# taz.de -- Schwerpunkt Schulbau in Berlin II: Die Last mit den Altlasten | |
> Berlin investiert wieder in seine Schulen. Doch den Bezirken fehlt es an | |
> Personal, das viele Geld in die Hand zu nehmen. Ein Besuch im | |
> Lessing-Gymnasium. | |
Bild: Stillleben mit Wasserschaden: Impressionen aus dem Weddinger Lessing-Gymn… | |
Sanierungsstau ist ein hässliches Wort. Es klingt nach verstopftem Klo und | |
Technokratendeutsch. „Die Berliner Schulen leiden unter dem | |
Sanierungsstau“, heißt die Phrase zum Unwort in den Medien, auch in der | |
taz. Sanierungsstau ist aber auch ein sehr treffendes Unwort, weil es nun | |
mal genauso klingt, wie es in den Duschräumen und Toiletten der Sporthalle | |
am Weddinger Lessing-Gymnasium – und in vielen anderen der rund 700 | |
öffentlichen Schulen der Hauptstadt – riecht: nach einer ziemlich üblen | |
Sache. | |
Berlins Schulen sind kaputt. Die einen mehr, die anderen weniger. Es gibt | |
sogenannte „Großschadensfälle“, wie das Schadow-Gymnasium in | |
Steglitz-Zehlendorf, die mit bis zu 20 Millionen Euro Sanierungsbedarf de | |
facto mehr Schrott als Schule sind. Und es gibt die kleineren Fische, wo | |
lediglich ein paar zehntausend Euro in die Sanitäranlagen investiert werden | |
müssen, damit der Schwarzschimmel nicht aus den Lüftungsschächten kriecht, | |
wie in der Turnhalle am Lessing-Gymnasium nach den letzten Sommerferien | |
geschehen. | |
Der gesamte Sanierungsbedarf an allen Berliner Schulen beträgt 3,9 | |
Milliarden Euro, hatte eine Erhebung der Bezirke im Auftrag der | |
Senatsbildungsverwaltung im vergangenen Jahr ergeben. Der akute | |
Sanierungsbedarf, der den kurzfristigen „Ausfall von Schulraumkapazität“ | |
verhindern soll, liegt bei rund 1,6 Milliarden Euro. | |
Diese Summen sind schwer zu fassen. Wie es so weit kommen konnte, ist | |
eigentlich sehr simpel. Ende April verkündete Finanzsenator Matthias | |
Kollatz-Ahnen (SPD), Berlin sei nun, nach fünf Jahren Haushaltsüberschuss | |
in Folge, nicht länger „Sanierungsland“. Zuvor hatte man sich den | |
Sparmaßnahmen des Bund-Länder-Stabilitätspakts unterzuordnen. | |
Investitionen, zum Beispiel in die Schulen? Schwierig, der Schuldenabbau | |
hatte Priorität. | |
Die Bezirke erhielten für die Instandhaltung ihrer Schulen zwei Jahrzehnte | |
lang lediglich rund ein Prozent des aktuellen Gebäudewerts – zu wenig, | |
sagen Bauexperten, um die Schulen vernünftig in Schuss zu halten. Im | |
Prinzip hat man also in den letzten Jahren den Verfall der Schulen mit | |
einer gewissen Systematik selbst vorangetrieben. | |
## Am Ende flickt man hinterher | |
Rot-Rot-Grün hat inzwischen beschlossen, diese Instandhaltungsmittel auf | |
1,32 Prozent des Gebäudewerts anzuheben, ein Richtwert, den | |
Verwaltungsexperten empfehlen. Die offensichtliche Erkenntnis: Man kann | |
noch so gewaltige Sanierungstöpfe auflegen, wenn grundsätzlich an der | |
Substanz gespart wird, flickt man am Ende doch nur hinterher. | |
Die Bedingung des Finanzsenators: Die Bezirke müssen die Gelder für die | |
Instandhaltung auch tatsächlich in die Schulen investieren. Denn das ist | |
der andere Grund, warum die Fassaden bröckeln und der Schimmel wuchert: Der | |
Berliner Haushalt mit seiner Doppelstruktur aus Bezirken und Land macht es | |
einfach, Zuständigkeiten zu verwischen. Die bezirklichen Schulämter | |
verschanzten sich hinter dem kärglichen Landeshaushalt. Der Senat sagte: | |
