# taz.de -- Medienlandschaft in Peru: Kampf um mediale Pluralität | |
> Die Mediengruppe „El Comercio“ hat eine nicht verfassungskonforme | |
> Monopolstellung. Die Journalistin Rosa María Palacios klagt jetzt | |
> dagegen. | |
Bild: Investigativjournalismus beim Sender des Dominikanerordens – ein Wunder… | |
Lima taz | Unscheinbar ist die alte, hölzerne Eingangstür im Jirón Camaná, | |
eine Straße im historischen Zentrum von Lima. Kein Schild weist darauf hin, | |
dass sich hinter der Tür mit der Nummer 158 ein Radiosender befindet, der | |
jeden Morgen das politische Geschehen Perus kritisch und ausgesprochen | |
bissig unter die Lupe nimmt. Nur einen Steinwurf vom Präsidentenpalast | |
entfernt, präsentiert Rosa María Palacios jeden Morgen um fünf nach acht „A | |
Pensar Más“. | |
Die Radiosendung ist ein politisches Format und macht alles zum Thema, was | |
das Land oder das politische Establishment bewegt. Die Schlammlawinen, die | |
gleich mehrere Städte in den letzten Monaten verwüsteten, waren genauso | |
Thema wie der Odebrecht-Korruptionsskandal,der die Glaubwürdigkeit des | |
politischen Systems in Peru zutiefst erschüttert hat, oder die | |
fortschreitende Konzentration im Mediensektor. Das ist ein Thema, welches | |
der Journalistin auf den Nägeln brennt: „Wir sind auf dem besten Weg, die | |
Pluralität zu verlieren, wenn sich niemand engagiert“, hat sie mehrfach in | |
ihrer Sendung gewarnt. | |
Palacios, studierte Juristin, die kritischen Journalismus spannender findet | |
als Paragrafen, engagiert sich, zeigt Flagge und nimmt kein Blatt vor den | |
Mund. Vor dem Mikrofon, wo sie Expräsident Alan García schon mal öffentlich | |
als Dieb bezeichnete und das auch beweisen kann, aber auch vor Gericht. | |
Gemeinsam mit sieben Kollegen hat sie Klage gegen den peruanischen Staat | |
eingelegt. | |
„In Artikel 61 der Verfassung ist klar fixiert, dass es Aufgabe des Staates | |
ist, Monopolen vorzubeugen. Das gilt explizit für den Mediensektor, wo die | |
Anhäufung von Zeitungen, Radio und Fernsehfrequenzen, die Exklusivität des | |
Zugangs und die Bildung von Monopolen ausdrücklich zu unterbinden ist. Doch | |
diese Bestimmungen setzt der peruanische Staat nicht durch. Deshalb haben | |
wir Klage eingereicht“, erklärt die populäre Radiofrau. Erst vor einem | |
peruanischen Gericht und als sich so gar nichts tat, präsentierten Rosa | |
María Palacios und ihre Kollegen ihre Klage vor der Interamerikanischen | |
Menschenrechtskommission in Washington. | |
## Für die Regierung wäre die Klage ein Super-GAU | |
Die muss nun entscheiden, ob sie die Klage annimmt. Das dauert | |
erfahrungsgemäß. Mit zwei bis drei Jahren rechnet die streitbare | |
Radiomoderatorin, aber nachdem die Klage von den peruanischen Richtern | |
schlicht ignoriert wurde und zwei Jahre auf Eis lag, blieb nichts anderes | |
übrig, als die nächst höhere Instanz anzurufen – die Justizorgane der | |
Organisation für amerikanische Staaten (OAS). | |
Für die peruanische Regierung wäre die Annahme der Klage ein Super-GAU, | |
denn die Rechtslage ist eindeutig. Die Fusion der El-Comercio-Gruppe und | |
des Medienkonzerns Epensa in der zweiten Hälfte des Jahres 2013 war nicht | |
verfassungskonform. Mit dem Zusammenschluss der beiden Medienhäuser ist ein | |
Koloss entstanden, der knapp achtzig Prozent der zirkulierenden Auflage der | |
Tageszeitungen produziert, so eine Studie, die im Dezember 2016 von | |
Reporter ohne Grenzen und dem investigativen Internetportal „Ojo Público“ | |
in Lima vorgestellt wurde. | |
Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die Konzentration der Einnahmen | |
wie der Medien in wenigen Händen „eine Gefahr für die Freiheit der | |
Information in Peru“ sei. „Das ist unter Experten in Peru eine unstrittige | |
Tatsache, aber so eine Studie lesen Sie und ich, vielleicht noch ein paar | |
Mediendozenten und einige Redakteure – aber das war es denn auch“, erklärt | |
Rosa María Palacios mit einem ironischen Lächeln nach der Sendung auf dem | |
alten Ledersofa vor dem Studio. | |
Über dem thront genauso wie über der Programmtafel eine Heiligenfigur, denn | |
