# taz.de -- Deutsche Exportüberschüsse: Ist doch nicht unsere Schuld | |
> Deutschland hat einen zu hohen Exportüberschuss, sagt das Ausland. Aber | |
> wieso ist das schlecht? Die wichtigsten Fragen und Antworten. | |
Bild: Zu viel weggeschafft: Mit seinen Exportüberschüssen schadet Deutschland… | |
Wieso attackiert der französische Präsident Emmanuel Macron die deutschen | |
Exportüberschüsse als „nicht tragbar“? | |
Frankreich ist gegenüber Deutschland nicht mehr konkurrenzfähig, denn seit | |
der Einführung des Euros sind die französischen Lohnstückkosten deutlich | |
stärker gestiegen als die deutschen. [1][Macron hat jetzt angekündigt], | |
dass er die französischen Löhne auch „flexibilisieren“ will. Das ist | |
[2][sehr gefährlich]: Wenn die Löhne stagnieren oder gar fallen, bricht die | |
Binnennachfrage ein und es kommt zu einer Rezession in Frankreich. | |
## Wer kritisiert Deutschland sonst noch? | |
Eigentlich jeder im Ausland. Auch Präsident Donald Trump ärgert sich über | |
die deutschen Exportüberschüsse. „Bad, very bad“, twitterte Trump. | |
Kritik kommt aber auch von internationalen Organisationen. Im April sagte | |
IWF-Chefin Christine Lagarde in Berlin sehr deutlich: „Ausufernde | |
Überschüsse müssen korrigiert werden.“ Die OECD warnt ebenfalls seit | |
Jahren: „Ein großer Handelsbilanzüberschuss trägt zu den globalen | |
Ungleichgewichten bei.“ | |
## Aber es muss doch erlaubt sein, zu exportieren! | |
Es geht nicht um Deutschlands Exporte – sondern um die Überschüsse. | |
Deutschland exportiert viel mehr, als es importiert. 2016 betrug dieses | |
Plus 261 Milliarden Euro. Dies entsprach 8,3 Prozent der | |
Wirtschaftsleistung. Deutschland kann ruhig „Exportweltmeister“ sein. Aber | |
dann muss es auch „Importweltmeister“ sein, damit der Außenhandel | |
ausgeglichen ist. | |
## Warum soll der Überschuss denn schlecht sein? | |
Simple Logik: Man kann nur Überschüsse haben, wenn andere Defizite machen. | |
Da Deutschland jedes Jahr mehr exportiert als importiert, können die | |
Menschen in den anderen Ländern gar nicht das nötige Geld haben, um die | |
hiesigen Waren und Dienstleistungen zu kaufen. Sie müssen Kredite aufnehmen | |
und sich verschulden – bei deutschen Banken. | |
## Es ist doch nicht unser Problem, wenn sich die anderen verschulden. | |
Doch. Wenn die ausländischen Kunden ständig neue Kredite aufnehmen, sind | |
sie irgendwann pleite. Sie können ihre Schulden bei den deutschen Banken | |
nicht mehr bedienen. Die Finanzkrise ab 2007 ist ein gutes Beispiel: In | |
Deutschland gab es damals keine Immobilienblase – trotzdem waren fast | |
alle deutschen Banken insolvent, weil sie direkt und indirekt die | |
Konsumschulden in den USA und in anderen Ländern finanziert hatten. | |
Die Deutschen verlieren enorm viel Geld im Ausland, weil ihre Kunden die | |
Schulden nicht zurückzahlen können. DIW-Chef Marcel Fratzscher hat es | |
kürzlich vorgerechnet: Deutschlands Exportüberschüsse belaufen sich seit | |
dem Jahr 2000 auf summiert 2.200 Milliarden Euro. So groß müsste also auch | |
das Auslandsvermögen sein – doch es beträgt derzeit nur 1.600 Milliarden | |
Euro. 600 Milliarden Euro sind also verschwunden. Oder anders gesagt: Die | |
Deutschen haben ihre Waren nicht verkauft – sondern verschenkt. | |
## Und wie reagiert die deutsche Politik auf das Problem der | |
Exportüberschüsse? | |
Gar nicht. Die Parteien stellen sich taub. In den Wahlprogrammen von Union | |
und SPD kommen die deutschen Exportüberschüsse nicht vor – und auch bei den | |
