# taz.de -- Radprofi Nerz über seinen Abschied: „Ich falle nicht in ein Loch… | |
> Dominik Nerz fuhr die Berge sehr schnell hoch und hätte bei der Tour de | |
> France Furore machen können. Mit gerade mal 27 Jahren hört er auf. Wieso? | |
Bild: Tour de France 2015: Dominik Nerz mit abgebrochenen Lenkerteilen in der H… | |
taz: Herr Nerz, mit 27 Jahren fangen Rundfahrerkarrieren eigentlich erst | |
richtig an. Sie hören auf. Warum? | |
Dominik Nerz: Ich hatte die letzten zwei Jahre extrem viel Pech mit Stürzen | |
und Verletzungen. Die Ärzte gaben mir dann den Hinweis, dass es vielleicht | |
besser wäre, die Profikarriere zu beenden. Hinzu kommt, dass sich der | |
Körper einfach nicht mehr so erholt, wie es bei den Belastungen im Radsport | |
nötig wäre. | |
Nach vielen Stürzen auf den Kopf machen Ihnen Kopfschmerzen, Schwindel und | |
Orientierungsstörungen Probleme. Sehen Sie sich als Sportinvaliden an? | |
Nein. Im Alltag bin ich weitgehend beschwerdefrei. Ich merke aber, wenn | |
ich Sport treibe, was ich weiterhin brauche und ja auch tun sollte, um | |
abzutrainieren, dass mein Körper genau dann, wenn ich in den | |
Hochleistungsbereich komme, einfach zumacht. | |
Ein Schlüsselmoment war rückblickend der Sturz bei der Dauphiné-Rundfahrt | |
im Sommer 2015, als Sie im unbeleuchteten Tunnel auf eine Wand zurasten? | |
Ja, das war einer der Knackpunkte. Genau wie der Sturz drei Wochen später | |
bei der Tour de France. Das waren die Ereignisse, von denen ich mich nicht | |
richtig erholt habe. | |
Wird der Radsport immer gefährlicher? | |
Es war schon auffällig, dass die Stürze sich häuften. Es war aber auch | |
nicht so explosionsartig. Stürze gab es immer, aber in den letzten Jahren | |
haben die Medien mehr das Augenmerk darauf gelegt. Andererseits nehmen die | |
Anforderungen im Profiradsport immer mehr zu. Es gibt jetzt keine einfachen | |
Rennen mehr. Um ein perfekter Profi zu sein, muss man die ganze Saison auf | |
hohem Niveau durchfahren. Nur die absoluten Stars können sich einzelne | |
Rennen aussuchen, bei denen sie dann in Topform sind. | |
Der normale Profi, der Helfer, muss aber immer stark sein, auch bei Rennen, | |
die ihm von der Charakteristik her gar nicht liegen? | |
Genau. Als Helfer hat man immer die gleichen Aufgaben. Die Kapitäne | |
wechseln durch, man fährt mal für den einen, dann für den anderen und muss | |
immer seine Leistung bringen. | |
Für welchen Ihrer Kapitäne sind Sie am liebsten gefahren? | |
Mein absoluter Held ist Vincenzo Nibali. Es hat einfach gepasst. Ich | |
wusste, was er brauchte, und ich konnte mich wiederum darauf verlassen, | |
dass er niemals aufgeben würde. Das hat mir sehr imponiert. Und das habe | |
ich dann auch, als ich in der Rolle war, versucht umzusetzen. Leider kam es | |
nicht mehr so richtig dazu. | |
Bei großen Rundfahrten traute man Ihnen Top-Ten-Platzierungen zu. Wie | |
deprimierend ist jetzt der Rückzug? | |
Es macht mich nicht glücklich, das ist klar. Es wird dauern, bis sich alles | |
gesetzt hat. Ich versuche aber, mir das Leben nicht durch Gedanken an | |
etwas, das vorbei ist, zu belasten. | |
Die gerade beginnende Saison – verfolgen Sie die? | |
Nein. Ich versuche mich, so gut es geht, vom Radsport abzuschotten. Es tut | |
einfach weh, zu sehen, wie alles weiter seinen Gang geht, aber man selber | |
ist nicht mehr dabei. Ich gucke nicht einmal mehr nach den Ergebnissen. | |
Dann verfolgen Sie auch nicht, was Ihr alter Rennstall treibt. Hätten Sie | |
bei Bora angesichts der Neuzugänge wie denen von Weltmeister Peter Sagan | |
und Tour-Bergkönig Rafal Majka noch Ihren Platz im Team behalten? | |
Ich hätte meinen Platz bei Bora gefunden, in einer neuen Rolle. Wenn Leute | |
wie Sagan und Majka kommen, dann ist klar, dass ich einen Schritt | |
zurückgehe und wieder eine Helferrolle übernehme. Aber das Niveau, um in | |
einem solchen Team zu agieren, hatte ich immer. | |
Ein Wort zu Emanuel Buchmann, zu dem neuen deutschen Klettertalent, das an | |
Ihrer Seite reifen sollte und nun bei Bora in einer neuen Situation steckt. | |
Was kann man von ihm in Zukunft erwarten? | |
Ich halte extrem viel von Emanuel. Er ist ein sehr guter Rennfahrer, er ist | |
clever und kann sehr gut die Berge hochfahren. Bisher hatte er eine | |
behütete Rolle, er konnte fahren, wie er wollte. Wenn es ihm gut ging, | |
