# taz.de -- #Eurovision am Dnipro Folge 3: Klitschkos Friedensgeste | |
> Ein in Regenbogenfarben bemaltes Tor mitten in Kiew erzürnt den rechten | |
> Sektor. Der Rest der Stadt feiert damit ein weiteres Stück Freiheit. | |
Bild: Nur ein halber Regenbogen, aber immerhin | |
Über dem Dnipro, dort, wo es vom Maidan hinuntergeht zum mächtigen Fluss, | |
gleich bei Podil, dem leicht abgewrackten Hipster- und Szeneviertel, | |
irritiert ein großer, stählerner Bogen: Das ist zwar einerseits ein 1982 | |
fertig erstelltes Riesensymbol russisch-ukrainischer Freundschaft, aber es | |
ist in den Farben des Regenbogens koloriert. | |
Bitte? Kiew ein neues Jerusalem der LGBTI*-Szene – und das auch noch so | |
stadttopographisch in Szene gesetzt? Eine Verbeugung vor dem Kern der | |
ESC-Interessierten, die tausendfach fröhlichst und eventkundigst seit einer | |
Woche in die ukrainische Hauptstadt einfallen wie eine, nun ja, Armee der | |
Liebenden? | |
Nein, ein Missverständnis. Zwar lautet das Motto dieses 62. Eurovision Song | |
Contest „Celebrate Diversity“, aber aus dem ESC-Orgakomitee heißt es nur, | |
das multikolorierte Stadtdenkmal stehe nicht für Nichthterosexuelles, | |
sondern für die Verschiedenheit der Nationen. Das ist natürlich das | |
Allerletzte, das mit dem Regenbogen assoziiert wird. Jedenfalls: Erstens | |
ist der Bogen, der sich über eine Aussichtsplattform (gen Ostukraine und | |
also russisch erobertes Gebiet) wölbt, wirklich in den Farben des | |
Regenbogens offiziell angemalt worden. Aber nur für den Eurovision Song | |
Contest, also bis zum Sonntag, 15. Mai. Dann sollte alles wieder | |
abgewaschen werden, so dass ein gräuliches Monstrum fraglicher Ästhetik | |
übrig bliebe – in den Naturzustand gebracht sozusagen. | |
Aber es gab gleichwohl, andererseits, von der ersten Sekunden an Proteste. | |
Vom „Rechten Sektor“, dem nationalistischen Milieu in der Ukraine und von | |
der russischen Putinanhängerschaft kaum zu unterscheiden, gab es gellendes | |
Gegröhl: Ein Regenbogen? Ein Schwuchtelzeichen? Ein Hinterladermonument – | |
unser schöner Stahlbogen? Die Polizisten, die eigentlich die Anstreicherei | |
des Objekts zu überwachen hatten, wichen vor der fett-muskulären Drohkraft | |
der sehr real dort stehenden Männer (und Frauen) zurück. | |
## Das Ende des Regenbogens | |
Am Ende war der Regenbogen da – aber nicht vollendet. Ein Stück fehlte, | |
wobei nicht klar wurde, ob dies ein Zeichen des Zurückweichens war oder | |
einfach die Leitern nicht hoch genug reichten. Nun hat Bürgermeister Vitali | |
Klitschko eines seiner, wie ihm politische Beobachter attestieren, seltenen | |
Machtworte gesprochen: Der Regenbogen bleibt – aber dort, wo es gräulich | |
unangestrichen blieb, wird er jetzt vollendet. Und zwar mit ukrainischen | |
Folklorebordüren. | |
Das darf man einen Kompromiss nennen: Einerseits kann kein | |
nichtnationalistischer Politiker in der Ukraine die neuen, liberalen Zeiten | |
nach den Maidan-Aufständen ignorieren, andererseits will man auch nicht die | |
kampfbereiten Ultras vom „Rechten Block“ verprellen. Jedenfalls: Die | |
queeren Touristen sollen sich auch weiterhin in Kiew willkommen fühlen – | |
denn das ist ja gerade der Zweck des ESC, den sich die Organisatoren in der | |
Ukraine ausgedacht haben. Ihr Land als europäischen Flecken, also als | |
nonhomophob zu profilieren. | |
Offen ist jetzt nur, wie Klitschko mit der Forderung der hierin der Ukraine | |
kleinen LGBTI*-Bewegung umgeht: Den Regenbogen mindestens nicht vor Ende | |
der Pride-Parade, dem Kiewer CSD zu löschen. Das würde die Russen ärgern, | |
