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# taz.de -- Buch Ökonomie und Flüchtlingspolitik: Suche nach dem dritten Weg
> Sonderwirtschaftszonen für Flüchtlinge: Die Oxford-Professoren Alexander
> Betts und Paul Collier legen das Buch „Gestrandet“ vor.
Bild: Flüchtlinge kommen mit einem Schlauchboot auf Lesbos an (Archivbild Mär…
Die EU-Länder schotten sich ab, die Flüchtlinge kommen dennoch, die
ethischen und politischen Fragen dazu sind ungelöst. Die Autoren Alexander
Betts und Paul Collier versuchen in ihrem Buch „Gestrandet“ einen dritten
Weg aufzuzeigen jenseits von Abschottung oder „offener Tür“. Sie fordern,
die reichen Länder müssten die Nachbarstaaten der Krisenländer
wirtschaftlich und politisch mehr unterstützen, damit diese den
Flüchtlingen Sicherheit, Arbeit und Autonomie geben können. Die Frage ist,
inwieweit diese Form der „freundlichen Auslagerung“ praktisch machbar und
ethisch vertretbar ist.
Betts und Collier, beide Professoren an der Universität Oxford, der erste
für Migration, der zweite für Ökonomie, beginnen mit einer strengen
moralischen Abgrenzung: dem Unterschied zwischen Flüchtlingen und
Migranten.
Das Ziel der Migration sei die „Verbesserung der Lebensqualität“, schreiben
sie. Flüchtlinge hingegen flüchteten aus ihrer Heimat, weil sie dort
physisch bedroht seien. Nur diesen Flüchtlingen gelte die Verpflichtung zur
internationalen Hilfeleistung.
Diese Pflicht bestehe aber nicht in der Verbesserung des Lebensstandards,
sondern lediglich im Versuch, eine „möglichst ähnliche Normalität“ wie v…
der Flucht und vor der Bedrohung wiederherzustellen, heißt es. Damit wenden
sich Betts und Collier gegen jedes Ansinnen, das gigantische globale
Wohlstandsgefälle über das Asylrecht verkleinern zu wollen. Ohnehin werde
der Flüchtlingsschutz heute schon nicht gerecht verteilt, argumentieren
Betts und Collier. Die Ärmsten haben gar nicht das Geld, Schleuser zu
bezahlen und nach Europa zu reisen.
Die Lösung für die Flüchtlingsfrage sehen die Autoren aber nun nicht darin,
dass reiche Länder den Anrainerstaaten der Krisenländer Flüchtlinge in
größerer Zahl abnehmen. Es sei vielmehr leichter, Flüchtlinge „heimatnah“
zu versorgen, weil sich Sprache, Kulturraum und auch Wirtschaft von
Nachbarstaaten ähnlicher sind. Die „Sonderstellung“ der deutschen,
qualitätsorientierten Industrie in der „weltweiten Produktion“ zum Beispiel
sei „absolut ungeeignet für Flüchtlinge aus einem armen Land“, so die
Autoren.
Tatsächlich zeigt sich in Deutschland, wie schwer es ist, Leute aus Syrien,
Afghanistan oder Eritrea, also aus anderen Sprach- und Kulturräumen und
anderen Bildungssystemen, in hiesige Berufsschulen und hochspezialisierte
Industriebetriebe zu integrieren.
Betts und Collier verweisen als ein Positivbeispiel für heimatnahe
Integration auf Uganda, das Hunderttausende von Flüchtlingen aus Somalia,
dem Sudan, dem Kongo und anderen afrikanischen Staaten ins Land gelassen
und ihnen das Arbeiten und den Aufbau von Kleingewerbe gestattet hat. Ein
Vorbild im Buch ist zudem das Jordanien-Abkommen von 2016, das dem Staat
zollfreien Handel mit der EU, milliardenschwere Kredite der Weltbank und
hohe Subventionen für Sonderwirtschaftszonen zusicherte, wenn Jordanien im
Gegenzug 200.000 Flüchtlingen aus Syrien Arbeitserlaubnisse in diesen Zonen
ausstelle.
Nach Zahlen des jordanischen Arbeitsministeriums vom Februar 2017 wurden in
Jordanien allerdings erst 38.500 Arbeitserlaubnisse für diese Flüchtlinge
erteilt. Die Bürokratie ist kompliziert, die Schwarzarbeit schon etabliert
und das Verkehrsnetz in Jordanien vielerorts zu mangelhaft, um syrische
Flüchtlinge in die Betriebe der Sonderzonen zu transportieren. Gleichwohl
profitieren die Einheimischen von diesen Sonderzonen, denn auch sie finden
dort Arbeit. Für das Aufnahmeland Jordanien ist das Abkommen also
tatsächlich eine „Win“-Situation.
Betts und Collier liefern einen ambitionierten Vorschlag, aber keine
Antworten auf die konkreten ethischen Fragen hierzulande. Was tun mit den
Tausenden, die weiterhin nach Deutschland einreisen und hier keinen
Flüchtlingsstatus bekommen, die man aber aus verschiedenen Gründen nicht
ins Herkunftsland zurückschicken kann? Soll man die Geduldeten fördern oder
besteht deren Zukunft nur aus Parkbank und Heim? Soll man fragile
Herkunftsstaaten dafür bezahlen, dass man ihre Flüchtlinge gegen ihren
Willen dorthin zurückbringen kann? Die Flüchtlingsfrage ist kein Feld, um
sich moralische Lorbeeren zu verdienen.
23 May 2017
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Flüchtlinge
Ökonomie
Flüchtlingspolitik
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Flucht
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