# taz.de -- Kommentar deutsche Türkeipolitik: Freibrief für Erdoğan | |
> Die Doppelbödigkeit der deutschen Standpunkte ermöglicht dem türkischen | |
> Präsidenten, seine Politik ohne jeden Kompromiss durchzuziehen. | |
Bild: Sitzen bequem: Angela Merkel und Recep Tayyip Erdoğan | |
Rüstungsdeals ja, Abstimmen über die Todesstrafe nein. Asyl für türkische | |
Nato-Offiziere in Deutschland ja, aber den Rückzug der deutschen Luftwaffe | |
aus dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik nein. Und die | |
Nato-Mitgliedschaft der Türkei generell? Nein – so grundsätzlich will die | |
Bundesregierung die Dinge derzeit lieber nicht diskutieren. | |
Während Kanzlerin Merkel gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip | |
Erdoğan in Sachen Todesstrafe scheinbar eine „klare Kante“ zeigt, | |
verhandelt ihre Wirtschaftsministerin zeitgleich mit ihrem türkischen | |
Kollegen über einen Ausbau der deutsch-türkischen Handelsbeziehungen. | |
Passend dazu klagt die Linke im Bundestag, dass die Bundesregierung für die | |
Freilassung des deutschen Journalisten Deniz Yücel viel zu wenig tue. Auf | |
eine entsprechende Anfrage der Linksfraktion antwortete das Auswärtige Amt, | |
dass Sanktionen im Wirtschaftsbereich „nicht zielführend“ seien. | |
Diese Widersprüchlichkeit, um nicht zu sagen: Doppelbödigkeit der deutschen | |
Türkeipolitik ist es, die es dem türkischen Präsidenten Erdoğan ermöglicht, | |
aller scheinbaren deutschen oder europäischen Kritik zum Trotz seine | |
Politik weiterhin ohne jeden Kompromiss durchzuziehen. | |
Noch sind keine drei Wochen nach dem wahrscheinlichen Wahlbetrug im | |
Referendum über die Einführung des Präsidialsystems vergangen, da | |
interessiert sich die Bundesregierung bereits wieder hauptsächlich für den | |
Ausbau der deutsch-türkischen Handelsbeziehungen. Panzer für Erdoğan, so | |
könnte man daraus schließen, sind am Ende dann eben doch wichtiger als | |
eine freie Presse und die Freilassung von Deniz Yücel. | |
Man kann nicht gleichzeitig die Einhaltung von Pressefreiheit, Rechtsstaat | |
und Menschenrechten fordern und auf der anderen Seite die Ausweitung der | |
Zollunion und den Ausbau des bilateralen Handels betreiben – warum sollte | |
sich Erdoğan auch um Kritik kümmern, wenn ihm die Euros weiterhin ins Land | |
rollen –, obwohl die Zahl der politischen Gefangenen im Land täglich | |
zunimmt. | |
Selbst die vermeintliche „rote Linie“, die bei Wiedereinführung der | |
Todesstrafe angeblich überschritten wird, muss Erdoğan nicht wirklich | |
fürchten. Schließlich, das weiß er ja nun aus Erfahrung, sind substanzielle | |
Sanktionen vonseiten Deutschlands oder der EU nicht zu erwarten. | |
9 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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