslos. Es ist für sie auch nicht neu. Seit etwa zehn Jahren versucht | |
der Staat brachliegende Immobilien zu verkaufen oder zu verpachten. Allein | |
der Erhalt der unübersichtlich im Land verstreuten Kunstwerke kostet ein | |
Vermögen. Da sollten wenigstens die Gebäude etwas abwerfen. Anfangs | |
konzentrierte sich die Regierung auf Herbergen, Landgüter und Leuchttürme | |
in der Provinz. Viel Erfolgsmeldungen gibt es bislang noch nicht. Ab und zu | |
taucht das Foto eines wieder weiß strahlenden Leuchtturms auf, in dem nun | |
ein Museum untergebracht ist. | |
## Für den Wandertourismus | |
Jetzt aber soll das Ganze in ein Tourismuskonzept eingebettet werden. Das | |
Projekt „Cammini e Percorsi“ („Fußwege und Wanderrouten“) sieht vor, d… | |
über 100 Immobilien kostenlos an Privatpersonen und Unternehmen, Verbände | |
und Genossenschaften abgegeben werden, wenn ihnen diese ein neues Leben als | |
Osteria, Hotel, Herberge, Kulturzentrum, Ausbildungsstätte oder | |
Radwerkstatt einhauchen. | |
Die Gebäude liegen oft entlang der antiken Via Appia und des alten | |
Frankenwegs Via Francingena oder auf neuen Radrouten – auf jeden Fall | |
fernab der großen Städte und des Massentourismus. Der Pachtvertrag soll | |
neun plus neun Jahre dauern, bei Großprojekten wie ehemalige Ferienkolonien | |
können es auch 50 Jahre sein. | |
Vortritt haben lokale Gruppen und alle unter 40. Denn die | |
Jugendarbeitslosigkeit steigt weiter und der Tourismus gilt als Branche mit | |
Zukunft und Arbeitsplätzen. Bereits heute erwirtschaftet sie über zehn | |
Prozent des BIP und ihr Anteil an der Beschäftigung liegt bei 11,6 Prozent | |
– Tendenz steigend. Junge Unternehmensgründer und Start-ups können in den | |
ersten zwei Aufbaujahren des Projekts auch finanziell unterstützt werden. | |
Dafür sollen drei Millionen Euro locker gemacht werden. Das ist bei hundert | |
Projekten allerdings nicht besonders üppig. Den Rest muss jeder selbst | |
beschaffen. | |
Nach Meinung des zuständigen Transportministers Graziano Delrio liegt die | |
Initiative, die sich in der nachhaltigen Slow- Travel-Bewegung einordnen | |
möchte, voll im Trend. „Es existiert eine große Nachfrage nach | |
Qualitätstourismus. Wir müssen unser Angebot daran anpassen“, so Delrio. | |
Diese Nachfrage kommt verstärkt von den Deutschen. Für sie ist Italien | |
immer noch das Blühende-Zitronen-Sehnsuchtsland mit Meer und Sonne. Aber | |
sie wollen zunehmend auch biken, wandern, Kultur besichtigen, ordentlich | |
Pasta essen, gepflegt Wein trinken. | |
## Eine gute Idee | |
„Die Deutschen sind unsere besten Kunden. Jedes Jahr kommen 53 Millionen“, | |
erklärte Fabio Lazzerini von der Tourismusbehörde Enit anlässlich des | |
International Hotel Investment Forum in Berlin im März dieses Jahres. Trotz | |
allem Ärger mit überhöhten Preisen und schlechtem Service würden die | |
Deutschen das Urlaubsland Italien immer noch mit großzügigen 8,6 von 10 | |
Punkten bewerten, so der Unternehmerverband Confimprese. Nach Angaben der | |
Agentur Travel Appeal kommen die meisten Teutonen-Touristen aus den | |
wohlhabenden Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. | |
Italienbegeisterte Feriengäste könnten nun selbst auf den romantischen | |
Gedanken kommen, sich für ein Bahnhäuschen in der Toskana oder eine | |
geräumige Zollstation auf Sizilien zu interessieren. Das ist theoretisch | |
möglich. Die offizielle Ausschreibung gibt es auch auf Deutsch. Sie richtet | |
sich aber weniger an die Feriengäste als an die deutschsprachigen | |
Südtiroler. Und die Bürokratie ist kompliziert. Wie immer. | |
Dennoch ist „Cammini e Percorsi“ eine gute Idee. Vor allem, wenn es | |
gelingt, die verarmten und vom Billigflug-Tourismus abgehängten Gemeinden | |
in der Provinz über Rad- und Wanderwege in ein Netzwerk der langsam | |
Reisenden einzubinden. Und wer gern selbst eine Biker-Werkstatt in | |
Kalabrien oder eine Vollkornbäckerei auf der Appia Antica aufmachen würde, | |
hat auch nächstes Jahr noch eine Chance. 2018 und 2019 soll es wieder | |
Ausschreibungen mit neuen Stücken aus dem staatlichen Immobilienfundus | |
geben. | |
24 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Michaela Namuth | |
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