konnte er durchstarten, wenn es ihm schlecht ging, musste er nicht. Durch | |
Leute wie Majka wird er anders gefordert. Man wird sehen, wie weit er in | |
seiner Entwicklung ist, um drei Wochen Rundfahrtstress durchzustehen. | |
Sie waren für einige Jahre der deutsche Bergfahrer schlechthin, jetzt ist | |
es Buchmann, auch er aber allein auf weiter Flur. Woran liegt das, dass die | |
deutschen Profis stark im Sprint und im Zeitfahren sind, aber nicht so | |
stark in den Bergen? | |
Die Deutschen sind vom Typ her robuster, und da kommen dann eben die | |
Sprinter raus. Wenn die Leute 1,60 Meter; 1,70 Meter groß werden wie in | |
Italien zum Beispiel, dann werden die eher keine Sprinter, sondern | |
Kletterer. | |
Mit bestimmten Trainingssystematiken, die beim deutschen Nachwuchs eher den | |
Sprintern und Zeitfahrern zugutekommen, hat das also nichts zu tun? | |
Nein. Daran würde ich es nicht festmachen. Es muss ja auch erst einmal eine | |
Basis da sein. Man wird aus einem John Degenkolb keinen Chris Froome | |
machen. Das ist aber auch nicht notwendig, weil Degenkolb so erfolgreich | |
ist in dem, was er tut. Warum soll er da noch die Berge schnell hochfahren? | |
Die, die die Berge schnell hochfuhren, hatten in der letzten Saison mit | |
Vorwürfen um Therapeutische Ausnahmegenehmigungen zu kämpfen, Froome oder | |
Bradley Wiggins. Wie sehen Sie die Debatte? | |
Ich bin froh, dass ich mich mit dieser Thematik nicht mehr | |
auseinanderzusetzen habe. Ich habe sie so satt. Wenn etwas aufgedeckt wird, | |
dann gibt es wieder einen Skandal. Ich finde das aber traurig, vor allem | |
für all die anderen Fahrer, die darunter leiden. Einem Wiggins kann das | |
ziemlich egal sein. Selbst wenn sein Ruf einen Knacks bekommen sollte – er | |
kann, glaube ich, damit umgehen. Es geht um die, die wirklich darunter | |
leiden. Ich denke mir, was kann ich dafür, wenn irgendjemand sich etwas | |
reinpfeift und deswegen hochgeht. | |
War Ihr Eindruck, dass in den letzten Jahren anders gefahren wurde als | |
früher, weniger auf Dopingsubstanzen? | |
Ja, natürlich. Wenn es noch so wie vor zehn Jahren gewesen wäre, dann wäre | |
jemand wie ich nicht ansatzweise konkurrenzfähig gewesen. Es hat sich im | |
Sport ja auch ein kompletter Generationswechsel vollzogen. | |
Was würden Sie den jungen Fahrern, die demnächst ins Profigeschäft | |
einsteigen, raten?Man muss sich ganz klar von der Vorstellung | |
verabschieden, dass Radprofi ein angenehmer Job ist. Sehr viel | |
Entbehrungen, sehr viel Fleiß und Schweiß sind nötig, um etwas zu | |
erreichen. Es ist ja auch so: Jeder, der Profi geworden ist, wurde das, | |
weil er vorher Rennen gewonnen hat. Bis auf ganz wenige – die große | |
Ausnahme ist Peter Sagan – fangen alle bei den Profis ganz von vorn an und | |
müssen sich Jahr für Jahr hocharbeiten. Und da rate ich: Achtet auf euren | |
Körper, lasst euch nicht zu viel reinreden. Versucht, eurer Linie treu zu | |
bleiben, denn mit der seid ihr erfolgreich gewesen. | |
Das klingt insgesamt nach einer eher grauenvollen Arbeitssituation. Gab es | |
auch schöne Momente? | |
Natürlich, da gab es viele. Man kommt damit in der ganzen Welt herum und | |
wird in den meisten Fällen gefeiert, egal, ob man gewinnt oder nicht. Für | |
die Leute am Start bist du der Held. Vor allem in Italien und Frankreich: | |
Wenn du dort ein Profitrikot anhast, kannst du, übertrieben gesagt, alles | |
haben. Es gibt auch schöne materielle Effekte. Dir wird Topmaterial | |
gestellt, und wenn du mal das Laufrad zerschossen hast, wird dir ein neues | |
gegeben, während im Amateurbereich da schnell ein Monatsgehalt fällig sein | |
kann. | |
Wie schwer fällt jetzt der Weg vom behüteten und umschwärmten Profi zum | |
Normalbürger? | |
Gar nicht schwer. Ich war nie einer, der nach dieser Aufmerksamkeit | |
strebte, der sie als Lebenselixier brauchte. Für mich ist dieses Kapital | |
abgeschlossen, und ich möchte auch nach dem beurteilt werden, was ich | |
danach tue. | |
Und, was tun Sie jetzt? | |
Ich analysiere, was ich machen möchte und was zu mir passen könnte. Mir | |
haben sich ein paar Türen aufgetan, ich falle nicht in ein Loch nach dem | |
Radsport. Es kann sogar sein, dass ich in der einen oder anderen Funktion | |
zum Radsport zurückkomme. Aber es ist noch nichts entschieden. | |
4 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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