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# taz.de -- Größtes Krankenhausschiff der Welt: 2.000 OPs auf der „Africa M…
> Familie Baki lebt wie 350 weitere Freiwillige auf der „Africa Mercy“. Sie
> hilft Menschen, die sich keine medizinische Hilfe leisten können.
Bild: Die „Africa Mercy“ der NGO Mercy Ships
Cotonou taz | Jamie Baki hat das kleine Wohnzimmer, das gleichzeitig als
Schlafzimmer für sie und ihren Mann Brian dient, noch eine knappe halbe
Stunde für sich alleine. Der Raum ist hell und gemütlich. Er würde prima in
die Ausstellungshalle des schwedischen Einrichtungsriesen Ikea als Beispiel
dafür passen, wie auf kleinster Fläche fünf Menschen miteinander leben
können.
Doch anders als im Möbelhaus schwankt das Wohnzimmer der 37-jährigen
US-Amerikanerin manchmal fast unmerklich. Der Ausblick aus dem Fenster ist
spektakulär. Die Familie lebt im Hafen der beninischen Wirtschaftsmetropole
Cotonou. Die Bakis wohnen und arbeiten auf dem größten Krankenhausschiff
der Welt, der „Africa Mercy“.
Jamie Baki bietet Tee sowie selbstgemachtes Popcorn an und macht es sich
danach auf der beigefarbenen Couch bequem. Es ist das Familiensofa der
Bakis, die vor dem Einsatz in Cotonou bereits in Madagaskar waren. In der
zweiten Jahreshälfte geht es weiter nach Kamerun. Insgesamt drei Jahre will
die Familie für die christliche Hilfsorganisation Mercy Ships arbeiten.
„Das hier ist unser Zuhause“, sagt Jamie Baki, blickt durch den Raum und
lächelt. Die Mutter von drei Kindern strahlt eine große Ruhe aus.
Mit dem Einsatz hat sie sich einen Traum verwirklicht. „Ich wollte gerne
eine längere Mission in Afrika machen, mein Mann, der Anästhesist ist,
lieber kürzere“, sagt Jamie Baki und schweigt einen Moment. Deshalb blieb
sie zunächst mit den Kindern in den USA, während ihr Mann Brian tatsächlich
mehrmals in Afrika war. Dann gab es das Angebot, zusammen auf die „Africa
Merci“ zu gehen. Ihr Mann als Arzt, sie in der Verwaltung. Für Jamie eine
Art göttliche Fügung. „Gott hat uns hierher gerufen“, sagt sie so schlicht
wie selbstverständlich.
## Andachten und Bibelstunden
So antworten viele andere der 350 Freiwilligen. Denn die „Africa Merci“ ist
ein christliches Projekt das von verschiedenen amerikanischen Freikirchen
unterstützt wird. Viele Helfer sprechen deshalb wie selbstverständlich über
Glaube und Religion. Andachten und Bibelstunden prägen den Alltag. Von der
starken Religionsverbundenheit lebt die Organisation, da bei der
Finanzierung des Aufenthalts oft die Heimatkirchengemeinden helfen.
Denn das gesamte Personal, von den Ärzten über Pfleger bis zu den
Verwaltungsleuten, arbeitet nicht nur ohne Lohn, sondern sie zahlen auch
noch für ihre Unterbringung auf dem Schiff. Dafür spenden zumeist Familien
und Freunde, Menschen, die nicht selbst vor Ort sein können. „Die“, sagt
Jamie Baki, „haben so das Gefühl, auch helfen zu können.“
Die Tür geht auf und der Reihe nach stürmen die Kinder Brandon, zehn Jahre,
Maya, acht Jahre, und Hannah, fünf Jahre, ins Wohnzimmer. Nachdem Mutter
Jamie sie begrüßt und nach dem Schultag gefragt hat, holen die drei Bücher
und Zettel für die Hausaufgaben aus den Rucksäcken hervor. Sie dürften
einen der kürzesten Schulweg der Welt haben, da ihre Schule nur ein paar
Türen entfernt ist. Dafür hat niemand einen eigenen Schreibtisch.
Die Familienkabine mit zwei winzigen Schlafzimmern wirkt im Vergleich zu
den anderen Kabinen, in denen wildfremde Menschen über Monate zusammenleben
müssen, wie ein Luxus. Trotzdem nimmt man jede Bewegung wahr, hört jedes
Geräusch. Noch stört es die Kinder nicht.
Jamie Baki schaut zu ihrem Sohn hinüber und erzählt: „Als wir herkamen,
sagte Brandon, unser Haus ist viel kleiner, aber doch viel größer.“ Er hört
ihr zu und nickt. Mit allen Vor- und Nachteilen: Wenn Vater Brian einen
Moment Zeit findet, dann schaut er manchmal während der Arbeit vorbei.
Eigentlich verbringt er seine Tage unter Deck in einem der fünf
Operationsräume, die nur wenige Minuten von der Familienkabine entfernt
liegen. Jetzt sitzt der 37-Jährige für einen Augenblick im Sessel, der
unter dem Wohnzimmerfenster mit dem Hafenblick steht. Sobald er kommt, gibt
es eine Regel: „Hier wird nicht über medizinische Fragen gesprochen.“
## Mehr als 2.000 Operationen
Die bestimmen ansonsten weite Teile des Alltags. Bis zum Einsatzende in
Cotonou hat sich die Organisation vorgenommen, mehr als 2.000 Operationen
durchzuführen. Das sind in erster Linie die Korrektur von Lippen- und
Gaumenspalten, die Entfernung von Tumoren sowie orthopädische Operationen.
Brian Baki schätzt die Arbeitsbedingungen und den relativen Komfort auf der
„Africa Merci“.
