# taz.de -- Italien will Antike bewahren: Könnten Sie bitte mal mit anfassen? | |
> Wären Ruinen-Aktien für Pompeji besser als Staatsanleihen? Italiens | |
> Politiker planen jetzt eine Privatisierung der Ausgrabungen nahe dem | |
> Vesuv bei Neapel. | |
Bild: Misswirtschaft am Weltkulturerbe: Es droht ein zweiter Untergang | |
Durch die antiken Spurrillen toben Sturzbäche, kaum überragt von den | |
glitschigen Trittsteinen. Für Touristen sind die Regenfälle im Herbst | |
unbequem. Für die altrömischen Ruinen von Pompeji sind sie ein Desaster: | |
Der Ascheboden saugt sich voll und drückt Mauern ein. Mit Gittern hat der | |
Zivilschutz ganze Straßenzüge abgeriegelt. Der Stadt, die im Jahr 79 nach | |
Christus von einem Ausbruch des Vulkans Vesuv zerstört, zugleich aber | |
konserviert wurde, droht ein zweiter Untergang. Wie soll man 1.500 | |
unbewohnte Gebäude gegen Wasser und Wetter schützen? | |
Am 6. November war ganz Pompeji „geschlossen wegen Regen“. Vielleicht war | |
das aber nur eine Finte der Altertumsverwaltung. Archäologen hatten für | |
diesen Tag via Facebook zu einem großen Sit-in beim Amphitheater | |
aufgerufen. Sie wollten protestieren, weil praktisch nichts unternommen | |
wurde, seit vor einem Jahr die sogenannte Gladiatorenschule einstürzte – | |
spektakulär direkt an der Hauptstraße Pompejis. | |
Akut gefährdet sind ausgerechnet bereits restaurierte Gebäude: Bis in die | |
sechziger Jahre überzog man nicht nur Fresken mit einem Wachs, das jetzt | |
Farbpigmente auflöst, sondern belastete die Wände auch mit viel zu schweren | |
Betondecken. | |
Ein Untersuchungsbericht der Unesco bescheinigt den Verantwortlichen | |
Misswirtschaft, Unfähigkeit und Untätigkeit, wenn auch höflicher | |
formuliert. Zu viel Geld sei für „nicht dringende Projekte“ ausgegeben | |
worden, etwa Multimediaprojekte oder eine geplante Visite des ehemaligen | |
Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Derzeit seien nur 14 Prozent des | |
Grabungsgeländes öffentlich zugänglich – die jährlich rund 2,3 Millionen | |
Besucher würden sich auf einer zu kleinen Fläche drängen. | |
## Der dritte Kulturminister | |
Italienische Zeitungen argwöhnen, dass Pompeji nun mit einem am 29. | |
November unterzeichneten Abkommen als erste Weltkulturerbe-Stätte unter | |
direkte Aufsicht der Unesco gestellt werden soll. Lorenzo Ornaghi, der | |
heuer bereits dritte Kulturminister Italiens, spricht nur von „verstärkter | |
Zusammenarbeit“. | |
„Kooperation“ ist das Zauberwort der Politiker. Nämlich mit Investoren. | |
Private Firmen könnten Pompeji „effizient und effektiv“ managen, schwärmt | |
Stefano Caldoro, der Präsident der Region Kampanien. „Mäzenatentum muss die | |
Antwort sein“, meint Mario Resca, ehemaliger Chef von McDonalds Italia und | |
von Berlusconi zum Generaldirektor für die Verwertung des Kulturerbes | |
ernannt. Interesse zeigen bisher ein Gerber-Verband, Modefirmen aus Neapel, | |
ein französisches Konsortium und chinesische Industrielle. | |
Kritiker von „Ausverkauf und Kommerzialisierung“ raufen die Haare. Reicht | |
denn der Souvenirrummel vor dem Eingang nicht? Die als Gladiatoren | |
verkleideten Bettler? Die aufdringlich vermarkteten Wandbilder aus Pompejis | |
Hauptattraktion, dem frisch restaurierten Bordell? | |
