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# taz.de -- Forschungsbetrug in Schweden: Erfundene Experimente
> Ein schwedisches Forscher-Duo hat bei Fischversuchen mit Mikroplastik
> gemogelt. Die Uni versuchte, die Geschichte unter den Teppich zu kehren.
Bild: Flussbarsche: die angeblichen Versuchsobjekte der schwedischen ForscherIn…
Stockholm taz | Es ist ein „sehr ernster Fall“, sagt Jörgen Svidén, „der
nicht nur dem Vertrauen in diese Studie schwer schadet“. Svidén ist
Kanzleichef des „Centrala etikprövningsnämnden (CEPN)“, dem schwedischen
Gremium, das sich mit Fragen möglicher Unehrlichkeit in der Forschung
beschäftigt. [1][Und deren Votum ist vernichtend]: Ja, es müsse von
„wissenschaftlicher Unredlichkeit“ ausgegangen werden und es bestehe der
Verdacht, dass die fraglichen Forschungsarbeiten so wie sie dargestellt
werden, überhaupt nicht stattgefunden hätten.
Ein schwerer Vorwurf, der sich auf einen international [2][vielbeachteten
Artike]l – auch [3][die taz berichtete] seinerzeit – in der
Wissenschaftszeitschrift Science bezieht. Und den diese vergangene Woche
aufgrund der CEPN-Stellungnahme [4][zurückzog]. Es ging um Forschungen an
Fischlarven, über die die Marinebiologin Oona Lönnstedt und der
Limnologie-Professor Peter Eklöf vom Ökologie-Institut an der Universität
Uppsala berichtet hatten.
Bei Flussbarscheiern, die in Aquarien einer Konzentration von Mikroplastik
ausgesetzt worden seien, wie sie teilweise auch in der Ostsee vorkomme,
habe sich die Schlüpfrate gegenüber mikroplastikfreiem Wasser um 15 von 96
auf 81 Prozent vermindert. Auch sei beobachtet worden, dass Fischlarven
offenbar bei der Nahrungsaufnahme Mikroplastik dem Zooplankton, ihrer
natürlichen Ernährung, vorziehen würden. Was nicht nur negativen Einfluss
auf ihr Wachstum habe, sondern auch ihr Verhalten beeinflusse: Sie würden
so eine leichtere Beute für Raubfische.
Oder wie Lönnstedt die Studie gegenüber [5][BBC-News] zusammenfasste: Die
Fische werden „kleiner, langsamer und dümmer“. Dass sie trotz Zugang zu
Zooplankton Mikroplastik vorzogen, verglich sie mit Jugendlichen, die
„ungesundes Fast-Food in sich hineinstopfen“. Die Lönnstedt-Eklöf-Forschu…
sei deshalb so bedeutsam, weil nun wissenschaftlich nachgewiesen worden
sei, welche konkreten Schadenswirkungen Mikroplastik bei Fischen habe,
rühmte damals beispielsweise der Ozeanograph und Klimaforscher Erik Van
Sebille vom Imperial College London die Arbeit: „Eine wichtige Studie.“
Einem Reporter des schwedischen Rundfunks hatte Lönnstedt schon Anfang Mai
2015 erzählt, ihre Experimente hätten jetzt zumindest „eine teilweise
Erklärung“ dafür geliefert, warum der Bestand an küstennahen Fischarten in
der Ostsee immer mehr zurückgehe. Die Fischlarven-Studien hätten
Mikroplastik als Quelle dieses Übels enthüllt: Das könne noch
unüberschaubare Konsequenzen für viele Fischpopulationen und das gesamte
Wasserökosystem haben. Von den Konsequenzen, die dieses Interview für sie
selbst haben sollte, ahnte die Forscherin damals noch nichts.
## Ort und Zeit konnten nicht stimmen
Ausgelöst worden war der Verdacht eines möglichen Forschungsschwindels
aufgrund von Zweifeln über Ort und Zeit der von ihr und Eklöf behaupteten
Experimente. Diese sollten im Mai 2015 in der Forschungsstation Ar auf der
schwedischen Ostseeinsel Gotland erfolgt sein. Doch das stellten sieben
ForscherInnen in einem Schreiben, das Mitte Juni 2016, schon zwei Wochen
nach Erscheinen des Science-Artikels an die Universität Uppsala geschickt
wurde, in Frage.
Zwei von ihnen hatten sich im fraglichen Zeitraum nämlich ebenfalls dort
aufgehalten und bezeugten, Eklöf sei niemals, Lönnstedt nur 11 Tage und das
auch noch mit viertägiger Unterbrechung anwesend gewesen. Die angeblich
drei Wochen dauernden Experimente könne sie also schon deshalb überhaupt
nicht vorgenommen haben. Außerdem habe es in Ar keinen Zugang zu einem Teil
des in Science beschriebenen Materials gegeben. Einzelne der behaupteten
Resultate seien „praktisch unmöglich“.
Merkwürdig sei auch, dass Lönnstedt schon am Tag ihrer Ankunft auf Gotland
dem Rundfunk vom vermeintlichen Ergebnis der gerade doch erst begonnenen
Forschungen erzählen konnte.