Grünen fehlt das Thema. Das will der Kreisverband Münster ändern: Am | |
Wochenende findet der grüne Programmparteitag statt, und die Münsteraner | |
fordern in einem Änderungsantrag ein „außenwirtschaftliches Gleichgewicht�… | |
Allerdings machen sie sich nur „durchmischte“ Hoffnungen, eine Mehrheit zu | |
erzielen. Initiator Stefan Riese gibt zu: „Wir stehen da ziemlich alleine.“ | |
Denn viele Wähler, auch bei den Grünen, würden nicht verstehen, was an den | |
Exportüberschüssen schwierig sein soll. „Die herrschende Meinung ist, dass | |
Deutschland ‚tolle Produkte‘ hat und deswegen so viel verkauft.“ | |
## Aber sind die deutschen Produkte denn wirklich toll? | |
Keine Frage: Deutsche Produkte sind weltweit beliebt. Auch in der | |
Vergangenheit hatte Deutschland oft Exportüberschüsse. Aber es fällt auf, | |
dass das Plus seit 2004 markant steigt – und weit höher liegt als früher. | |
Das ist kein Zufall. Denn Deutschland hat „Lohndumping“ betrieben, wie es | |
die Kritiker nennen. Es hat dafür gesorgt, dass seine Lohnstückkosten | |
längst nicht so stark gestiegen sind wie in anderen Euroländern. | |
Deutschland hat sich also einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Wichtig ist: | |
Dieser Trick funktioniert erst, seitdem Deutschland im Euro ist. Würde es | |
noch die D-Mark geben, wäre ihr Kurs längst gestiegen. Durch diese | |
Aufwertung wären die deutschen Produkte auf den Weltmärkten wieder teurer | |
geworden. Das Lohndumping hätte also nichts genutzt. Aber im Euro sind die | |
Deutschen geschützt und konnten „intern abwerten“, so der Fachbegriff. | |
## Wenn das „Lohndumping“ für Deutschland funktioniert hat – warum soll … | |
in Frankreich schaden? | |
Deutschland hat davon profitiert, dass es als erstes Land seine Löhne | |
gedrückt hat. Wenn alle großen Eurostaaten anfangen, bei den Löhnen zu | |
kürzen, dann kommt es zu einer schweren Rezession in der Eurozone, weil | |
niemand mehr das Geld hat, die produzierten Waren zu kaufen. | |
## Aber wieso haben die deutschen Gewerkschaften nicht dafür gesorgt, dass | |
die Löhne ordentlich steigen? | |
Die Löhne werden zwar in den Tarifverhandlungen bestimmt, aber die deutsche | |
Politik hat dafür gesorgt, dass die Gewerkschaften oft machtlos sind – und | |
keine höheren Löhne durchsetzen können. Beispiel Hartz IV: Wenn | |
Arbeitnehmer wissen, dass sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in die Armut | |
abrutschen, dann sind sie erpressbar. Zudem haben deutsche Unternehmen die | |
Möglichkeit, aus dem Arbeitgeberverband auszuscheiden – sodass die | |
Tariflöhne für sie nicht gelten. | |
## Aber ausgerechnet in der deutschen Exportindustrie sind die Löhne doch | |
besonders hoch. Wo soll da der Wettbewerbsvorteil sein? | |
Es stimmt, dass die Kernbelegschaft in den Großkonzernen sehr gut verdient. | |
Aber das gilt schon nicht mehr für die Mitarbeiter der Kantine oder das | |
Putzpersonal. Durch das Outsourcing profitiert auch die Exportindustrie von | |
dem riesigen Niedriglohnsektor, der in Deutschland entstanden ist. Zum | |
Outsourcing gehört auch, dass die Großkonzerne nur noch wenige Komponenten | |
selbst herstellen – und vieles von Zulieferfirmen beziehen, die weitaus | |
niedrigere Löhne zahlen. | |
## Was soll Deutschland tun? | |
Ökonomen wie der Wirtschaftsweise Peter Bofinger oder der ehemalige | |
Unctad-Chefvolkswirt Heiner Flassbeck schlagen vor, dass die deutsche | |
Politik dafür sorgt, dass die Löhne in Deutschland deutlich steigen. | |
Denkbare Maßnahmen: Man könnte den Mindestlohn erhöhen, die Leiharbeit | |
