Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Denkmalpfleger von Pompeji: Die größte Ruine der Welt
> Falsches Management, Geldmangel und das Wetter machen dem antiken Pompeji
> zu schaffen. Die von der Vulkanasche befreiten Überreste von Pompeji
> zerfallen zunehmend.
Bild: Die Ruinenstadt Pompeji: Im Hintergrund der Vesuv.
Auf ein Jahr Ausgrabung kommen fünf Jahre Konservierung", sagt Umberto
Pappalardo. Er verzieht das Gesicht. Wie die meisten Archäologen ist er der
Meinung, dass in Pompeji keine weiteren Ausgrabungen stattfinden sollten,
da man schon genug damit zu tun hat, das bereits Ausgegrabene zu bewahren.
Nur 14 Prozent des 44 Hektar großen Areals sind zurzeit überhaupt für die
Öffentlichkeit zugänglich; weitere 22 Hektar sind noch überhaupt nicht
erschlossen. Das hat zumindest den Vorteil, dass das, was unter der
erkalteten Lava ruht, bestens konserviert bleibt.
Es ist Montag früh und vermutlich der einzige Zeitpunkt in der Woche, in
der man ohne Schlangestehen das antike Pompeji betreten kann. Elf Euro
Eintritt für die größte Stadtruine der Welt.
Bis zu drei Millionen Besucher kommen jährlich nach Pompeji. Man müsse den
historischen Ort vor den Touristenhorden schützen, sagen einige. Das sei
unnötig, sagt Pappalardo. Die Eintrittsgelder sind eine der wenigen
verlässlichen Einnahmequellen. Denn auch wenn Pompeji zum Weltkulturerbe
zählt, so bringt das keinen Centesimo.
"Es fehlt vor allem an Geld", sagt Pappalardo. "Der Staat ist pleite." Er
klingt genervt. Hat der Staat kein Geld oder gibt er keines? Nutzlose
Diskussion, fest steht: Ein Kulturetat ist seit den Jahren der
Berlusconi-Regierung quasi nicht existent.
Gerade mal 0,2 Prozent des Staatshaushaltes sind für die Kultur vorgesehen.
Das ist nichts, wirklich nichts. Schon vor drei Jahren hatte Berlusconi den
Notstand für Pompeji ausrufen lassen, Sonderkommissare berufen. Das
Verwaltungschaos nahm dadurch eher zu.
Seither macht auch das Wort "valorizzazione" die Runde. Valore heißt Wert.
Valorizzazione meint aber nicht etwa: Wertschätzung, sondern Verwertung -
und zwar möglichst gewinnbringend. Marketing also. Die Sponsoren, die
Berlusconi für Pompeji vorschwebten, blieben aus; Pompeji verfiel weiter.
Im November vergangenen Jahres stürzte die "Domus dei Gladiatori" ein. Ein
Aufschrei ging durch die internationale Presse, der Kulturminister musste
gehen. In den Jahren zuvor sind, sagen die Archäologen, wichtigere Häuser
eingestürzt.
Das Gebiet um die Gladiatorenschule ist weiträumig mit weiß-roten
Plastikbändern und Gittern für Besucher abgesperrt. Auf sie stößt man in
Pompeji überall. Und auf Schilder, die knapp "Zutritt verboten" oder
"Bauarbeiten" verkünden.
## Das Gesamtkunstwerk Pompeji
An einer Stelle schlüpfen Touristen unter dem Absperrband durch - in einen
alten wiederbepflanzten Weingarten. Normalerweise wäre auch die
Berichterstatterin der Neugier gefolgt und mit durchgeschlüpft, hätte sie
nicht vorher Stefano Vanacore kennengelernt.
Die Touristen stören nicht, sagt der Leiter der Denkmalpflege. Aber: Sie
seien an Museen gewöhnt. Guckten nach oben statt nach unten. Nähmen nicht
wahr, wo sie hinträten. Das historische Straßenpflaster. Mosaiken. Frisch
Angepflanztes. Pompeji ist ein Gesamtkunstwerk, eine alte abgetakelte
Fregatte aus der Vorzeit, mitten im mafios infiltrierten Hinterland am Golf
von Neapel gestrandet.