Vor dem schwedischen Ethikgremium konnten Lönnstedt und Eklöf die Zweifel
nicht ausräumen. Der Abschlussbericht wirft ihnen vor, Fragen „nicht
überzeugend, teilweise nur widersprüchlich“ beantwortet zu haben. Obwohl
man ihnen monatelang ausreichend Gelegenheit gegeben habe, Unklarheiten zu
beseitigen, sei ihnen das nicht gelungen. Und wie es der dumme Zufall so
will, war laut Lönnstedt auch noch ihr Laptop mit allen Forschungsdaten 10
Tage nach Veröffentlichung der Science-Publikation gestohlen worden. Aus
einem nicht verschlossenen Auto. Ein Back-up dieser Daten auf den Server
der Uni Uppsala war nicht gemacht worden.
CEPN konnten deshalb keinerlei Originaldaten präsentiert werden, anhand
derer sich die angeblichen Versuche nachvollziehen ließen. „Und eine solche
Dokumentation muss es natürlich geben“, sagt Jörgen Svidén.
## Fabrizierte Daten
Einer der Whisteblower, die den Fall ins Rollen brachten, Fredrik Jutfelt,
Meeresforscher an der norwegischen TU Trondheim zeigt sich „erleichtert“
vom Ergebnis der CEPN-Untersuchungen: „Das beweist, dass die
Selbstreinigungskräfte in der Wissenschaft funktionieren.“ Er konstatiert
aber auch, dass jedes andere Ergebnis schon äußerst erstaunlich gewesen
wäre: „Geht man ins Detail, findet man in dem Text jede Menge Fehler und
offensichtlich fabrizierte Daten.“ Unter [6][#perchgate] kritisiert er,
dass erst 10 Monate vergehen und [7][„Berge von Beweisen“] präsentiert
werden mussten, bis reagiert worden sei.
Wie ungern Kollegenschelte offenbar gesehen wird, mussten die
Anzeigeerstatter selbst erfahren. [8][Laut Science ] hatten Lönnstedt und
Eklöf – die konsequent alle Anklagen zurückweisen – zuerst die Vermutung
geäußert, der Neid von Forscherkollegen stehe hinter dem Schreiben der
sieben Wissenschaftler. Denen empfahl auch eine von der Universität Uppsala
beauftragte Untersuchungskommission mögliche offene Fragen doch gefälligst
direkt mit diesen zu erörtern, anstatt gleich Forschungsschwindel zu
unterstellen. Auch waren von diesem Gremium die Betrugsvorwürfe
zurückgewiesen und die Autoren der Studie von allen Verdachtsmomenten
freigesprochen worden. Was CEPN angesichts der offensichtlichen Schwere der
Vorwürfe als „bemerkenswert“ kritisiert.
Während Science selbst den neuen Skandal mit dem [9][Fall Paolo
Macchiarini] vergleicht – einem zunächst gefeierten Stammzellenforscher am
Stockholmer Karolinska-Institut, der seine Forschungsresultate verfälschte
– und fragt, ob schwedische Universitäten ein grundsätzliches Problem
hätten, Schwindel in den eigenen Reihen angemessen aufzuklären, muss sich
die Zeitschrift selbst Fragen gefallen lassen. CEPN: „Es ist erstaunlich,
dass der Artikel trotz all seiner Defizite akzeptiert wurde.“ Und der
Stockholmer [10][Klimaforscher Johan Eklöf twittert] „Wieder mal gibt es
Fragen zum schlampigen Peer-Review-Prozess.“
Und Mikroplastik? Ist es also nun doch nicht so gefährlich für Fische?
„Nichts wäre mehr verkehrt als solch eine Annahme“, betont Fredrik
Jutfeldt: Dessen Gebrauch beispielsweise in Kosmetika müsse dringend
beschränkt werden. Und auch der Meeresbiologe Peter Thompson von der Uni
Plymouth betont, das Papier von Lönnstedt/Eklöf – die keine Stellungnahme
abgeben und Medienanfragen an die [11][Universität Uppsala] verweisen – sei
zwar wichtig, aber nicht entscheidend gewesen: „Es gibt genügend Beweise
für das Schadenspotential von Mikroplastik.“
11 May 2017
## LINKS
[1] http://www.epn.se/centrala-etikproevningsnaemnden/anslagstavla/pressmeddela…
[2] http://science.sciencemag.org/content/352/6290/1213
[3] /Neue-Erkenntisse-zu-Mikropartikeln/!5311156
[4] http://science.sciencemag.org/content/early/2017/05/03/science.aan5763
[5] http://www.bbc.com/news/science-environment-36435288
[6] https://twitter.com/hashtag/perchgate
[7] https://twitter.com/FredrikJutfelt/status/859877744309620736
[8] http://www.sciencemag.org/news/2017/04/paper-about-how-microplastics-harm-f…
[9] /Forschungsskandal-in-Schweden/!5273264
[10] https://twitter.com/jsEklof/status/857977531173089281
[11] https://www.uu.se/en/media/news/article/?id=8720&area=2%2C5%2C10%2C16&…
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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