# taz.de -- Rüstungsgeschäfte in aller Welt: Munition für die Türkei-Debatte | |
> Wie der Düsseldorfer Konzern Rheinmetall die deutsche Rüstungskontrolle | |
> legal umgeht und dabei gute Geschäfte im Land von Erdoğan macht. | |
Bild: Aus Panzern und Munition lässt sich ordentlich Geld machen | |
Berlin taz | Schräg gegenüber vom Verteidigungsministerium duckt sich ein | |
ausrangierter Leopard-2-Panzer vor das Maritim-Hotel. Drinnen plant sein | |
Hersteller, der Rheinmetall-Konzern aus Düsseldorf, gerade die Strategien | |
für das kommende Jahr. Draußen demonstrieren an die 200 Menschen dagegen. | |
Im Zentrum ihrer Kritik: eine Panzerfabrik, die Rheinmetall mit Partnern in | |
der Türkei bauen will. Ausgerechnet dort also, wo Präsident Recep Tayyip | |
Erdoğan die Verfassung umschreibt, seine Macht ausweitet und seine Gegner | |
mit ihrer Festnahme rechnen müssen. | |
„Unter solch labilen Bedingungen sollte man nicht den türkischen Staat | |
aufrüsten und ihm helfen, eine eigenständige Rüstungsindustrie aufzubauen“, | |
kritisiert Barbara Happe, Aktionärin bei Rheinmetall und bei der | |
Nichtregierungsorganisation urgewald aktiv. Neben dieser Organisation | |
beteiligen sich Campact, Aktion Aufschrei und Pax Christi an dem Protest. | |
Deutsche Exporte zur Heeresbewaffnung in der Türkei haben eine lange | |
Tradition: Erst 2005 hat die türkische Armee knapp 300 ausgemusterte | |
Leopard-2-Panzer der Bundeswehr erhalten. Dazu kamen in der Vergangenheit | |
Fregatten, Sturmgewehre und Kleinwaffen. | |
Doch angesichts der politischen Spannungen zwischen Deutschland und der | |
Türkei hat sich die Situation verändert: Anfang 2017 lehnte die | |
Bundesregierung elf Rüstungsexporte ab. Die Türkei ist zwar Mitglied der | |
Nato. Aber aus besonderen politischen Gründen kann der Export von | |
Kriegswaffen beschränkt werden – zum Beispiel aufgrund von Militäreinsätzen | |
gegen Kurden im Südosten der Türkei. | |
## Ein neuer Wachstumsmarkt | |
Deshalb würde sich die Türkei gerne unabhängig machen von den | |
Rüstungsexport-Vorgaben von Deutschland, ohne deshalb auf die Expertise von | |
Rheinmetall zu verzichten. Möglich wäre das durch die Gründung von | |
gemeinsamen Unternehmen und den Aufbau von Fabriken. | |
„Die Pläne der Rheinmetall AG sind eine unternehmerische Entscheidung“, | |
antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen in Bezug auf die | |
Pläne des Konzerns in der Türkei. Solange die für eine Fabrik nötigen Güter | |
und Technologien nicht aus Deutschland, sondern von einer Tochterfirma in | |
Italien oder Südafrika geliefert würden, habe die Bundesregierung keinen | |
Einfluss. | |
Rheinmetall sieht in der Türkei einen neuen Wachstumsmarkt. Mit der | |
100-prozentigen Tochter Rheinmetall Defence Türkei hat sich der Konzern | |
dort eine Repräsentanz geschaffen, dazu kommen Beteiligungen an zwei | |
Firmen. 2015 unterzeichnete Rheinmetall ein Memorandum of Understanding mit | |
dem türkischen staatlichen Rüstungshersteller MKEK zur Produktion und | |
Modernisierung von Munition. | |
Noch weiter fortgeschritten sind die Pläne für die Panzerproduktion: | |
Rheinmetall beteiligt sich zu 40 Prozent an dem neuen | |
Gemeinschaftsunternehmen namens RBSS, zusammen mit der türkischen Firma BMC | |
und der Holding Etika Strategi aus Malaysia. Dem Hamburger Magazin Stern | |
zufolge ist Rheinmetall bereits auf der Suche nach Managern und Ingenieuren | |
für die Entwicklung und Produktion von gepanzerten Fahrzeugen. | |
Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische | |
Sicherheit recherchiert seit Jahren über den Aufbau von Rüstungsfabriken | |
des deutschen Konzerns im Ausland. „Auch wenn Rheinmetall die Schlüssel für | |
eine Fabrik übergibt, macht die Firma damit ein Millionengeschäft“, erklärt | |
er. | |
Zum einen wisse man, dass in den jeweiligen Ländern die Produktion mit | |
Fehlern behaftet sei und man immer wieder um Unterstützung gebeten werde. | |
Zum anderen erfordere der Aufbau beispielsweise einer Munitionsfabrik die | |
Lieferung von Vorprodukten, etwa Bombenhüllen. „Das verschafft Rheinmetall | |
einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Firmen.“ | |
## Weitere Projekte in Indonesien und Polen | |
Die Pläne in der Türkei sind ein Beispiel für die | |
Internationalisierungsstragie des Konzerns. Während sich derzeit mehrere | |
Rüstungsfirmen vom europäischen Markt Wachstum erhoffen, setzt Rheinmetall | |
auf Länder wie die Saudi-Arabien oder Südafrika – vor allem im | |
Munitionsgeschäft. | |
Das Ziel: Geschäfte und Gewinne sollen auch dann realisiert werden, wenn | |
Lieferungen aus Deutschland nicht genehmigt werden. So belieferte der | |
Konzern beispielsweise Saudi-Arabien und baute dort eine Munitionsfabrik. | |
Derzeit plant Rheinmetall weitere Gemeinschaftsprojekte in Indonesien und | |
Polen. | |
Nassauer erklärt, wie es Rheinmetall gelingt, die Rüstungsexport-Vorgaben | |
der Bundesregierung zu umgehen: „Entweder man lässt das begehrte Gut über | |
Tochterunternehmen aus dem Ausland liefern oder man erbittet die | |
Genehmigung zum Export Herstellungstechnologie, die man gegebenenfalls auch | |
über eine Tochter im Ausland liefern kann“, erklärt er. | |
Die Bundestagsabgeordnete Katja Keul (Grüne) sieht die Bundesregierung in | |
der Pflicht, ihre Exportvorschriften zu überarbeiten. Technische | |
Unterstützung im Zusammenhang mit militärischer Endverwendung sei nach | |
geltendem Recht nur im Ausnahmefall genehmigungspflichtig. „Damit wird | |
entgegen der Behauptung der Bundesregierung sehr wohl deutsches Know-how | |
auch im besonders sensiblen Bereich der Kriegswaffenproduktion ohne jede | |
Kontrollmöglichkeit ins Ausland transferiert“, sagt sie. | |
Auf der Hauptversammlung im Hotel Maritim sagt Rheinmetall-Chef Armin | |
Papperger, die beiden geplanten Fabriken in der Türkei seien „zurzeit nicht | |
am Laufen“, sie hätten auch noch keine Genehmigung der türkischen | |
Regierung. Die Strategie des Konzerns scheint aufzugehen: Der Konzernumsatz | |
stieg im ersten Quartal um 14 Prozent auf 1.349 Millionen Euro. In der | |
Verteidigungssparte wuchs er sogar um 16 Prozent auf 612 Millionen Euro. | |
9 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Julia Maria Amberger | |
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