Schatzsucher gibt es mehr als Rettungstrupps. Und zu wenig Wachleute. Auch
die Verwaltungsstrukturen sind überholt und verkrustet. Nachdem Pompeji
1997 in der Verwaltung und in den Finanzen eine gewisse Autonomie gewährt
wurde, hat man versäumt, auch zeitgemäße Strukturen zu schaffen. Der
Verwaltungsapparat mit ungeschulten Kräften ist aufgebläht; Fachpersonal -
Techniker, Denkmalpfleger, Archäologen - dagegen kaum vorhanden.
Auf hundert Verwaltungsangestellte kommen zehn Archäologen, schätzt Signore
Pappalardo. Und festangestellte Restauratoren wie Stefano Vanacore gibt es
nur drei.
Das Büro der Werkstätten, die Vanacore leitet, liegt im hinteren Teil eines
alten Palazzo auf dem Ausgrabungsgelände. Ein Kollege serviert Espresso in
kleinen Plastikbechern. "Unser größter Feind ist die Feuchtigkeit", sagt
Vanacore. Die Feuchtigkeit dringt in den Stein, wäscht Salze heraus, setzt
den Farben zu.
Alle Villen in Pompeji besaßen großartige Wandmalereien, die direkt auf
Putz aufgetragen wurden. Für die Wandmalereien, Mosaiken, Fresken, Säulen,
Brunnen, ja selbst für das antike Straßenpflaster aus Basalt sind die
Restauratoren von Pompeji zuständig. Ein Fass ohne Boden, ein Wettlauf
gegen die Zeit. 1.500 große Objekte: Wohnhäuser Tempel, Thermen, Arenen,
Foren. Für regelmäßige Inspektionen, Instandhaltung fehlen die Mittel, die
Leute, sagt Vanacore.
## Einstürzende Villen
Außerdem gibt es Sünden der Vergangenheit wettzumachen. So habe man früher
zur Konservierung falsche Materialien benutzt, erläutert der
Chefrestaurator. Bis in die 70er Jahre hinein habe man mit Wachs bei den
Wandmalereien gearbeitet. Dieser legte zwar eine Schutzschicht darüber,
veränderte aber auch die Farben, ging unter die Pigmente und löste sie auf.
Häuser versuchte man durch das Einziehen von Betondecken zu stabilisieren.
Viel zu schwer, weiß man heute. Manche Villa ist infolgedessen eingestürzt.
"Pompeji müsste eigentlich komplett überdacht werden." Das ist Stefano
Vanacores Traum. Denn die Überdachung böte Schutz vor Regen, Licht und
Sonne. Da die Farben der Wandmalereien in Pompeji nicht restauriert werden,
wie bei Gemälden etwa, sondern nur entstaubt und abgewaschen, ist es
wichtig, sie so gut wie möglich zu erhalten.
"Alle Schichten, das ist wichtig", wiederholt Vanacore. Deshalb sind nun an
der Casa dei Cei die alten Wahlinschriften unter Plexiglas mit UV-Filter
gesichert.
Pompeji müsste doch ein Ausgrabungsparadies für Archäologen sein, oder?
Schon. Aber: "Die ausländischen Unis kommen, machen ihre Grabungen und
gehen wieder", sagt Pappalardo achselzuckend. Der Archäologe hat ein
schönes und sündhaft teures Buch über die Wandmalereien der Pompejanischen
Häuser veröffentlicht.
## Chefin aller Vesuvstätten
Auch mit den Sponsoren ist es nicht viel besser, weiß die Soprintendente
Teresa Elena Cinquantaquattro. "Es ist nicht so schwer, einen Sponsor zu
finden, der das Colosseum restaurieren und in altem Glanz erstrahlen sehen
will." Doch was dann? "Jemanden für die planmäßige Instandhaltung zu
begeistern, so weit sind wir noch nicht", sagt sie nur.
