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# taz.de -- Zuschauer bei der Tour de France: Tour de Fans
> Nirgendwo sonst kommen Anhänger ihren Idolen so nahe wie bei der
> Frankreich-Rundfahrt. Ein Trip auf den Gipfel des legendären Mont
> Ventoux.
Bild: Ein begeisterter Zuschauer am Wegesrand der Tour
Der Lavendelduft, den der Wind sonst so sanft durch die Provence haucht,
ist verflogen. Und selbst dem kräftigen Thymian geht die Puste aus.
Beißender Gummigeruch hat all die feinen Blumen- und Kräuternuancen
zerschmettert. Er stammt von Wohnmobilen, Autos und Motorrädern, die auf
der anderen Straßenseite mit heißen Bremsen dem Tal entgegenrattern. So
riechen also 20 Kilometer Abfahrt.
Wie schmecken wohl 20 Kilometer Auffahrt mit dem Velo? Wir sind dabei, das
herauszufinden. Unser Trip führt mit dem Rennrad von Bédoin auf den Gipfel
des legendären Mont Ventoux. Die durchschnittliche Steigung über die 21,2
Kilometer beträgt 7,6 Prozent. Das Thermometer zeigt mehr als 30 Grad, und
bald verlassen uns die Pinien, die jetzt wenigstens noch streifenweise
Schatten spenden.
Es gibt einen Grund, warum wir im Juli diesen Berg angehen: Die Tour de
France, die am 1. Juli in Düsseldorf gestartet ist, rollt durch Frankreich.
Sie ist das drittgrößte Sportereignis der Welt und bietet das maximale
Fan-Erlebnis. Während die Zuschauer bei Fußball-WM oder Olympischen Spielen
ihre Stars mit dem Fernglas einfangen müssen, ist bei der Tour alles
anders: Kurz vor dem Start noch schnell ein Selfie mit Alberto Contador, am
Berg kraftvoll Chris Froome angeschoben, im Ziel noch flugs ein Autogramm
von Simon Geschke ergattern. Berühren statt bewundern. Dieses
Lass-die-Fans-nah-ran-Prinzip soll bleiben, auch wenn die Tour wegen
möglicher Terrorgefahr seit vergangenem Jahr von einer Eliteeinheit der
französischen Polizei beschützt wird.
Zuschauer brauchen für die Rennen noch nicht einmal ein Ticket, jeder ist
gratis dabei, selbst das Campen an der Strecke kostet lediglich ein
bisschen Anstrengung, um sich frühzeitig einen guten Platz zu sichern. Das
Spektakel wird endgültig zur Tour de Fans, weil man sich mit den Profis
messen kann. Man betritt dasselbe Sportfeld, fühlt und leidet wie sein
Vorbild.
## Ziel: der Mont Ventoux
Ein echter Radfahrer wird nie zufrieden sein, bevor er nicht mindestens
einen der Tour-de-France-Giganten bezwungen hat. Der Mont Ventoux gehört
zweifelsfrei dazu. Er schöpft seine Berühmtheit aus unterschiedlichen
Quellen. Auch uns zeigt er sein doppelzüngiges Gesicht: Im Tal ist es
glutheiß, am Gipfel bitterkalt. Immerhin bleibt uns der gnadenlose Wind
erspart, dem der Berg seinen Namen verdankt.
Die 1.911 Meter hohe Erhebung, die in der Provence alles um Weiten
überragt, war bereits 16. Mal Teil des gigantischen Radspektakels.
Dopingsünder wie Iban Mayo oder der verstorbene Marco Pantani haben schier
unmenschliche Fabelzeiten am Mont Ventoux hingelegt. Und der Berg hat auch
ein Velo-Opfer gefordert, wobei die Wahrheit ziemlich verklärt ist. Am
letzten steilen Anstieg des kargen Gipfelplateaus, wo links und rechts nur
weiß-gelbes Geröll liegt, das eine geradezu absurde Mondlandschaft
entstehen lässt, haben die Fans eine Pilgerstätte für Tom Simpson
geschaffen.
1967 brach der Brite an dieser Stelle zusammen und starb an einer Mischung
aus Erschöpfung, Amphetaminen und Alkohol. Viele halten hier am Denkmal und
„opfern“ ihre Trinkflasche. Wir stoppen nur kurz und lassen unsere
Plastikflasche auffüllen, denn unser Hilfsmittel am Berg ist ein
Begleitfahrzeug, in dem der fürsorgliche Clemens sitzt. Er hat Bananen,
Energie-Riegel, einen Kanister Wasser und einen großen Werkzeugkoffer an
Bord.
