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# taz.de -- Zusammenleben am Leopoldplatz: „Plätze sind Bühnen des Stadtleb…
> Gestört zu werden, gehöre zum Stadtleben dazu, sagt Stadtforscher Stephan
> Lanz. Wer wie öffentlichen Raum nutzt, sei auszuhandeln.
Bild: Am Leopoldplatz in Wedding gibt es schon länger Probleme mit der Trinker…
taz: Herr Lanz, welche Funktion haben Plätze in der Großstadt?
Stephan Lanz: Plätze sind die urbanen öffentlichen Orte par excellence.
Alle sozialen Gruppen sollten dazu Zugang haben. Es sind Bühnen, auf denen
sich das städtische Leben in all seiner Vielfalt und Dichte zeigt. Plätze
haben aber auch eine repräsentative Funktion: Es gibt Kirchplätze,
Schlossplätze, Rathausplätze mit Monumenten, an denen sich die
dominierenden Gruppen einer Stadt oder einer Nation repräsentieren. Es
kommt häufig zu Konflikten, wenn Gruppen einen Platz nutzen, die wegen der
repräsentativen Funktion dort nicht erwünscht sind. Oder weil sich
bessergestellte Gruppen gestört fühlen.
Am Leopoldplatz sagen Anwohner, die Trinker- und Drogenszene sei so
präsent, dass sie nicht mehr ungestört einkaufen oder zur U-Bahn gehen
könnten.
Das ist ein klassischer Nutzungskonflikt. Der Leopoldplatz ist ein sehr
zentraler Ort in einem Stadtteil, wo viele ärmere und diskriminierte
Gruppen leben. Gerade sie nutzen Plätze mehr als andere, weil sie keine
Infrastruktur haben oder kein Geld, sich andere Orte anzumieten.
Wie können solche Nutzungskonflikte vermieden werden?
Zum einen kann man den Platz sinnvoll gestalten. Auch am Leopoldplatz ist
ja versucht worden, für die unterschiedlichen sozialen Gruppen
unterschiedliche Orte einzurichten, damit sie den Platz gleichzeitig nutzen
können. Zum anderen kann man Quartiersmanager oder Streetworker
beschäftigen, die Konflikte moderieren.
Soziologen sagen, Gleichgültigkeit sei urbane Tugend: Städtern sind die
Verhaltensweisen anderer häufig egal, das macht sie tolerant.
Auszuhalten, dass Menschen einem sehr nahe rücken, obwohl sie ganz anders
drauf sind – ohne diese Fähigkeit wäre städtisches Leben nicht denkbar. Das
ist die dritte Option, die die Politik hat: Sie kann darüber aufklären,
dass ein bestimmtes Level an Gestörtwerden zum städtischen Leben
dazugehört.
Am Leopoldplatz reicht diese Erklärung manchen nicht mehr. Wo sind die
Grenzen der urbanen Gleichgültigkeit?
Wenn es Übergriffe gibt, muss die Politik einschreiten. Oder wenn es
beständige Versuche einer Gruppe gibt, Plätze einzunehmen, anderen
wegzunehmen, also de facto zu privatisieren. Wann man einschreitet, ist
dann aber eine Frage des gesellschaftlichen Aushandelns. Die
Toleranzschwellen sind je nach Stadtteil sehr verschieden. An einem Ort wie
dem Kottbusser Tor wissen alle, die sich dort aufhalten, dass es ein von
extremst verschiedenen Leuten genutzter Ort ist. Wer dort lebt, ist eher
bereit, Konflikte zu ertragen. In bürgerlicheren Kiezen – vor allem in
denen, die erst kürzlich gentrifiziert wurden – gibt es dagegen häufig eine
viel größere Intoleranz, beispielsweise in Teilen des Prenzlauer Bergs.
Wenn sich etwa eine Trinkerszene ausbreitet – müssen dann die Bezirksämter
gerade in armen Vierteln nicht etwas tun, um eine Negativspirale für den
Kiez zu verhindern?
Das ist die Broken-Windows-Theorie, der zufolge auch eine kleine
Verwahrlosung eine größere Verwahrlosung nach sich zieht. Diese Theorie
wurde von reaktionären Kreisen in den USA erfunden, es gibt für sie
keinerlei empirische Belege. Was aber klar ist: Wenn bestimmte Orte
permanent unter drastischen Konflikten leiden, meiden Menschen diesen Ort
und ziehen weg. Es bleiben die, die sich nichts anderes leisten können.
Insofern hat die Politik schon eine Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass
so etwas nicht passiert.
Mehr über den Leopoldplatz, die Geschichte des Konflikts und Versuche ihn
zu lösen gibt es im Berlin-Teil der taz.Am Wochenende. Im Print- oder
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9 Jun 2017
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
## TAGS
Wedding
Öffentlicher Raum
Stadtplanung
Gentrifizierung
Berlin
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