Sorry, nicht unsere Baustellen – ihr wirtschaftet bloß nicht ordentlich. | |
Tatsächlich nutzten die Bezirke die Mittel in der Vergangenheit sehr | |
unterschiedlich für ihre Schulgebäude: Steglitz-Zehlendorf investierte nur | |
knapp 60 Prozent der Gelder. Zehn der 29 Schulen mit dem größten | |
Sanierungsbedarf über 10 Millionen Euro liegen in Steglitz-Zehlendorf. Im | |
Berliner Schnitt kamen lediglich 66 Prozent der Mittel dort an wo sie | |
sollten. | |
Offensichtlich vertraute man in den Amtsstuben der Bezirke und im Senat | |
darauf, dass schon keiner mehr so richtig durchblicken würde, wer jetzt | |
genau Schuld daran war, wenn zum Beispiel im Lessing-Gymnasium schon wieder | |
kein Geld da war, um endlich die giftige Bleifarbe von den Fensterrahmen im | |
Altbau abzutragen. | |
## Eine kleine Trutzburg | |
Das Lessing-Gymnasium wurde 1882 gebaut, ein viergeschossiger Hauptflügel | |
und zwei Seitentrakte umrahmen drei Schulhöfe. Der Haupteingang in der | |
Schöningstraße unweit des Schillerparks ist präsidiabel, mit weiß | |
leuchtendem Kalkstein und kleinen Zierbalkonen. Das Ensemble wirkt eher wie | |
eine kleine Trutzburg, man würde sich nicht wundern, wenn Schulleiter | |
Michael Wüstenberg zur Begrüßung die Zugbrücke herunterlassen würde. | |
Der Sanierungsbedarf hinter der hübschen Fassade: rund neun Millionen Euro | |
– die verschimmelte Turnhalle ist also nicht das einzige Problem. Neun | |
Millionen Euro, das ist gutes Mittelmaß, eine Größenordnung, mit der sich | |
viele SchulleiterInnen herumschlagen müssen. „Wir unterrichten hier nun | |
wirklich nicht in einer Ruine, aber es gibt einiges zu tun“, fasst es der | |
Schulleiter zusammen. | |
Wüstenberg ist seit zehn Jahren Schulleiter im Wedding. Seitdem, sagt er, | |
arbeite er sich am Bau-Thema ab. Wüstenberg ist ein stolzer Hausherr, er | |
zeigt seine Schule gerne, mitsamt der Kratzer im klassizistischen Lack: die | |
nur aus der Distanz schönen Sprossenfenster mit der giftigen Bleifarbe, aus | |
deren Fugen zudem der Kitt bröckelt, das marode Dach des Ostflügels, ein | |
feuchter Keller – und die komplett baufällige Turnhalle, die allerdings aus | |
den 60er-Jahren ist. | |
In der Halle hecheln sich ein paar ältere Schüler gerade durch einige | |
Runden Zirkeltraining. Neben der Sprossenwand an der Schmalseite der Halle | |
fehlt ein Teil der Lederpolsterung. Hausmeister Ahmet Duman bückt sich nach | |
einem vorstehenden Lüftungsgitter über der Fußbodenleiste, das nur noch an | |
einigen Metern Klebeband hängt und versucht vergeblich, das Metall wieder | |
in die Wand zu drücken. In der Außenwand der Halle ein blitzförmiger Riss: | |
„Sehen Sie, das Gebäude ist feucht, es fällt auseinander wie ein | |
Pappkarton“, sagt Wüstenberg. | |
## Nie war Geld da für die Turnhalle | |
Die Turnhalle soll abgerissen werden, deshalb das Prinzip Klebeband statt | |
ordentlicher Reparaturen – und die Hoffnung, dass der Bezirk demnächst | |
endlich mal den Abrisstermin mitteilt. Das Schulamt hat einen Neubau seit | |
Jahren bei der Finanzverwaltung für die Investitionsplanung angemeldet, nie | |
war Geld da. | |
Jetzt gibt es Geld. 5,5 Milliarden Euro sollen in den nächsten zehn Jahren | |
in Schulsanierung und -neubau fließen, 830 Millionen allein in diesem | |
Haushaltsjahr. Plötzlich sind die Tresortüren weit offen. Das merke man, | |
sagt Schulleiter Wüstenberg: „Es gab einen Ruck, ein Umdenken.“ | |