Das Schiff, das einst als Eisenbahnfähre „Droning Ingrid“ Dänemark mit
Deutschland verband, ist, seitdem es von der Organisation Merci Ships
gekauft und umgebaut wurde, nun seit 2007 als Krankenhausschiff unterwegs.
„Perfekt gibt es nicht“, sagt Brian. „Aber die ‚Africa Merci‘ kommt d…
recht nahe.“
Die Kabinen sind zwar klein, doch über der Bar des Aufenthaltsbereichs
leuchtet ein grünes Starbucks-Schild. Bis in der südafrikanischen Stadt
Johannesburg das erste Café der Kette eröffnet wurde, hieß es auf der
„Africa Mercy“ gerne, den einzigen Starbucks Afrikas zu haben. Zu den
Annehmlichkeiten gehört auch ein Pool. Unter Deck sind alle Räume
klimatisiert, sodass man dem ermüdenden Waschküchenwetter von Cotonou mit
seiner Luftfeuchtigkeit von bis zu 80 Prozent selbst für mehrere Tage
entgehen kann.
## „Ich bin immer im Dienst“
Aber nicht nur das Café ist wenige hundert Meter von der Familienkabine der
Bakis entfernt, sondern auch die Patienten. „Man begleitet die Patienten
über lange Zeit und sieht, wie sehr sich ihr Leben ändert“, sagt Brian
Baki. Es ist Mittwoch und fast Zeit für den Familienabend. Wenn man ohne
Privatsphäre ständig von Kollegen und Freunden umgeben ist, sei es wichtig,
einen Abend pro Woche für sich zu haben, findet das Ehepaar. Trotzdem will
er noch ein paar Patientenbesuche machen. Arbeit und Privatsphäre gehen
ineinander über. „Ich bin immer im Dienst“, sagt der Anästhesist.
Er steigt zum Krankendeck hinab, das 82 Betten für Patienten aus ganz Benin
hat. Die „Africa Merci“ ist bereits zum dritten Mal da. Die Organisation
betont, dass sie nur in Länder kommt, in die sie eingeladen wird und
erwünscht ist. Oft sind es Ärzte und nichtstaatliche Organisationen, die
potenzielle Patienten über den Aufenthalt der „Africa Mercy“ informieren.
So hat auch die 39-jährige Anne Marie Bello davon erfahren. Nach dem ersten
Kontakt rief die Organisation schließlich an und nannte das Datum für die
Operation. „Ich hatte Gänsehaut“, erinnert sich Bello. Sie stammt aus der
Hauptstadt Porto Novo, die an der nigerianischen Grenze liegt, lebt aber
seit Jahren in Cotonou. Auch viele Wochen später steckt ihr linker Fuß noch
immer in einem dicken Verband.
## Die Chance auf ein normales Leben
Anne Marie Bello streicht über die weißen Kissen in ihrem Bett und wirkt
dabei etwas aufgedreht. Das liegt nicht nur daran, dass Brian Baki samt
Familie kurz vor dem Familienabend noch mal bei ihr und den übrigen
Patienten im Sechs-Bett-Zimmer vorbeischaut. Die Bakis machen das
regelmäßig. Mutter Jamie erinnert sich an eine Freundschaft, die sich
zwischen Sohn Brandon und einem bereits entlassenen Patienten entwickelt
hat. Anne Marie Bello ist vor allem aufgeregt, weil sie zum ersten Mal die
Chance auf ein normales Leben hat. „Mit diesem Fuß war ich immer behindert
und auf mich alleine gestellt“, sagt sie und deutet auf den Verband.
Es ist eine angeborene Fehlstellung, die vor 24 Jahren fast operiert worden
wäre. Als sie 15 Jahre alt war besuchte sie ein lokales Krankenhaus, das
460.000 CFA, umgerechnet etwa 700 Euro, für den Eingriff forderte. Schon
damals konnte ihre Familie das Geld nicht aufbringen und heute dürfte sich
der Preis für die Operation verdoppelt haben. Auf der „Africa Merci“ wird
sie nun wie alle Patienten kostenlos behandelt.
Die Probleme des linken Fußes sind nicht lebensbedrohend gewesen. Doch sie
verhinderten, dass die 39-Jährige einen geregelten Job fand. Sie war bisher
darauf angewiesen, dass ihr Freunde und Bekannte Geld zustecken. Noch
unerträglicher ist manchmal die Stigmatisierung. „Ich konnte ja nie Schuhe
tragen. Wenn alle anderen Schuhe tragen, dann sagt das etwas aus.“
## Der Suchtfaktor ist hoch
Während sich Jamie und ihre Kinder mit einem Jungen unterhalten, der
schwere Brandverletzungen hatte, holt Brian Baki ein Kartenspiel heraus.
Ein paar Tricks hat er auf Lager. Anne Marie Bello starrt auf die Karten
und bricht irgendwann in lautes Gelächter aus. „Unser Leben wird nicht mehr
das gleiche sein“, sagt Brian Baki nachdenklich. Noch hat seine Familie
einen weiteren Einsatz in Douala in Kamerun vor sich, der im Herbst
beginnt. Danach soll es zurück in die USA gehen. Gut möglich, dass sie
wieder kommen. Es gibt Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten regelmäßig an
Einsätzen teilnehmen. Der Suchtfaktor ist hoch.
Auch Anne Marie Bello hat einen Plan. „Ich weiß genau, was ich nach meiner
Entlassung machen werde“, sagt sie bestimmt. „Ich kaufe mir Schuhe.“ Und
zum ersten Mal in ihrem Leben auch einen für den linken Fuß.
26 May 2017
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Afrika
Benin
Uganda
Afrikanische Union
Gambia
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