Die Soprintendente - im Übrigen die vierte in Folge seit 2009 - hat ein
großes Arbeitsgebiet: Sie ist Chefin der Denkmalpflege aller Vesuvstätten -
also nicht nur für Pompeji, sondern auch für Ercolano (Herculaneum) und
Neapel.
In Ercolano wird an diesem Dienstag der Decumano Massimo, eine der
Hauptachsen des ebenfalls vom Vesuv in Lava und Asche gelegten Städtchens,
für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Ermöglicht hat das ein
interdisziplinäres und internationales Wissenschaftlerteam des Herculaneum
Conservation Projects (HCP), getragen vom US-amerikanischen Packard
Humanities Institute sowie der British School of Rome.
Zehn Jahre arbeitet das Team nun vor Ort, das erstaunlich jung und weiblich
ist. Die US-Archäologin Jane Thompson war von Anfang an dabei.
## Undichte Wasserrohre
Ist das Kooperationsmodell auf Pompeji übertragbar? Natürlich, sagt
Thompson. Der langjährige Leiter von HCP, Andrew Wallace-Hadrill, pflichtet
ihr bei. Pompeji sei zwar größer und habe andere Probleme als das besser
erhaltene Ercolano - in Pompeji sinds die Farben, in Ercolano das Holz, und
bei beiden ist es die Feuchtigkeit! Überdachung und die
Wiederinstandsetzung des alten Kanalisationssystems haben oberste
Priorität, hier wie da.
"Back to Basics!" ist seine Losung. Wasserrohre flicken, Dächer reparieren,
Gullys entmüllen. Infrastruktur statt aufwändiger Einzelrestaurierungen von
Prestigeobjekten wie der - allerdings wunderschönen - Villa dei Misteri in
Pompeji.
Licht fällt durch die offenen Fenster in die Innenräume des großen Hauses,
mit seinen aufgefrischten, dominierend roten Wandgemälden, die wohl Szenen
des Dionysoskultes zeigen. Man ist drinnen und draußen zugleich. Im
Halbdunkel der Geschichte, die sich hier erahnen lässt.
Soprintendente Cinquantaquattro hofft auf neue Mäzene, neue Projekte für
Pompeji, die wie das HCP außerhalb der italienischen Bürokratie
interdisziplinär arbeiten. Die Mitarbeiter vom Herculaneum Conservation
Project haben gut reden. Wo bei ihnen 30 Restauratoren arbeiten, sind es in
Pompeji drei.
Denkmalpfleger Stefano Vanacore sagt: "Eigentlich können wir den Bourbonen
dankbar sein. Die haben hier alles weggeschleppt." Fresken, Skulpturen,
Vasen, alles was nicht niet- und nagelfest war. "Heute befindet sich das
alles gut erhalten im Museum." Zu besichtigen im Museo Archeologico in
Neapel. Wenn es denn auf hat. Pompeji ist ganzjährig geöffnet.
2 Jul 2011
## AUTOREN
Sabine Seifert
Sabine Seifert
## TAGS
Reiseland Italien
Tourismus
Pompeji
Vesuv
## ARTIKEL ZUM THEMA
Alte Gemäuer: Ein Wärterhäuschen in Italien
Die römische Regierung will Zollstationen und Burgen kostenlos an
Selbstrenovierer verpachten. So soll der Tourismus in der Provinz
anwachsen.
Hamburg auf dem Antiken-Trip: Mythos unter dem Vulkan
Der antiken Stadt Pompeji, die auferstand aus Asche und Bimsstein, droht
längst neuer Verfall – aber ihr Ruhm floriert. Eine Hamburger Ausstellung
zeigt nun aber vor allem schöne Bilder
Italien will Antike bewahren: Könnten Sie bitte mal mit anfassen?
Wären Ruinen-Aktien für Pompeji besser als Staatsanleihen? Italiens
Politiker planen jetzt eine Privatisierung der Ausgrabungen nahe dem Vesuv
bei Neapel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.