# taz.de -- Publizist über organisierte Kriminalität: „Es ist ein Eiertanz�… | |
> Gibt es Probleme bei der Berichterstattung über organisierte | |
> Kriminalität? Darüber schreibt der Journalist Olaf Sundermeyer im Buch | |
> „Bandenland“. | |
Bild: Ein erster Schritt? „Fahrraddiebstahl nicht mehr als Bagatelle sehen“ | |
taz: Herr Sundermeyer, inwiefern ist Deutschland ein „Bandenland“? | |
Olaf Sundermeyer: Zahlenmäßig ist das Problem die Eigentumskriminalität: | |
Diebstahldelikte, die massiv zugenommen haben, vor allem seit Öffnung des | |
Schengenraumes nach Osteuropa. Und ein Gros dieser Eigentumskriminalität | |
ist auf organisierte Banden zurückzuführen. | |
Ist das ein relevantes Problem? Gleichzeitig schreiben Sie doch, dass die | |
Hälfte allen durch Kriminalität verursachten Schadens in Deutschland durch | |
Wirtschaftskriminelle à la Uli Hoeneß entsteht. | |
Es war mir wichtig, das zu erwähnen. Das Thema meines Buches ist aber nicht | |
Wirtschaftskriminalität, sondern sind die – zum großen Teil reisenden – | |
Banden: weil dieses Problem relativ neu ist und außerhalb der öffentlichen | |
Wahrnehmung stand in den vergangenen Jahren. Das sagen alle Leute, die | |
damit zu tun haben: Ermittler, Staatsanwälte, Strafverteidiger und im | |
Übrigen auch die Täter selbst, mit denen ich gesprochen habe. | |
Was sagen die Täter? | |
Dass, wenn ein Wohnungseinbruch stattfindet oder ein Fahrrad gestohlen | |
wird, den Opfern in den wenigsten Fällen bewusst ist, dass dahinter eine | |
organisierte Struktur steht. Die Leute gucken sich stattdessen etwa in | |
Berlin auf den Trödelmärkten um: Wo ist mein Fahrrad? | |
Woher kommt dieses Nichtwissen um die Zusammenhänge? | |
Von der Politik wurde das immer weggedrückt und gesagt, es handle sich um | |
Einzeltäter. Die Polizei macht aber nur das, was die Politik will, und die | |
Politik macht, was in der öffentlichen Debatte steht. | |
Was wäre ein konkreter Plan gegen den Fahrradklau? | |
Man muss sich davon trennen, Fahrraddiebstahl als Bagatelle abzuhandeln. | |
Dann braucht man mehr Ressourcen, mehr Personal. Und man muss mit den | |
Ländern, wo die Ware hingeht – Baltikum, Polen – zusammenarbeiten. | |
Letzteres passiert bislang nicht? | |
Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat das relativ erfolgreich gemacht. In | |
Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen konnte sie einen Fall | |
organisierten Fahrradklaus in der Region aufklären. Solche Ansätze sind | |
aber nie von Dauer gewesen, auch nicht, was den Kfz-Diebstahl angeht | |
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Autoindustrie von dem organisierten | |
Klau sogar profitiert. | |
Definitiv. Jedes Auto, das gestohlen wird, vor allem bei hochwertigen Wagen | |
aus Dienstflotten, wird neu angeschafft. Der abschließende Nachweis, dass | |
die Industrie nicht alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Autos | |
zeitgemäß gegen Diebstahl zu sichern, ist noch nicht erbracht. Das wäre | |
auch ein sehr schwerer Vorwurf, der aber bei allen Gesprächen mit den | |
Fachleuten aus den Landeskriminalämtern im Raum steht. | |
Wenn man Ihr Buch liest, könnte man den Eindruck gewinnen, schuld daran, | |
dass in Deutschland aus Ausländern bestehende Banden tätig sind, sei ein | |
linksliberales Milieu, das sich, wie Sie schreiben, nicht „ehrlich machen“ | |
will, das „Denkverbote“ aufstellt, kurz: eine „falsch verstandene | |
politische Korrektheit“. Würden Sie dieser These zustimmen? | |
Da würde ich Ihnen widersprechen. Ich erwähne verschiedene durch Zahlen | |
belegbare Ursachen für den Anstieg der Eigentumskriminalität, darunter die | |
Öffnung des Schengenraums. Dass Europa die wunderbare Freizügigkeit | |
genießt, hat zur unmittelbaren Folge auch den Anstieg der | |
Eigentumskriminalität aus Osteuropa. Damit muss man umgehen. Und dass man | |
das über Jahre nicht getan hat, hat auch mit dieser falsch verstandenen | |
politischen Korrektheit zu tun. Niemand stiehlt etwas, weil er Rumäne oder | |
Pole ist. Sondern Menschen tun das, weil es einfach ist und weil sie das | |
Gefühl haben, dabei zumeist straffrei davonzukommen. Das Gleiche gilt für | |
die aktuelle Debatte über Kriminalität und Flüchtlinge: Man weiß, dass es | |
kleine Gruppen aus bestimmten Flüchtlingskreisen gibt, die verantwortlich | |
sind für eine Zunahme von bestimmten Kriminalitätsdelikten in bestimmten | |
Regionen Deutschlands. Das muss man benennen. | |