Vom Staat ist jedenfalls nichts zu erwarten: Der Kulturanteil am | |
italienischen Budget fiel seit 2000 von 0,38 auf 0,19 Prozent, das heißt | |
1,4 Milliarden Euro für das ganze Land. Denkmalschützer maulen, die Türkei | |
habe die entsprechenden Ausgaben in dieser Zeit um das 19-Fache gesteigert, | |
auch deshalb ziehe Ephesos viermal mehr Besucher an als Pompeji. | |
Hilfreicher als Privatisierung wäre eine „effizientere Personalpolitik“, | |
meint Agnes Duckwitz vom Verein „Phoenix Pompeji“: „Heute werden weniger | |
Sekretärinnen, Buchhalter und Fahrer benötigt, dafür mehr Restauratoren, | |
Archäologen und Bauforscher.“ Der letzte Mosaikfachmann wurde vor Jahren | |
pensioniert. Die Chefs wechseln ständig und liegen im Dauerclinch mit | |
sieben verschiedenen, gern streikenden Gewerkschaften. Könnten vielleicht | |
die Touristen so nett sein und die vermüllten Abwasserkanäle freischaufeln? | |
An fehlenden Mitteln liegt es nicht, rechnete im Sommer der damalige | |
Kulturminister vor: 2010 habe die Altertumsverwaltung Neapel 50 Millionen | |
Euro zur Verfügung gehabt, aber nur 21 Millionen ausgegeben. Davon | |
unbeeindruckt stapfte Anfang November EU-Kommissar Johannes Hahn zu den | |
bröckelnden Wänden: Die EU wird in den nächsten drei Jahren 105 Millionen | |
Euro in die Rettung Pompejis investieren. | |
Dass darauf Staatssekretär Ricardo Villari unkte, bei den Ausgrabungen | |
treibe die Camorra ihr Unwesen, man müsse genau hinschauen, wo das viele | |
Geld lande – das kam nicht gut an. Wortreich empören sich nun | |
Bürgermeister, Verwalter und auch Mafia-Ermittler aus Neapel. Fad ist es am | |
Vesuv eigentlich nie, selbst wenn er nicht ausbricht. | |
1 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Ebner | |
## TAGS | |
Vesuv | |
Tourismus | |
Pompeji | |
Reiseland Belgien | |
Reiseland Italien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Alte Gemäuer: Ein Wärterhäuschen in Italien | |
Die römische Regierung will Zollstationen und Burgen kostenlos an | |
Selbstrenovierer verpachten. So soll der Tourismus in der Provinz | |
anwachsen. | |
Hamburg auf dem Antiken-Trip: Mythos unter dem Vulkan | |
Der antiken Stadt Pompeji, die auferstand aus Asche und Bimsstein, droht | |
längst neuer Verfall – aber ihr Ruhm floriert. Eine Hamburger Ausstellung | |
zeigt nun aber vor allem schöne Bilder | |
Reformen in Italien: Die schnelle Sparnummer | |
Rentenreform, Grundsteuer, Mehrwertsteuer: Der neue Regierungsschef Mario | |
Monti hat sein Sparprogramm vorgestellt. Und es trifft wieder die breite | |
Masse. | |
DENKMALSCHUTZ: Windräder gefährden Welterbe | |
Lübeck will vor seinen Toren einen Windpark bauen. Der könnte die Sicht auf | |
die Silhouette versperren und damit die Auszeichnung durch die Unesco | |
gefährden. | |
Kulturhauptstadt Mons: Drachen im Hochzeitssaal | |
Im Bergbauland: Die belgische Drachenstadt Mons, eine wenig beachtete | |
wallonische Provinzmetropole, darf sich 2015 als Europas Kulturhauptstadt | |
bezeichnen. | |
Die Denkmalpfleger von Pompeji: Die größte Ruine der Welt | |
Falsches Management, Geldmangel und das Wetter machen dem antiken Pompeji | |
zu schaffen. Die von der Vulkanasche befreiten Überreste von Pompeji | |
zerfallen zunehmend. |