das wissen die Klugen hier auch: Da doch unter Putin homophobe Gesetze | |
installiert wurden, die das Land auf eine Zivilisationsstufe sowjetischer | |
Zeiten zurückbrachten. | |
Sei's drum: Das Regenbogenmonument hat viele Selfies bewirkt – allerdings | |
von paarweise heterosexuell auftretenden Paaren. Der „Rechte Block“ muss | |
dies verzweifeln: Jetzt haben auch schon heteroorientierte Menschen kein | |
Problem, mit Schwuchtelsymbolen identifiziert zu werden. Wo soll das für | |
die Ukraine bloß enden? In noch mehr Freiheit vom sowjetischen Erbe? Was | |
denn sonst! | |
8 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
ESC 2017 | |
Schwerpunkt Eurovision Song Contest | |
Russland | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Kyjiw | |
Sexuelle Freiheit | |
Sowjetunion | |
Freiheit | |
Gay Pride | |
Vitali Klitschko | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
ESC 2017 | |
ESC 2017 | |
ESC 2017 | |
Ukraine-Konflikt | |
ESC 2017 | |
ESC 2017 | |
ESC 2017 | |
ESC 2017 | |
ESC 2017 | |
Schwerpunkt Eurovision Song Contest | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wladimir Klitschko beendet Boxkarriere: „Gesund und zufrieden“ | |
Der „kleine Klitschko“ hat entschieden, seine Karriere sofort zu beenden. | |
Der ehemalige Boxweltmeister sagt, er habe „als Amateur und Profi alles | |
erreicht. | |
Ukrainischer Schriftsteller: Politisch wider Willen | |
Wo Juri Andruchowytsch auch ist, der Krieg in seinem Land holt ihn immer | |
wieder ein. Er ist ein scharfer Kritiker der Politik des Kreml. | |
Finale des Eurovision Song Contests: Kein bisschen Frieden | |
Die Auseinandersetzungen um den Eurovision Song Contest in Kiew sind dieses | |
Jahr politischer denn je. Gesungen wird trotzdem. Die Platzierungen. | |
Eurovision am Dnipro, Folge 7: 17 Jahr, (fast) blondes Haar | |
Der bulgarische Teilnehmer Kristian Kostov trat nach der Annektierung auf | |
der Krim auf. In der Ukraine darf er trotzdem singen. | |
Eurovision am Dnipro, Folge 6: Der mit dem Kopf rollt | |
Der Italiener Francesco Gabbani gilt als Favorit für den Sieg beim ESC in | |
Kiew. Auch der Portugiese Salvador Sobral hat gute Chancen. | |
Tag des Sieges in der Ukraine: Blumen, Bilder und Gewalt | |
In Kiew gerieten Nationalisten und Moskautreue aneinander. Es ging um | |
Gedenkmärsche für die Gefallenen im Zweiten Weltkrieg. | |
#Eurovision am Dnipro Folge 5: Lob der Ukraine | |
Die ukrainische Hauptstadt profiliert sich glaubwürdig als ein Teil | |
Europas. Vor dem ESC wirkt sie als Ort der Freiheit und der Freisinnigkeit. | |
#Eurovision am Dnipro Folge 4: Russland ist hier nah und fern | |
Ein junger russischer Journalist darf vor Ort über den ESC berichten. Im | |
nächsten Jahr würde er sich über ein bisschen politische Ruhe freuen. | |
#ESC am Dnipro, Folge 2: Suche nach Europa | |
Kalter Krieg, grassierende Korruption und auch noch der Eurovision Song | |
Contest: Ein Stadtspaziergang durch Kiew mit dem Künstler Dima Levytskyi. | |
#ESC am Dnipro, 1. Folge: Wo bleibt die Hoffnung? | |
Vor dem ESC ist mitten im kalten Krieg mit Russland: Die Ukraine hat | |
schwerwiegende Probleme rund um den Eurovision Song Contest. | |
Eurovision Song Contest: Russland zieht sich vom ESC zurück | |
So etwas gab es noch nie. In Kiew werden nur noch 42 Länder miteinander | |
konkurrieren, denn Russland hat sich zurückgezogen. | |
Kommentar Russland provoziert beim ESC: Lieber solidarisch singen | |
Die Teilnahme Russlands ist ein Dilemma für den Veranstalter des ESC, der | |
sich als unpolitisch begreift. Wie geht man damit um? |