# taz.de -- Martin Schulz auf dem Kirchentag: Gottloser Gottkanzler | |
> Kann der nichtgläubige SPD-Kanzlerkandidat Christen begeistern? Das | |
> Diskussionsthema auf dem Kirchentag lautet ausgerechnet: Glaubwürdigkeit. | |
Bild: Hat auch sein Kreuz zu tragen: Martin Schulz | |
Wahlniederlagen und sinkende Umfragewerte: Der Heiligenschein des | |
vermeintlichen „Messias der SPD“ hat seinen Glanz verloren. Selbst die | |
Präsentation des [1][Wahlkampfprogramms] geriet zu einem einzigen Desaster. | |
Martin Schulz hat es nicht leicht dieser Tage. Jetzt auch noch ein Auftritt | |
auf dem Evangelischen Kirchentag. Seine Konkurrentin ums Kanzleramt hatte | |
zehntausende Zuschauer, [2][Barack Obama] und das Brandenburger Tor. Der | |
Sozialdemokrat, den Anfang des Jahres ein Guerilla-Wahlkampf zum | |
„Gottkanzler“ kürte, spricht mit dem Soziologen Armin Nassehi im Berliner | |
Dom. | |
Immerhin sind ein paar Medien da. Sechs Fernsehkameras fangen Bewegtbilder | |
ein. Links vor der Bühne übersetzt eine Frau in Gebärdensprache. 1.400 | |
Menschen finden auf den Kirchenbänken Platz. Hunderte stehen zudem vor | |
verschlossenen Türen und hören über Lautsprecher, was Schulz zu sagen hat. | |
Unter ihnen das Ehepaar Duwe-Wähler aus Oldenburg. Beide können sich | |
vorstellen SPD zu machen. „Doch bisher ist er einfach zu farblos.“ Am | |
Donnerstag waren sie schon bei Obama und der Kanzlerin. „Da hat mich Merkel | |
schon beeindruckt. Sie wirkte glaubwürdig“, sagt Birgitte Duwe-Wähler. | |
Glaubwürdigkeit ist das Thema der Diskussion am Freitag. Immer wieder | |
kommen Schulz und Nassehi auf den Begriff des Vertrauens zu sprechen. Auch | |
wenn die Moderatorin nicht müde wird zu betonen, dass „das hier keine | |
Wahlkampfveranstaltung wird“, lässt sich Schulz die Chance nicht entgehen. | |
Den Themenblock Religion umschifft er gekonnt. „Nicht nur bin ich kein | |
Lutheraner, ich bin ein passiver Katholik“, sagt er. Wenige Jahre zuvor | |
hatte er sich noch zum Atheismus bekannt. 2014 forderte er als | |
Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokratie die Verbannung | |
christlicher Symbole von öffentlichen Orten. Die Christdemokraten konnten | |
ihr Glück kaum fassen und warnten vor dem „Kreuz-Zug“ des Kandidaten. Und | |
das im Endspurt des Europawahlkampfs. | |
Schulz hat aus diesem Fehler gelernt. Sein Vortrag gleicht einem Plädoyer | |
für Toleranz und ein „neues Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und | |
Politikern“. Er will in den Wahlkampf ziehen und auch bei Christen für „die | |
europäische Idee werben“. Zu gern würde er auf den Zug von Pulse of Europe | |
aufspringen, das wird an diesem Freitag deutlich. Seine Rede ist eine | |
Absage an den Populismus. Scharf kritisiert er Trump. „Ein Präsident der | |
USA kann nicht wie gestern in Brüssel im Stile eines autokratischen | |
Herrschers auftreten.“ | |
## „Mir ist nicht bange um die Zukunft“ | |
Schulz wirkt gut vorbereitet, klagt etwa über „Drohnenbomben, die ohne | |
parlamentarische Kontrolle über einer Hochzeitsfeier abgeworfen werden“. | |
Das kommt gut an auf dem Kirchentag. | |
Die Sommersolidarität der deutschen Flüchtlingshelfer bezeichnet er | |
gemeinsam mit dem Mauerfall als „Leuchttürme der Geschichte“. Auch in der | |
anschließenden Zuschauerdebatte – die Gäste konnten ihre Fragen vorab | |
einreichen – ist er stets souverän. „Mir ist nicht bange um die Zukunft, | |
auch wenn ein Teil des Vertrauens verlorenen gegangen ist. Man kann es aber | |
zurückgewinnen“, sagt Schulz. | |
In den nächsten Monaten wird er viel Zeit mit dieser Aufgabe verbringen. | |
Bei Jonas Einck hat er gute Karten. Er ist Düsseldorfer, 17 Jahre und | |
Juso-Mitglied. Er sticht aus der Masse heraus, trägt grün gefärbte Haare, | |
Antifa- und Anti-Atomkraft-Sticker und einen schwarzen Pullover mit der | |
Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“. Ob er als Erstwähler deshalb | |
automatisch für Schulz stimmen wird? „Nicht unbedingt. Schulz ist bisher zu | |
farblos für mich. Ich kann mir genauso vorstellen, linker zu wählen“, sagt | |
er. | |
Am Ende wird das Programm entscheiden. Seine Begleiter, ein 15-jähriger | |
Schüler und ein Sozialarbeiter nicken zustimmend. Auch das Ehepaar | |
Duwe-Wähler ist nach der Veranstaltung im Berliner Dom gespannt auf „die | |
tatsächlichen Inhalte“. Ein solider Auftritt auf dem Kirchentag wird nicht | |
ausreichen, um sie zu begeistern. | |
26 May 2017 | |
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## AUTOREN | |
David Gutensohn | |
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