# taz.de -- Aids-Prävention in Afrika: Fragwürdige Entwicklungshilfe | |
> Die WHO will mit der Beschneidung von Jungen und Männern HIV-Infektionen | |
> vorbeugen, Deutschland unterstützt das. Ist das sinnvoll? | |
Bild: Anscheinend laufen nicht alle Beschneidungen so freiwillig ab wie diese i… | |
BERLIN taz | Im Behandlungsraum schreit ein Kind. Die etwa achtjährigen | |
Jungen, die davor warten, werden unruhig. Sie wurden aus der Schule ins | |
Gesundheitszentrum im kenianischen Kisumu geschickt, um sich beschneiden zu | |
lassen. Damit seien sie besser vor Aids geschützt, sie würden „sauber“ und | |
„echte Männer“. Ein einfacher Eingriff. Aber schon die Spritze zur | |
Lokalbetäubung lässt die Patienten angsterfüllt schreien. | |
Die Jungen wollen gehen. Die Krankenschwester brüllt sie an, es setzt | |
Schläge. Das erzählt Ärztin Jutta Reisinger am Telefon. Sie hat die Station | |
im Auftrag der Hilfsorganisation „Regen“, die Gesundheitshelfer ausbildet, | |
besucht. Dort sei sie Zeugin dieser Zwangsbeschneidungen geworden. „Haben | |
die Eltern eingewilligt?“, habe sie gefragt: „Nein, aber der | |
Schuldirektor“, sei die Antwort gewesen. | |
Reisinger war sprachlos. Das also ist aus der freiwilligen Beschneidung zur | |
Aids-Prävention geworden? Jungen werden zwangsbeschnitten? Am Donnerstag | |
soll sie in der Bundespressekonferenz in Berlin von ihren Erfahrungen | |
berichten. These von Vereinen, darunter auch die Menschenrechtsorganisation | |
Terre des Femmes: Mit der HIV-Prävention in Afrika durch | |
Beschneidungsprogramme läuft einiges schief. Viktor Schiering vom | |
Betroffenenverband „Mogis“ sagt: „Da gehen Menschenrechtsverletzungen als | |
Entwicklungshilfe durch. Diese Projekte müssen sofort verschwinden.“ | |
Die Weltgesundheitsorganisation WHO fördert die Beschneidung von Jungen und | |
Männern in Afrika, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit | |
(BMZ) unterstützt das Programm. Die WHO beruft sich auf Studien, nach denen | |
das HIV-Risiko um bis zu 60 Prozent sinke, wenn ein Mann beschnitten ist. | |
Die Eichel werde härter und nicht mehr so leicht verletzbar. | |
Die WHO legte 2007 umfangreiche Programme für die „freiwillige medizinische | |
Beschneidung von Männern“ (VMMC – Voluntary Medicine Male Circumcision) | |
auf, 2021 sollen 27 Millionen Männer und Jungen beschnitten sein. Die | |
Einwände der Organisationen und Kinderärzte, die heute in Berlin versammelt | |
sind, sind zahlreich: Der Drang, Erfolgszahlen zu liefern, führe offenbar | |
zu Zwangsbescheidungen, wie sie Ärztin Reisinger erlebt hat. Es gebe | |
Berichte darüber, dass die Männer, Jungen oder Eltern schlecht informiert | |
seien. In Afrika geht die Mär um, dass man mit der Beschneidung sicher vor | |
Infektionen sei und auf Kondome verzichten könne. Die Folge: riskanter Sex, | |
wie eine Studie aus Uganda zeige. Die Studien, nach denen das | |
Übertragungsrisiko um 60 Prozent sinke, zweifeln sie ohnehin an. | |
## Ein grundlegendes Problem | |
Zudem bemüht sich die WHO schon bei Schwangeren und Wöchnerinnen um | |
Zustimmung zur Beschneidung ihres männlichen Babys. „Das ist | |
Körperverletzung“, erklärt Ulrich Fegeler vom Verband der Kinder- und | |
Jugendärzte, der heute ebenfalls in Berlin sein will. Er fragt: „Ist | |
Aids-Prävention, die frühestens im Jugendalter relevant wird, ein Grund, | |
Babys zu beschneiden, die noch nicht zustimmen können?“ | |
Fegeler macht auch auf ein grundlegendes Problem aufmerksam: Die | |
Beschnittenen werden in den Programmen darüber aufgeklärt, dass sie | |
zusätzlich Kondome benutzen müssen, um einen nahezu vollständigen | |
HIV-Schutz zu haben. Wenn aber Kondome zu fast 100 Prozent schützen, warum | |
sollte dann zusätzlich noch beschnitten werden? Warum steckt die WHO viel | |
Geld in Beschneidungskampagnen, statt einfach die Akzeptanz von Kondomen zu | |
fördern? | |
„Die WHO ist auf dem richtigen Weg“, meint hingegen Karl Lauterbach, in der | |
SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Gesundheitspolitik. „Seit Jahrzehnten | |
macht die WHO Kondomprogramme“, sagt er. „70 Prozent der afrikanischen | |
Männer werden damit nicht erreicht. Sie lehnen Kondome prinzipiell ab.“ Das | |
Beschneidungsprogramm sei eine sinnvolle Ergänzung. | |
Im Klartext heißt das: die WHO war ratlos. Mit Kondomen kam sie nicht | |
weiter, die Medikation, die das Übertragungsrisiko ebenfalls auf nahe null | |
senkt, ist ihr zu teuer. Also setzt sie auf die Beschneidung. Mit allen | |
Risiken und Nebenwirkungen: Die Vereinigung VMMC-Project, die heute auch | |
auf dem Podium vertreten sein wird, hat Statements von Männern gesammelt, | |
die Verletzungen und Verstümmelungen beklagen, mangelhafte Nachsorge und | |
vor allem eine starke Einschränkung ihres sexuellen Empfindens und ihrer | |
Aktivität. „Perfomance is very bad“ ist ein wiederkehrender Satz. Es sei | |
nicht gerechtfertigt, Kindern für die Aids-Prävention irreparable Schäden | |
zuzufügen. | |
Was sagt Karl Lauterbach dazu? „Das ist eine hochethische Frage, zu der ich | |
mich nicht äußern kann.“ Die WHO und das BMZ, das die Programme | |
unterstützt, wollen auf die Frage nicht antworten. Das Kinderhilfswerk | |
Unicef meint, man habe das ethische Problem abgewogen und den Nutzen höher | |
eingeschätzt. | |
4 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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