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# taz.de -- Jan Wagner bekommt den Büchner-Preis: Die Kunst der Einlassung im …
> Jan Wagner, der im Herbst mit dem Georg-Büchner-Preis 2017 ausgezeichnet
> wird, hat ein Buch vorgelegt, in dem er Gelegenheitsarbeiten versammelt.
> jüngster Vergangenheit versammelt.
Bild: Erhält den Georg-Büchner-Preis 2017: Jan Wagner
Was ist ein Gedicht? Der Lyriker Jan Wagner charakterisiert das Gedicht als
verschlossenen Raum, der von höchstem Effekt auf den Leser ist, am Ende der
Zeilen aber vom Dichter verlassen wird. Der Dichter lässt den Schlüssel von
innen stecken – ein Motiv, das sich bereits in einer Erzählung von Edgar
Allan Poe findet. Er macht sich sodann aus dem Staub und lässt den Leser
mit einer durchdachten Komposition und einer Vielfalt von
Deutungsmöglichkeiten allein. In seiner Hermetik erweist sich das Poem als
größtmögliche Offenheit.
Jan Wagner, der im Herbst [1][mit dem Georg-Büchner-Preis 2017
ausgezeichnet wird], hat ein Buch vorgelegt, in dem er Gelegenheitsarbeiten
aus jüngster Vergangenheit versammelt. Da finden sich Dankesreden,
Vorträge, Radiobeiträge, Zeitungsartikel und unveröffentlichte
Aufzeichnungen. Mit dieser Zusammenstellung hält der Leser ein wunderbares
Kompendium der Auseinandersetzung mit den Problemständen und faszinierenden
Möglichkeiten der zeitgenössischen Dichtung in Händen, das einen Blick auf
den weiten Horizont eröffnet.
An dem als Idylliker verschrienen Eduard Mörike etwa lobt Wagner die
Fähigkeit, alltägliche Begebenheiten und gewöhnliche Gegenstände in Reime
fassen zu können, um sie – ganz im Sinn der Frühromantik – zu Initiatoren
von Offenbarung werden zu lassen. Auch die Nachtseite des Lebens, die
Nachbarschaft von Glück im Winkel und abgründigem Schrecken lässt Mörike
laut Wagner zur Geltung kommen.
Wagner bewundert Ted Hughes, den Dichter und Ehemann von Sylvia Plath, die
sich bis zu ihrem Selbstmord gegenseitig fördern konnten. Der Lyriker
sinniert über die Eigenart der Verse von Hughes, dessen Interesse an
mystischen Traditionen und zupackenden Pragmatismus, seine Kunst des
Amalgams aus Schönheit und Schonungslosigkeit, also seine produktiven
Widersprüche. Er rühmt das Übersetzen von Lyrik, das er selbst praktiziert,
in seinen Paradoxien und Chancen. Einen amüsanten Sonderfall der Geschichte
der Lyrik stellt die Erfindung fiktiver Persönlichkeiten dar, die angeblich
ein eigenständiges, von den Hervorbringungen der realen Verfasser
divergierendes Werk vorlegen.
Die erfundenen Gesänge Ossians aus der Feder von James Macpherson sind
ebenso wie die Heteronyme Fernando Pessoas zu erwähnen, aber auch
österreichische oder australische Dichter haben sich schreibende Alter Egos
ausgedacht. In diesem Zusammenhang macht Wagner darauf aufmerksam, dass
möglicherweise gerade im Willen zum Unterdurchschnittlichen das Exorbitante
hervorgebracht werden kann eine Feststellung, die wohl darüber hinaus ihre
Richtigkeit hat. All das beweist, dass das Verfertigen von Poesie die
Einheit von Arbeit und Vergnügen, von Schwelgen und Schaffen erfahren
lässt.
## Charmanter Unterhalter
Wagner sprüht nur so von bildhaften Vergleichen. Als er ein Stipendium für
einen Arbeitsaufenthalt in der Villa Massimo erhalten hat, lässt er seinen
Blick über den Park des Anwesens schweifen, um die Aussicht zu feiern als
„Einladung, die sich Morgen für Morgen wiederholte, wenn man die
Fensterläden öffnete und sich kneifen musste, geblendet wie eine gerettete
Barockseele im italienischen Licht stand“. Dass er als Dichter zu
beeindrucken weiß, wird auch an zahlreichen Lyrismen deutlich. Bei einer
Reise durch die kalifornische Landschaft entfaltet sich vor ihm ein
Panorama „mit Abenden, die der Flügelschlag einer einsamen Taube nur
stiller macht“.
Erzählen kann Wagner auch; er ist ein charmanter Unterhalter, der stets
Anekdoten und Belege für seine Thesen hat. Er notiert als Postkarten
titulierte Texte aus Rom, Kalifornien oder Neukölln und unterlässt es dabei
nicht, etwa in Los Angeles auf die Obdachlosen und ungenügend Versicherten
einzugehen, für die in Trumps dumpfer Vision der USA kein Platz ist. Die
Malerei eines Raffael wird beschrieben, der Reiz altehrwürdiger
Bibliotheken gewürdigt.
Auch ist über einen auf Hindernisse stoßenden Versuch einer Reise nach
Achill Island zu lesen, jenem Irland, das Heinrich Böll zu einem seiner
Schreiborte gemacht hatte. Trotz aller Schlaksigkeit des noch immer
jugendlich wirkenden Autors ist Wagner unnachgiebig im Zugriff auf seine
Gegenstände. Das ist „beiläufige Prosa“ mit jeweiligem gesellschaftlichem
Redeanlass, ja. Aber Wagner gelingt es, eine Verbindung aus Beiläufigkeit
und Radikalität herzustellen. „Der verschlossene Raum“ ist kein Hauptwerk,
aber eine Visitenkarte, die sich sehen lassen kann.
20 Jun 2017
## LINKS
[1] https://www.deutscheakademie.de/de/akademie/presse/2017-06-20/georg-buechne…
## AUTOREN
Eberhard Geisler
## TAGS
Georg-Büchner-Preis
Lyrik
Literatur
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Kunst
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