# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Zu wenig Cäsium 137 | |
> Der Fall Tuchel zeigt: Fußballtrainer sind, trotz medialer Dauerpräsenz | |
> und guter Entlohnung, Dienstleister im Unterhaltungsgewerbe. | |
Bild: Das Lager der Tuchel-Gegner ist in den vergangenen Wochen größer geword… | |
Es gehört zu den großen Rätseln des Fußballs, dass die einen Trainer eine | |
Halbwertszeit wie Jod 131 haben, nur acht Tage, und andere eine | |
Halbwertszeit wie Cäsium 137, mithin 30 Jahre. Die Wirkmacht der einen baut | |
sich schnell ab, die anderen scheinen keine Verschleißerscheinungen zu | |
haben. Sie strahlen sehr lange, meist sogar ohne Kontaminationen. | |
Letztere, die Cäsium-137-Coachs, sind in der Minderzahl. Solitäre auf einem | |
Markt der Hyperflexibilität. Volker Finke, Guy Roux, Otto Rehhagel, Thomas | |
Schaaf oder Alex Ferguson waren Trainer, die einen Klub lange führten. Noch | |
im Amt ist Arsène Wenger bei Arsenal London. Noch. | |
Dass so etwas überhaupt möglich gewesen ist auf dem Topniveau des | |
europäischen Fußballs, ist ein Wunder, denn Trainer haben sich mit ihren | |
Ambitionen entweder einzupassen in eine Vereinsphilosophie oder sie | |
fungieren als Springer, „Feuerwehrmänner“ und Notnagel. Sie sind in der | |
Regel schwächer als der Vorstand und das Präsidium. Trainer sind, trotz | |
medialer Dauerpräsenz und fürstlicher Entlohnung, nur Dienstleister im | |
Unterhaltungsgewerbe. | |
Diese Disbalance führt manchmal zu kuriosen Situationen wie der, dass ein | |
Trainer – wie Jupp Heynckes 1998 bei Real Madrid – sogar nach dem Gewinn | |
der Champions League entlassen werden kann. | |
## Der Fall Tuchel | |
Das führt uns in direkter Linie zu Borussia Dortmund, ein Klub, der zwar | |
nichts mit dem Champions-League-Sieg in diesem Jahr zu tun hatte, aber eine | |
gute Saison spielt. Mit einem sehr jungen Kader und diversen Störungen im | |
Saisonverlauf: Zuerst zoffte sich Trainer Thomas Tuchel mit dem Chefscout | |
der Borussen, was Vorstandschef Hans-Joachim „Aki“ Watzke dazu nutzte, den | |
Scout zum Chef der Abteilung Profifußball zu befördern. Dann setzte sich | |
Nationalspieler Mario Götze mit einem mysteriösen Stoffwechselleiden | |
vorläufig zur Ruhe. Spieler maulten intern angeblich über nervige | |
Trainingsmethoden, Stichwort Meditation. | |
Vor wenigen Wochen gab es ein Sprengstoffattentat auf den voll besetzten | |
Mannschaftsbus der Borussen. Ein Bruchteil davon hätte andere Mannschaften | |
aus der Bahn geworfen, die Borussia blieb stabil. Trotzdem steht Tuchel nun | |
zur Disposition. Watzke kommt nicht mehr klar mit ihm. Er mag Tuchel nicht. | |
Gezielt lässt er Interna durchsickern, um die Position des Trainers zu | |
schwächen. | |
Das Lager der Tuchel-Gegner ist in den vergangenen Wochen größer geworden, | |
ein sicheres Zeichen dafür, dass sich eine Ablösung anbahnt. Denn der | |
Opportunismus der Medien, die mit einer Art Untergangsgeilheit den | |
amtierenden Coach angehen, ersetzt nicht selten den Blick in die Glaskugel. | |
## Und Lucien Favre? | |
Und in der erscheint nun ein gewisser Lucien Favre. Das ist ein Trainer, | |
der aus dem selben Holz wie Tuchel geschnitzt ist. Ein Perfektionist, ein | |
großartiger Fußballfachmann, aber eben auch ein Typ mit gewissen Eigen- und | |
Verschrobenheiten, die 11 Freunde so formuliert: „Es ist ein schmaler Grat | |
zwischen Perfektion und Pedanterie, zwischen Detailgenauigkeit und | |
Detailversessenheit.“ | |
Der Aki könnte also, wenn es denn so kommt, viel Spaß haben mit dem Lucien, | |
ungefähr so viel wie die Liquidatoren von Tschernobyl mit dem strahlenden | |
Isotop Cäsium 137. | |
20 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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