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# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Atomphysik für Fortgeschrittene
> Die Radsportsaison beginnt mit den Frühjahrsklassikern. Und schon ploppt
> diese eine Frage auf: Ist dieser Sport glaubwürdig?
Bild: „Doping ist für mich wie Atomphysik“: Rick Zabel, Sohn von Erik Zabel
Wenn die Radsportsaison losgeht mit den ersten Frühjahrsklassikern, muss
ich immer an einen Ausflug nach Zeitz denken. Ist lang her, 2003. Es gab
damals noch die Deutschland-Tour, ein Etappenrennen, das im Zuge der
Radsportkrise vor etlichen Jahren eingestellt wurde.
Mit einem Kollegen fuhr ich nach Sachsen-Anhalt, um Erik Zabel zu
interviewen, den Sprinter vom Team Telekom. Es war ein merkwürdiger Tag,
weil eine Todesnachricht das Peloton erreicht hatte. Der Franzose Fabrice
Salanson war am Vortag im Hotelzimmer gestorben. Der 23-Jährige hatte sich
schlafen gelegt und war nicht mehr aufgestanden. Herztod. Einfach so.
Unser Erscheinen wurde vom Telekom-Arzt Lothar Heinrich extrem skeptisch
beäugt. Er schien in uns Ermittler der Polizei zu sehen oder eines
journalistischen Investigativteams, das über Epo-Tode im Radsport
recherchiert. Man musste nicht besonders psychologisch versiert sein, um zu
erkennen, dass der Mediziner mit den speziellen Dopingkenntnissen etwas zu
verbergen hatte.
## Schnaps für Journalisten
Aber ganz so schlecht, wie man vermuten würde, war die Stimmung im
Mannschaftshotel des Teams Telekom nicht. Teammitarbeiter tauschten mit
Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kleine Schnapsfläschchen,
wohl irgendeine regionale Spezialität, die am Abend verkostet werden
sollte.
Pressesprecher Olaf Ludwig wartete nicht erst auf den Abend, er war schon
am Nachmittag sternhagelvoll. Er grüßte, nachdem er stundenlang nicht
erreichbar war, Erik Zabel und uns kurz. Dann torkelte er davon. Zabel war
beschämt, aber er überspielte es glänzend, so wie er über Jahre hinweg das
Dopingthema professionell abmoderiert hatte.
Dieser Ausflug nach Zeitz wurde für mich zu einem Menetekel für die
Verkommenheit einer Sportart, in der junge Männer im Bett starben und sich
so ziemlich alle Beteiligten die Kante gaben, mit Medikamenten oder
Alkohol. Trotzdem versuchten alle, Sportler, Ärzte und Claqueure, das
Gesicht zu wahren. Gruselig.
## Moralisches Entrüstzeug
Es ging nicht lange gut. Das Gebilde stürzte ein. Die Saufkumpane von einst
distanzierten sich nach den diversen Dopinggeständnissen von den
Schmuddelkindern und übertrugen nicht mehr auf ARD und ZDF. Aus dem
Radsporthype war Radsportverachtung geworden. Die neuen Radverächter kamen
im moralischen Entrüstzeug daher.
Doch tot war der Sport nie. Das wäre auch zu viel verlangt. Halb
Deutschland radelt. Die Bilder von der Tour de France sind bestechend
schön, die Duelle auf den Landstraßen archetypisch. Die Szene selbst hat
auf den Faktor Zeit gebaut.
Man spricht von einem neuen Geist, der Einzug gehalten habe im Peloton. Ob
man das glauben kann? Das muss jeder selbst entscheiden. Die neuen Helden
reden jedenfalls wie die alten vor dem großen Doping-GAU. Gedopt? Nö, haben
wir nie.
Der Sohn von Erik, Rick Zabel, der am Wochenende beim Frühjahrsklassiker
Mailand-Sanremo an den Start gehen wird, sagt heute den bemerkenswerten
Satz: „Über Doping zu sprechen, das ist für mich, als würde ich über
Atomphysik reden, ich habe da keine Ahnung von.“ Im Jahre 2003 in Zeitz
wollte sein Vater, ein, wie sich herausstellen sollte, durchaus versierter
Atomphysiker, übrigens nicht über Doping sprechen. Kam dann später.
17 Mar 2017
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Radsport
Doping
Christopher Froome
Vuelta
Tour de France
Radrennen
Doping
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