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# taz.de -- Auf dem Fiets durch Holland: Rückenwind im Radlerparadies
> Von Arnhem nach Rotterdam, quer durch die Niederlande, dem Lauf des
> Niederrheins folgend: Die Fernradwege verlaufen abseits befahrener
> Straßen.
Bild: Man sieht wo man ist
Gewöhnlich weht der Wind zuverlässig vom Meer her, nun hat er sich gekehrt.
Da dies eine Erkundungsreise mit dem Wind im Rücken werden soll, wird sie
also von Arnhem nach Rotterdam führen, von Ost nach West. Grob dem Lauf des
Niederrheins folgen, ist der Plan, der flussabwärts Lek heißt, um später
als Nieuwe Maas das Stadtzentrum Rotterdams zu passieren auf dem Weg zur
Nordsee. Als Fortbewegungshilfe benutze ich ein fiets, ein Fahrrad, denn
Rad fahren macht Sinn in diesem flachen Land mit den kurzen Distanzen. Rund
45.000 Kilometer Radweg hat das Wasserland zu bieten und mehr als 15.000
Kilometer ausgeschilderte Radstrecken.
Rückenwind. Zügig geht es auf dem Deich voran, am anderen Ufer liegt die
Stadt Arnhem in die Hügel der Veluwe gebettet, einem an Heide und Wald
reichem Naturschutzgebiet im Osten des Landes. Bei Driel übernimmt eine
kleine Fähre den Transport von Fußgängern und Fahrrädern. Solche Minifähren
und die größeren für Pkws gibt es in kurzen Abständen am Fluss. So kann der
Reisende zwischen den Ufern hin und her swingen, was insbesondere auf den
ersten 60 Kilometern die Aussicht verändert, denn auf der einen Uferseite
hat der Niederrhein in einer Hügelkette eine natürliche Begrenzung, auf der
anderen Polder, dem Fluss abgetrotztes Schwemmland.
Unter schattigen Buchen und Eichen schlängelt sich der Weg, blühender
Weißdorn und Wiesenbärlauch geben der Landschaft einen kräftigen Schuss
Weiß mit, ein Bachtal hinunter und auf dem Deich in die Universitätsstadt
Wageningen. Die Uni ist international bekannt wegen der Forschung in
Landbau und Ökologie; die vielen Studenten geben der Kleinstadt einen
lebhaften Charakter.
Hinter Wageningen ist der Weg am Fluss nun als Landelijk Fietsroute
gekennzeichnet, LF 4 steht auf dem Schild, sie verbindet die Städte
Enschede und Den Haag. Diese Fernstrecken, die wie ein komfortables Netz
das ganze Land überziehen, sind ausgezeichnet ausgeschildert, so dass
selbst Fremde auf eine Karte zu ihrer Orientierung verzichten könnten und
dennoch sicher ins Ziel kommen würde. Die Fernradwanderwege verknüpfen
idyllische Landschaften, Sehenswürdigkeiten und interessante Städte und
Dörfer und sie laufen stets abseits stark befahrener Straßen auf
asphaltierten Wegen und schmalen ruhigen Landstraßen. Vor Rhenen erreiche
ich nun die Blaue Kamer, eine renaturierte Auenlandschaft. Dieses Gebiet
ging 1992 an den Fluss zurück als Überlauf bei hohem Wasser. Haubentaucher
fischen in einem stillen See, vereinzelt stehen Silberreiher in
vollkommener Ruhe, und rücklings im Gras liegend kann man Bussarden beim
Schweben zusehen.
