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# taz.de -- Radtour in Flevoland: Unter dem Meeresspiegel
> Über der Provinz Flevoland brandeten einst die Fluten des Ijsselmeers.
> Heute gibt es dort ein vorbildlich angelegtes Radwegenetz.
Bild: Konics in Oostvaardersplassen: Die robusten Ponys leben ganzjährig drau�…
Okay. Dass man als Radfahrer in den Niederlanden auf kurvige Strecken und
Hügel verzichten muss, ist klar. In Flevoland, der jüngsten Provinz der
Niederlande, ist dafür die Sicht oft meilenweit und die Radwege sind
vorbildlich. Flevoland besteht fast ausschließlich aus Land, das im 20.
Jahrhundert dem Ijsselmeer abgewonnen wurde. Im Durchschnitt liegt das Land
rund fünf Meter unter dem Meeresspiegel, geschützt ist die Polderlandschaft
durch mächtige Deiche. Den Großteil der Fläche nehmen Äcker ein, die von
Bauern reichlich gedüngt werden – auch der frische Seewind kommt dem Geruch
nicht bei.
Da hier alles neu angelegt wurde, hat man bei den Radwegen Luxus walten
lassen. „Radweg“ ist fast schon eine Blasphemie, die „Fietsrouten“, wie…
auf Niederländisch heißen, sind echte Radstraßen, auf denen man sich wie
ein König fühlt. Von solch einem gut ausgestattetem und vor allem
flächendeckenden Netz wird man in Deutschland noch Jahrzehnte träumen.
Zur Orientierung dienen Knotenpunkte, die alle eine Nummer haben. Auf der
Karte sieht die Routenplanung dann aus wie „Malen nach Zahlen“. Nach einer
kurzen Eingewöhnung geht dies aber erstaunlich gut. Grundsätzlich ist es
als Radfahrer in Flevoland nirgends notwendig, eine Autostraße zu befahren.
„Das wäre uns auch viel zu gefährlich“, sagt Marieke Moens, die ich im
Sternhof in Zeewolde treffe. Führt eine Fietsroute durch einen Ort, haben
Radfahrer fast immer Vorfahrt. Autos, die kreuzen, müssen warten.
Die Fietsrouten, die oft ganz eigene Routenführung haben und nicht neben
normalen Straßen verlaufen müssen, haben eigens Laternen, die extra niedrig
sind, und sind geteert – während die Autostraßen oft gepflastert sind.
Kurzum: Man merkt, dass Radfahrern in den Niederlanden eine große
Wertschätzung dargebracht wird. Die Fietsrouten sind nebenbei auch für
Mofafahrer und Rollerfahrer ohne Helm zugelassen! Auch etwas, was in
Deutschland auf mittlere Sicht undenkbar wäre.
Meine Rundfahrt startet in Almere, eine nüchterne, moderne Stadt, die
direkt an Amsterdam grenzt. Trotz der spektakulären Bauten von
Stararchitekten wie David Chipperfield, René van Zuuk und Christian de
Partzamparc wirkt die Stadt relativ steril. Aufgrund der Vielzahl von
Radwegen ist es innerhalb der Stadt nicht ganz einfach, die richtige
Fietsroute Richtung Lelystad zu finden. Ich will von Knotenpunkt 67 bis
Knotenpunkt 24 über den kilometerlangen Oostvaardersdijk fahren, Wasser auf
beiden Seiten.
## Ein neues Naturschutzgebiet
Ein kurzer Abstecher ins Naturschutzgebiet „Oostvaardersplassen“ lohnt,
hier kann man in „De Gasterij“ viel über dieses Naturschutzgebiet erfahren,
dessen offizielle Ernennung kurz bevorsteht. De Gasterij ist zudem ein
Restaurant, das im Wasser steht, und völlig verglast ist. So sieht man
andauernd Fische in dem niedrigen Wasser umherspringen. Über 1.000
Konik-Wildpferde gibt es hier, so viele wie nirgend sonst in Europa, nicht
mal in der Camargue. Auch Pfauenaugen, in Deutschland praktisch
ausgestorben, flattern hier in großer Zahl herum.
KRACH! Ein tosendes Geräusch ungefähr 40 Meter entfernt, dann raschelt es.