Dieser „Ruck“ besteht darin, dass man erkannt hat: Der Fakt, dass die | |
Schulen kaputt sind, reicht als Grund, um sie reparieren zu müssen. „Ich | |
muss nicht mehr formal mit dem Brandschutz argumentieren, um zum Beispiel | |
neue Türen zu bekommen“, sagt Wüstenberg. Gleichzeitig hat man mit der | |
Statuserhebung in den Bezirken erstmals eine gewisse Systematik an den Tag | |
gelegt, das Ausmaß der Schulbaumisere zu erfassen. | |
Die Frage wird nun sein, ob es genug Personal dafür gibt, das sorgfältig in | |
drei Dringlichkeitskategorien einsortierte Dilemma tatsächlich wieder | |
aufzuräumen. Wüstenberg erzählt von alten Fußböden, die derzeit in fünf | |
Klassenräumen ausgetauscht werden müssen, Kostenpunkt: 20.000 Euro. Die | |
Ausschreibungsvorschriften sehen vor, dass er drei Betriebe als | |
Wettbewerber um den Auftrag präsentieren kann – den Dritten fand er lange | |
nicht. | |
Ganz Berlin baut gerade, die Firmen kommen bei der Auftragslage schlicht | |
nicht hinterher, sagt auch Mittes Schulstadtrat Carsten Spallek (CDU). Und: | |
„Jetzt haben wir Geld, aber keine Zeit, die Mittel zu verbauen.“ Es fehlt, | |
etwa in der Abteilung Facility Management, die die Schulgebäude | |
bewirtschaftet, schlicht an Personal, um das viele Geld nutzen zu können. | |
„Wir haben 40 Prozent mehr Mittel für die Schulen zur Verfügung, aber | |
arbeiten mit der gleichen Personalstärke.“ | |
## Zeitkiller Denkmalschutz | |
Hätte Spallek mehr Leute, ginge es vielleicht auch an der Turnhalle des | |
Lessings-Gymnasiums schneller voran. Der Grund, warum die Schüler dort um | |
Klebeband-Provisorien herumzirkeln, lautet Bürokratie: | |
Bauplanungsunterlagen des Bezirks, die der Senat so nicht durchwinken mag. | |
Spallek würde gerne größer bauen, weil inzwischen die Schülerzahlen | |
gestiegen sind. Der Senat sagt, dann brauchen wir nochmal eine neue | |
Bedarfsplanung. Quasi zurück auf Start also, die bereits fertige Bauplanung | |
ist nichtig. Das ganze Prozedere dauert nochmal länger, wenn das Personal | |
knapp ist. | |
Ein anderer Zeitkiller ist der Denkmalschutz. Als der Flur vor dem | |
Schulleiterzimmer gemacht werden sollte, sei extra jemand gekommen und habe | |
ungefähr 20 Farbschichten von den Wänden gekratzt. Am Ende fand der | |
Denkmalschutzbeauftragte offenbar ein ungesundes blassgrün, so wurde der | |
Flur dann auch gestrichen. Ein Krankenhausflur 1950? „Eher wie JVA Tegel | |
1910“, sagt Wüstenberg lakonisch. | |
Mitunter verlangsamt auch ein anderes Problem die Sanierung: Immer wenn | |
irgendwo geflickt wird, müssen die Schüler und Lehrer weiter zusammen | |
rücken. Das wird langsam schwierig in den immer voller werdenden Schulen. | |
Die Sanierung des feuchten Kellers etwa ist jetzt für die Sommerferien | |
terminiert. „Wir haben schlicht keine Räume mehr, die wir im laufenden | |
Betrieb als Abstellfläche nutzen könnten“, sagt Wüstenberg. Aber es können | |
eben auch nicht alle Großvorhaben an allen Schulen in den Ferien | |
stattfinden – die Absagen der Baufirmen, die Wüstenberg kassiert, zeigen | |
das sehr schön. | |
Die Erhebung in den Bezirken soll künftig jedes Jahr stattfinden. Diese | |
Transparenz ist wichtig – weil sich an ihr sehr klar wird messen lassen | |
können, was aus dem „Ruck“ von 2017 geblieben ist. | |
16 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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