# taz.de -- Erfolglose Franzosen der Tour de France: Sisyphos im Sattel | |
> Seit 32 Jahren warten die Franzosen auf einen Sieg der Ihren. Aber egal. | |
> Sie sind auch so begeistert von der Tour de France. | |
Bild: Französisch radeln: der 24-jährige Normanne Guillaume Martin | |
PARIS taz | Es ist die 104. Auflage der berühmtesten Radrundfahrt. Die Tour | |
belegt mit seinen seit mehreren Jahren üblichen Abstechern ins benachbarte | |
Ausland, diesmal nach Deutschland, wie sehr sie über Frankreich | |
hinausgewachsen und ein europäisches Sportereignis geworden ist. Sie ist | |
längst eine Institution. Eigentlich fragt man sich in Frankreich | |
verwundert, warum die Tour nicht schon längst auf der Unesco-Liste des | |
immateriellen Kulturerbes steht. | |
Sie hat seit der ersten Schleife 1903 zwei Weltkriege, Wirtschaftskrisen, | |
die Kommerzialisierung des Profisports und auch die drohende | |
Diskreditierung durch Betrugs- und Dopingskandale überlebt. Das allein ist | |
ein kleines Wunder. Nach den Geständnissen des siebenfachen Tour-Siegers | |
Lance Armstrong, dem wegen Doping 2012 alle Titel aberkannt wurden, hing | |
die Zukunft am seidenen Faden. Aber die Legende war stärker. Die Tour de | |
France ist mehr als Sport und Business. „Was wäre ein Juli ohne Tour de | |
France. Das gehört fest zu den kleinen Freuden der Franzosen“, meinte der | |
frühere Staatspräsident Nicolas Sarkozy, ein großer Radsportfan, der auch | |
weiß, wie wichtig es für Politiker ist, sich mit den populären | |
Tour-Champions zu zeigen. | |
Zwar hat seit 1985 kein Franzose gewonnen, dennoch ist es eine | |
Prestigefrage des nationalen Selbstbewusstseins, jedes Jahr aufs Neue zu | |
versuchen, mit dem Siegertrikot auf der Champs-Élysée ins Ziel zu fahren. | |
Die Sieger gehen jedes Jahr in die mehr als hundertjährige Geschichte und | |
in einen Ahnengalerie ein, in der Namen wie Jacques Anquetil, Eddy Merckx, | |
Miguel Indurain und Jan Ullrich stehen. | |
Das jährliche Spektakel mit echten menschlichen Tragödien wird für mehr | |
eine Milliarde Fernsehzuschauer in mehr als 70 Länder übertragen. Diese | |
Fans bewundern so auch die Landschaften, Dörfer und Städte, Schlösser und | |
anderen Sehenswürdigkeiten, mit denen Frankreich für den Tourismus eine | |
äußerst wirksame Werbung macht. Nicht umsonst sind die Etappenorte bereit, | |
den Organisatoren viel Geld hinzulegen, um als Ziel und Startpunkt | |
ausgewählt zu werden. | |
## Warten auf die „Karawane“ | |
Die Unterstützung des Publikums ist ihnen sicher. Jedes Jahr pilgern bei | |
jeder Etappe Abertausende an den Straßenrand, um die Rennfahrer anzufeuern. | |
Sie warten auch auf die Werbegeschenke der ebenso schnell vorbeirasenden | |
„Karawane“. Das ist auch ein Teil der Tradition. Besonders beliebt sind die | |
schwierigsten Abschnitte der Bergpässe. Oft campieren hier die | |
Schaulustigen schon seit dem Vorabend, um von Nahem mitzufiebern, wenn sich | |
Favoriten und Abgehängte vor Anstrengung fast die Lunge aus dem Leib | |
keuchen oder in todesmutigem Tempo bergab in den Kurven liegen. Die dabei | |
herrschende Spannung erinnert vage an Gladiatorenkämpfe oder griechische | |
Dramen: Der Sisyphos im Renntrikot kämpft allein oder im Team Meter für | |
Meter gegen den Berg, wissend, dass nachher nur neue mühselige Kilometer | |
auf ihn warten. | |
Übermenschlich? Einer der weniger bekannten Teilnehmer in diesem Jahr, der | |
24-jährige Normanne Guillaume Martin vom belgischen Team Wanty, ist ein | |
Nietzsche-Fan und hat als Student gerade seine Master-Arbeit zum Thema „Der | |
Sport als zeitgenössische Anwendung der Philosophie von Nietzsche?“ | |
geschrieben. Für ihn sind die echten Übermenschen die „authentischen | |
Sportler“, die an den Rand des menschlich Möglichen gehen – ohne Doping. | |
1 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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