Ein 20 Meter hoher Baum ist einfach von selbst umgefallen, der dicke Stamm
geborsten. Wie es dazu kam, kann sich auch der Mitarbeiter des
Naturschutzzentrums nicht erklären.
Weiter radeln nach Lelystad. Die Stadt mit 70.000 Einwohnern enttäuscht. Es
ist ein Wirrwarr von Siedlungen mit Klinkerbauten mit kleinen Gärtchen, die
zwar alle verschieden sind, aber irgendwie einem ähnlichen Stil
entsprechen. Als Attraktion wird hier im Reiseführer ein Outletshopping
genannt, das sagt ja schon einiges. Die wahre Attraktion befindet sich
daneben: die Batavia-Werft. Der Nachbau eines hölzernen Ungetüms aus dem
Jahr 1628, das auf seiner ersten Reise vor der Westküste Australiens sank,
dümpelt im Hafen vor sich hin und macht einen etwas ungepflegten Eindruck.
Doch was ist das? Ein neues „antikes“ Segelschiff, die „7 Provincien“, …
gerade gebaut. Um das riesige hölzerne Gerippe befinden sich die
Schiffbauerwerkstätten – in der Schmiede glüht das Eisen, Segeltücher
werden zusammengenäht und armdicke Seile gewickelt. Eine Schulklasse schaut
sich fasziniert um.
Doch stelle ich nach einigen Minuten fest, dass ich einer Chimäre aufsitze.
„Leider wird das Schiff nicht weitergebaut, uns fehlt das Geld“, winkt der
lässig dasitzende Segeltuchschneider ab. Was man sieht, sind nur kleine
Reparaturarbeiten an der „Batavia“.
## Übernachten im Baumhaus
Natürlich ist es praktisch, bei einer Radtour möglichst wenig Gepäck
dabeizuhaben. Deshalb ist für die erste Nacht ein Bett im Baumhaus
reserviert, ein echt luxuriöses mit integrierter Nespresso-Maschine und
WLAN.
Die folgende Etappe nach Kraggenburg – Niederländer sagen Krachenburch –
ist etwas öde, man merkt deutlich, dass das Land erst vor Kurzem kultiviert
wurde. „Der Campingplatz dort gehört dem Mann, der das niederländische eBay
vor Kurzem verkauft hat und dadurch Multimillionär wurde“, höre ich noch
vom Betreiber des Baumhauses, etwas Neid liegt in seiner Stimme.
„Netl – De Wildste Tuin“ ist denn auch ein riesiger, 48 Hektar großer
Camping- und Abenteuerplatz, brandneu aus dem Boden gestampft, doch ich bin
der einzige Besucher. Zur Verzierung stehen alte Hubschrauber und Flugzeuge
herum, es gibt einen Golfplatz, einen Bambusdschungel, einen See mit
Schlammrutschbahn und Hunderte lustige Einfälle. Hier gibt es für Leute
ohne Zelt den „Pod“, eine Holzhütte. Der Grill davor, typisch für das Net…
ist aus einer alten Gaskartusche geschweißt.
Einen Hauch Historie bietet Schokland, eine ehemalige Insel, die nur ein
paar Meter höher liegt als die umliegenden Polder. Früher lag sie in der
stürmischen Zuiderzee, und sie ist ein gutes Beispiel für den unermüdlichen
Kampf der Niederländer gegen das Wasser. Entlang des Drontenmeeres vorbei
an immergleichen modernen Bauernhöfen geht es nach Elburg, einer richtig
schnuckeligen Stadt mit Stadtmauern aus dem 15. Jahrhundert. Nicht nur die
Läden, auch die Wohnhäuser haben alle ein „Schaufenster“, das die Bewohner
mit Kerzenständern, Orchideen und der einen oder anderen Buddhastatue
liebevoll schmücken. Von hier an führt die Fietsroute durch viele Wälder,
unter anderem den Waterloopbos.
Doch anders als bei deutschen Waldradwegen schlug man hier Schneisen,
bepflanzte sie mit Rasen und verlegte geteerte, mäandernde Radwege in die
Mitte. Auf einer Waldlichtung schuf ein Künstler ein Land Art Monument:
Eine schräge Betonfläche ragt fünf Meter in die Höhe – und zeigt damit
eindrucksvoll, wo der Meeresspiegel liegt.
13 May 2017
## AUTOREN
Dirk Engelhardt
## TAGS
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Schifffahrt
Befreiung
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