Ein Kapitel in Ihrem Buch trägt den Titel „Die Lehren aus ‚Köln‘ “, a… | |
aus den massiven Übergriffen in der Silvesternacht 2015. Welche Rolle | |
spielt „Köln“ in einem Buch über organisierte Kriminelle in Deutschland? | |
Zunächst: Die Komponente sexuelle Gewalt, die zur Aufladung von „Köln“ | |
erheblich beigetragen hat, spielt in meiner Betrachtung keine Rolle, diese | |
Debatte möchte ich auch nicht führen. Im Rheinland, in Köln und Düsseldorf, | |
ist die von mir behandelte drastische Zunahme der Eigentumskriminalität in | |
bestimmten Bereichen auf organisierte Banden zurückzuführen. Es gibt | |
deutliche Überschneidungen von diesem Milieu und dem, was in der | |
Silvesternacht in Köln stattgefunden hat. Und die wenigen Leute, die in | |
Köln bekannt wurden, haben fast alle eine kleinkriminelle Vergangenheit. | |
Ein Großteil der Zunahme von Taschendiebstählen in NRW ist auf Täter | |
zurückzuführen, die von der Polizei, der Soko Casablanca, in der | |
sogenannten Nafri-Datei gespeichert wurden, also von Menschen aus den | |
Maghrebstaaten. Dieses Phänomen war allen, die sich mit Kriminalität | |
beschäftigen, schon lange vor der Silvesternacht 2015 bekannt. Nur hat es | |
vor dieser Nacht keine öffentliche Debatte darüber gegeben – schon gar | |
nicht in den überregionalen Medien. Mir haben Ermittler gesagt: Köln hat | |
uns im Prinzip geholfen. | |
Welche Rolle spielen die Medien? | |
Ich kann jetzt über mich reden und sagen, dass ich in den vergangenen | |
Jahren immer große Widerstände hatte, über das Thema zu berichten. Mir war | |
es zum Beispiel wichtig, über organisierte Taschendiebe in Berlin zu | |
berichten, deren Struktur als organisierte Kriminelle analog zu | |
Familienstrukturen von Roma-Clans ist. Das war sehr schwierig | |
durchzusetzen, weil sich in unseren Kreisen immer die Frage stellte: Um | |
Gottes willen, diskriminieren wir diese Menschen nicht? Aber ich bin der | |
Meinung, dass das Wesen dieser organisierten Kriminalität des | |
Taschendiebstahls in Berlin und NRW nur über die Familienstrukturen zu | |
erklären ist. Es ist ein schmaler Grat, aber es war immer mein Anspruch, | |
das zu benennen, ohne auf die Seite derjenigen zu wechseln, die das aus | |
fremdenfeindlichen Motiven tun. | |
In Ihrem Buch sprechen Sie von Menschen, bei denen Integration gescheitert | |
sei, zum Beispiel von kriminellen arabischen Großfamilien in Berlin. Was | |
unterscheidet die von der Mafia in Italien? | |
In Italien sind Menschen kriminell, die gesellschaftliche Macht haben. In | |
Deutschland leben die Leute, die Sie ansprechen, am Rand der Gesellschaft. | |
Deswegen ist es einfach, mit dem Finger auf sie zu zeigen. Die | |
Sicherheitsbehörden machen das aber nicht so gerne, weil sie dann einräumen | |
müssten, dass es ein Problem gibt, das man nicht gelöst hat. Da muss man | |
ticken wie eine Behörde, um das verstehen zu können. Im Wahljahr fällt man | |
dann in hektische Betriebsamkeit, die Politik will sich bewusst | |
handlungsfähig zeigen, nach dem Motto „Wir haben die Lösungen, die AfD hat | |
sie nicht“. | |
Viele Leute in den Sicherheitsbehörden stehen aber der AfD nahe. Beunruhigt | |
Sie das? | |
Das beunruhigt mich sehr. Ich kenne viele dieser Polizisten, | |
Justizvollzugsangestellten, Staatsanwälte und Richter, die AfD-Mitglieder | |
oder -Sympathisanten sind. In Sachsen sehe ich das zum Beispiel als | |
Riesenproblem, auch weil ich in meiner Arbeit dort merke, dass die Polizei | |
bei Demonstrationen sehr viel mehr Sympathie für die rechte Szene aufbringt | |
als etwa in Berlin. Die AfD ist eine zutiefst rassistische Partei, sie geht | |
davon aus, dass bestimmte Menschen weniger wert sind als andere. Und das | |
darf bei keinem Polizisten und schon gar nicht bei einem Richter oder | |
Staatsanwalt vorkommen. | |
Warum haben die kriminellen arabischen Familienclans in Ihrem Buch keine | |
Namen? Nennt man sie nicht, weil man sonst von den potenten | |
Anwaltskanzleien, die diesen Clans zuarbeiten, verklagt wird? Oder weil man | |
persönlich bedroht wird? | |
Über konkrete Bedrohungen im Zusammenhang mit meiner Arbeit rede ich | |
grundsätzlich nicht. Aber ich gebe Ihnen recht: Es ist ein Eiertanz | |
zwischen Erkenntnisvermittlung und dem Risiko, das man eingeht. Und ich | |
empfinde das als Belastung. Aber damit muss man umgehen. | |
21 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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