schließlich wird aus dem Dominikaner-Konvent gesendet. Erst war das etwas | |
ungewohnt für die Mutter von fünf Kindern, die zudem als Dozentin an der | |
päpstlichen katholischen Universität von Lima arbeitet und ihren Blog | |
pflegt. Der hat mehr als 300.000 Besucher im Monat und Abertausende folgen | |
ihr auf Twitter. | |
## Kritisieren und polarisieren | |
Für die 53-Jährige immer noch nicht ganz nachvollziehbar, denn es waren | |
ihre Kinder, die sie dazu überredet haben, zu bloggen und den sozialen | |
Medien eine Chance zu geben. „Zuletzt meine Jüngste, die mit ihren 13 | |
Jahren so lange insistiert hat, bis ich ein Twitter-Konto eingerichtet | |
habe“, schmunzelt Palacios. Die mit einem Anwalt verheiratete Juristin ist | |
fix, analysiert brillant und kann vermitteln. | |
Zudem scheut sie sich nicht, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. „Ich | |
glaube, dass es eine Aufgabe des Journalisten ist, sich mit den Mächtigen | |
anzulegen. Gute Recherche hat politische Konflikte zur Folge. Das habe ich | |
mehrfach am eigenen Leib erfahren“, sagt Palacios. | |
Jeden Morgen macht sie ein zutiefst politisches Programm: kritisiert und | |
polarisiert, um im Anschluss an die Universität zu fahren und den | |
journalistischen Nachwuchs zu schulen. Das macht ihr Spaß, ist aber auch | |
der Tatsache geschuldet, dass Journalisten wie sie, Gustavo Gorriti, der | |
das investigative Nachrichtenportal IDL Reporteros leitet, oder César | |
Hildebrandt von der Wochenzeitung Hildebrandt en su trece, sich nach | |
Alternativen umsehen müssen. „Wir sind schlicht unanstellbar“, bringt es | |
Gorriti auf den Punkt. | |
Palacios, die seit März 2016 bei Radio Santa Rosa, dem Radiosender der | |
Dominikaner, arbeitet, hat ihre persönliche Nische gefunden und ist froh, | |
dass sie mit allen Freiheiten arbeiten kann. „Die Mönche sind sehr | |
progressiv“, sagt sie anerkennend und ist erleichtert, dass sie nach | |
mehreren Rausschmissen nun wieder in ruhigem Fahrwasser segelt. Zudem | |
können immerhin rund die Hälfte der Limeños, der Bewohner der Hauptstadt, | |
den Sender hören, wenn sie wollen. | |
## Einflussreiche Familien diktieren bei den Medienkonzernen | |
Und der kleine Sender hat an Strahlkraft gewonnen. Angesichts der Tatsache, | |
dass Radio und Fernsehen ausschließlich nach kommerziellen Kriterien | |
produziert werden, suchen mehr und mehr Peruaner nach journalistischen | |
Formaten, die bei den großen Medienkonzernen keine Chance mehr haben. „Wir | |
haben es mit einer systematischen Verflachung zu tun – in Peru herrscht | |
eine penetrante Nabelschau und eine extreme Sensationslüsternheit“, geißelt | |
Palacios das mediale Establishment. Dazu trägt die Politik einiges bei. | |
So hat Expräsident Alan García immer wieder persönlich bei den Besitzern | |
der Medien angerufen, um unliebsame Journalisten loszuwerden. Oft | |
erfolgreich, und auch Rosa María Palacios ist eines seiner Opfer. Im Juli | |
2013 wurde sie bei ATV entlassen, weil ihre Radiosendung „Es Noticia“ ihm | |
und anderen Politikern ein Dorn im Auge war. Nicht zum ersten Mal. | |
Schon zuvor war sie mit der Familie Miró Quesada aneinandergeraten, die | |
neben dem Zeitungsimperium um „El Comercio“ auch 75 Prozent der Anteile an | |
América TV, einem der drei großen Fernsehkanäle Perus, hält, und wurde | |
entlassen. Die Tatsache, dass oftmals einflussreiche Familien die Geschicke | |
der Medienkonzerne diktieren, sorgt auch für eine gewissen | |
Betriebsblindheit: „Es ist kein Zufall, dass die Tragweite der Korruption | |
rund um den Odebrecht-Baukonzern in Peru nicht von einer etablierten | |
Redaktion, sondern von den unabhängigen IDL-Reporteros um Gustavo Gorriti, | |
recherchiert wurde“, betont Rosa María Palacios. | |
Mit dieser Meinung steht die streitbare Frau nicht allein. Doch nun ist es | |
Zeit, sich von den Kollegen zu verabschieden. Sie muss zur Universität | |
fahren, um das Seminar zu halten. Heute geht es um den Schutz der Medien | |
durch die Verfassung – ein durchaus brisantes Thema. | |
5 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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