Wer jetzt bei Rhenen die Brücke ans andere Ufer wählt, hat einen weiten
Blick. Auf der südlichen Flussseite hinter dem Deich liegt die Betuwe, ein
Landstrich, der vollkommen von den Rheinarmen umschlungen ist und schon
früh besiedelt wurde, denn Niederrhein, Lek, Waal und Merwede - auch der
Hauptarm, die Waal, wechselt westwärts den Namen - haben hier fruchtbaren
Boden angeschwemmt. Bis zum Horizont stehen heute Apfel-, Kirsch-, Birnen-
und Pflaumenbäume, Baumschulen und Gemüse. Wenn die Reifen auf dem Asphalt
schnurren, können die langen Baumreihen der Betuwe kontemplativ wirken. Am
Himmel tiefes Blau, Gedanken mäandern. Da ertönt ein Ruf. Die nächste
Truppe. Nun sollte sich der gemeine Radfahrer schleunigst aus dem Weg
machen, denn sie kommen zu acht angerückt auf ihrer Tour de Jour. Fast
immer stecken unter den schnittigen Hauben Männer ab 40plus. Der Heldenpulk
absolviert seine Tagesetappen stilgerecht in feschen Outfits auf teuren
Rennrädern. Gerne am Wochenende, oft am Feierabend. Diese
Sportgesellschaften vermehren sich neuerdings in einem rasenden Tempo. Als
die Radrennfahrer vorbeigeweht sind, geht es zügig weiter entlang
ordentlich aufgestellter Birnenbäume, Gedanken schweifen.
Gigantische Schleusen tauchen am Horizont auf, bei Wijk bij Duurstede wird
die Kreuzung zweier Wasserstraßen gemanagt. Der Amsterdam-Rijnkanaal fließt
durch den Niederrhein. Vielerorts sichern Wasserbaumaßnahmen die Existenz
des Landes. Ohne Schleusen, Dämme, Deiche, Pumpen würde ein Drittel der
Oberfläche überflutet sein und bei normaler Tide bis zu 6 Metern unter dem
Meeresspiegel verschwinden. Damit könnten 60 Prozent der Bevölkerung ihren
Lebensraum abschreiben und auch die beiden größten Städte, Amsterdam und
Rotterdam, würden einfach untergehen.
Am nächsten Morgen wecken Pfauen die Schlafenden durch ihre katzenartigen
Laute: Übernachten auf einem Naturterrain und aufbrechen zur Linge, zu
einem kleinen Fluss, der zwischen den mächtigen Armen des großen Stroms
fließt. An der romantischen Linge sind Rad- und Kanufahrer und Wanderer gut
aufgehoben. Der Fluss windet sich durch Dörfer mit hübsch gemachten
Häuschen und romantischen Gärten, alles ist fein herausgeputzt. Die alles
überragenden Kirchen sind gut besucht an diesem Sonntag. Ein paar
Kirchgänger sehen aus wie einem historischen Film entsprungen, sie haben
ihre besten Kleider an und tragen Hut. Die Dörfer Enspijk, Beesd, Rhenoy,
Aquoy liegen im sogenannten Bibelgürtel, streng gläubige Calvinisten leben
hier.
Hinter Leerdam, der Stadt, die einem Käse den Namen gegeben hat und selbst
bekannt ist für seine Glasbläser, wechselt die Landschaft. Fettes sattes
Grün bis zum Horizont ist nun im Kommen. Die Lek, die ich bald erreiche,
fließt hier durch weite Wiesen mit Windmühlen, Kühen, Kanälen. Urholland,
wie es auf Ansichtskarten festgelegt ist. Am touristischen Hotspot
Kinderdijk kann der Reisende gemeinsam mit Touristen aus fernen Ländern 19
Windmühlen fotografieren, die seit 1740 Wasser aus dem Ablasserward Polder
in die Lek pumpen. Diese berühmten Mühlen zählen zum Weltkulturerbe.
Eine intensivst genutzt Industrieregion löst nun den intensiven Landbau ab,
im Westen beginnt die Randstad, mit Wohnungen und Arbeitsplätze für
Hunderttausende, das Ballungszentrum des kleinen Landes mit den Städten
Amsterdam, Den Haag, Utrecht und Rotterdam. Mit einer Fähre noch einmal
über die Lek und nach einer Stunde Radeln durch Vorstädte rolle ich entlang
der Nieuwe Maas über die Erasmusbrücke zum Kop van Zuid, zur berühmten
Kade, auf der viele Emigranten Abschied von Europa nahmen, als sie
einschifften nach Übersee. Dort steht das Hotel New York. Ein hippes,
geschichtsträchtiges Etablissement mit einer Terrasse und einem schönen
Blick auf Rotterdams Skyline und auf den großen Strom, der gleich das Meer
erreichen wird.
20 Sep 2008
## AUTOREN
Gunda Schwantje
## TAGS
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