einschränken und die Tarifbindung verstärken. Wenn die Beschäftigten mehr | |
Geld haben, würden wir auch wieder mehr importieren. | |
## Höhere Löhne würden aber Arbeitsplätze in der Exportindustrie kosten? | |
Es ist nicht auszuschließen, dass einige Exportfirmen nicht mehr | |
konkurrenzfähig wären, wenn sie höhere Löhne zahlen müssten. Gleichzeitig | |
würde aber die Nachfrage in Deutschland anziehen, wenn die Gehälter | |
steigen. Es würden also mehr Arbeitsplätze im Inland entstehen. | |
## Stimmt es überhaupt, dass höhere Löhne mehr Importe bedeuten? | |
Zum Import gehören auch Auslandsreisen. Es ist durchaus damit zu rechnen, | |
dass noch mehr Deutsche ihren Urlaub in Griechenland oder Spanien | |
verbringen, wenn sie mehr Geld verdienen. | |
Trotzdem ist richtig, dass nur jeder vierte Euro der deutschen Konsumenten | |
direkt in den Import fließt. Dies ist aber kein Einwand. Denn wenn die | |
Arbeitnehmer ihre Lohnzuwächse in Deutschland ausgeben, dann würde dies ja | |
die deutsche Wirtschaft stimulieren – und damit neues Wachstum und weitere | |
Importe auslösen. Gleichzeitig steigen auch die Steuereinnahmen des | |
deutschen Staates, der ebenfalls zum Teil im Ausland einkauft. Es wäre eine | |
Win-win-Situation für alle: Die deutschen Arbeitnehmer würden genauso | |
profitieren wie das Ausland. | |
17 Jun 2017 | |
## LINKS | |
[1] /!5419721/ | |
[2] /!5416608/ | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
## TAGS | |
Löhne | |
Export | |
Import | |
Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
Lohndumping | |
Tariflöhne | |
Gewerkschaft | |
Banken | |
Grüne | |
Lesestück Interview | |
Jamaika-Koalition | |
Deutschland | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
IWF | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Spaniens Bankenlandschaft: Weniger Filialen, mehr Online | |
In Spanien zeigen sich die Nachwirkungen der Immobilienblase. Gleichzeitig | |
hat die Pandemie den Trend zum Online-Banking verstärkt. | |
Forderung beim Grünen-Parteitag: EZB soll normal werden | |
Die Grünen aus Münster wollen die Finanzmärkte entmachten. | |
EU-Parlamentarier Giegold befürwortet eine „modifizierte Übernahme“ des | |
Antrags. | |
„Wirtschaftsweiser“ über Regierung: „Trend zum Neoliberalismus gestoppt�… | |
Peter Bofinger zieht eine überraschend positive Bilanz als | |
Regierungsberater. Zum Abschied rät er der Regierung, die Schuldenbremse zu | |
lockern und viel zu investieren. | |
Peter Bofinger über Finanzpolitik: „Die Schuldenbremse lockern“ | |
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger rät zu mehr Investitionen auf | |
kommunaler Ebene. Ob das mit Jamaika klappt? Er ist skeptisch. | |
Deutsche Exporte: Gut fürs EU-Ausland? | |
Deutsche Exportüberschüsse schädigen die Wirtschaft in Nachbarländern | |
nicht, sondern sichern dort Millionen Arbeitsplätze. Zumindest laut | |
Prognos. | |
Heiner Flassbeck über Macrons Politik: „Es fehlt eine gemeinsame Vision“ | |
Macron wird mit seiner Wirtschaftspolitik scheitern, prognostiziert Ökonom | |
Heiner Flassbeck. Auch weil er Deutschland in Sachen Löhne kopieren wolle. | |
Pro & Contra Politik Frankreich: Haben Macrons Reformen Chancen? | |
Macron steht auch bei der Parlamentswahl vor einem großen Sieg. Seine | |
Politik wird sehr unterschiedlich beurteilt. | |
Arbeitslosigkeit durch Globalisierung: Handel macht nicht alle glücklich | |
Globalisierung produziert auch Armut, so eine Studie. Präsentiert wird | |
diese Erkenntnis überraschenderweise von Weltbank, IWF und WTO. |