Mindestens so wichtig ist aber die moralische Unterstützung, und sei es nur
ein kurzes Lächeln und ein gereckter Daumen, mit dem er uns Mut macht.
Wenig später am Gipfel nimmt er uns mit einer warmen Decke in Empfang,
besorgt eine heiße Tasse Tee und baut ein kleines Buffet auf, während wir
Schlange stehen, um uns vor dem Schild „Sommet Mont Ventoux 1911 m“
gegenseitig zu fotografieren. Man fühlt sich unbesiegbar, die Luft schmeckt
nach Freiheit und vor allem nach mehr Gipfeln und Pässen.
## Mit professionellem Transfer
Clemens wird uns dabei helfen, dass es gelingt. Der junge Mann ist ein
Luxus, den wir uns gönnen. Wer die Tour mit all ihren Facetten erleben
will, tut gut daran, sich einem organisierten Trip anzuschließen. Hier in
den südfranzösischen Alpen, wo wir uns parallel zu den Profis eine Woche
mit dem Velo bewegen, liegen die berühmten Anstiege weit auseinander. Ohne
professionelle Transfers hat man als Amateur keine Chance. Clemens arbeitet
für Vinje Cycling, der zu den wenigen deutschsprachigen Veranstaltern
gehört, die ein Tour-de-France-Package schnüren.
Als Basis dient ein kleines, einfaches Hotel in Ancelle nahe der Stadt Gap,
etwa auf halbem Weg zwischen Grenoble und Marseille. Je nach Wetterlage,
Trainingszustand und Wünschen der Teilnehmer wird eine Tagestour
festgelegt. Dann packt man die Velos entweder in den Bus oder startet an
der Haustüre. Die Berglandschaft bietet Abwechslung für ein oder zwei
Velo-Wochen. Auf der einen Seite finden sich sanftere Hügel zum Warmfahren,
die andere Richtung offenbart alpine Hochgebirgslandschaft mit
kräftezehrenden Anstiegen.
Die Region Hautes-Alpes ist Radsport-Hotspot in Frankreich. Wir erleben die
Profis zum ersten Mal live am Col de Manse, wo eine Bergwertung ansteht,
bevor es hinuntergeht nach Gap. Vormittags haben wir noch eine kleine Runde
mit unseren Rädern gedreht. Währenddessen hat Clemens mit dem Kleinbus
einen Platz zwischen all den Wohnwagen besetzt, die wie eine weiße Linie
den Streckenverlauf nachzeichnen. Als wir eintreffen, können wir uns vor
der Sonne unter ein kleines Zeltdach retten und ein Vitamin-Buffet
genießen.
Andere haben es nicht so gut, harren schon seit dem Morgen in der Hitze
aus. Dafür ist die große französische Freiluftfete schon im höchsten Gang.
Musik dröhnt aus Autoradios, Bierflaschen klirren, eine Gruppe Waliser
stimmt ein Volkslied an. Als die Motoren der Begleitfahrzeuge und
Hubschrauber die Profis ankündigen, drängen die Zuschauer in die
Straßenmitte. Die führenden Fahrer rauschen heran, nach wenigen
Augenblicken sind sie hinter der Kurve verschwunden. Wer an einem steilen
Anstieg wartet, erlebt mehr Tour-Feeling und hat die Chance, ein Stück mit
den Fahrern mitzuspurten und sein Idol sogar anzuschieben.
## Mein Star und ich
Umso schöner, dass wir in Gap, wo die Fahrer am folgenden Tag ihre Etappe
starten, noch mal Tourluft schnuppern dürfen. Es ist bemerkenswert, wie nah
die Fans randürfen. Die Teams wohnen in Hotels in der Innenstadt, bauen vor
dem Eingang ihre Aufwärmstationen auf. Die Profis schreiben Autogramme und
geben Interviews, während sie auf ihren verankerten Fahrrädern strampeln.
Es sind nirgends Sicherheitsleute postiert, lediglich ein Absperrband
trennt Fans von Idolen – und alle halten sich brav daran. Selbst im
Startbereich kann man noch fleißig seine Selfie-Sammlung ausbauen.
Mein Star und ich, kurz bevor es ernst wird – die Facebook-Welt wird
erblassen vor Neid. Noch schnell ein Trikot kaufen, Startschuss, die Profis
rollen. Wenig später fließt der Verkehr wieder ganz normal durch Gap, als
sei ein Stopp der Tour de France das Normalste der Welt. Die Lockerheit,
mit der alle hier auftreten – von Fan über Funktionär bis Fahrer – ist
verblüffend und sorgt für eine friedliche und losgelöste Stimmung.
8 Jul 2017
## AUTOREN
Christian Schreiber
## TAGS
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