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# taz.de -- Eine „historische Sensation“: Gegen den Krieg gedruckt
> Eine Ausstellung ehrt eine Zeitschrift, die im Ersten Weltkrieg über die
> Fronten hinweg erschien – und in Hamburg gedruckt wurde.
Bild: Ein „genialer Organisator“: Heinrich Kaufmann
HAMBURG taz | Es war ein Zufallsfund. Beim stöbern in den Biografien des
Genossen Heinrich Kaufmann ist Museumsgründer Bösche auf das Internationale
Genossenschafts-Bulletin gestoßen. Die Zeitschrift der Verlagsgesellschaft
deutscher Konsumvereine erschien während des Ersten Weltkrieges über die
Fronten hinweg. Bösche nennt es eine „historische Sensation“, der nun eine
Sonderausstellung im Genossenschaftsmuseum gewidmet ist.
Heinrich Kaufmann war ein „genialer Organisator“, sagt Burchard Bösche.
Eine der vielen unternehmerischen Leistungen des studierten Lehrers ist aus
dem Stadtbild verschwunden. Dort, wo heute der Real-Supermarkt am Berliner
Tor steht, stand einst ein imposantes Fabrikgebäude mit der wohl größten
Druckerei in der Druckerhochburg Hamburg. Die Verlagsgesellschaft deutscher
Konsumvereine war zugleich der Thinktank der starken
Genossenschaftsbewegung im Kaiserreich. Diese bestand aus weit über 1.000
Unternehmen: Bäckereien, Waschmittelproduzenten, Fahrradfabriken,
Lebensversicherer und Lebensmittelläden. Oft waren die Betriebe der
Genossen die stärksten ihrer Branchen.
Konsumgenossenschaften sahen und sehen sich als „Vertreter der
Verbraucher“, die sie mit hochwertigen und preiswerten Produkten vor den
Unbilden des Kapitalismus schützen wollten. Mit Erfolg. Sie hatten – wie in
der Weimarer Republik, später der jungen Bundesrepublik und der DDR –
Millionen Mitglieder. Im Kaiserreich boomten sie: So explodierte der Umsatz
der Verlagsgesellschaft in fünf Jahren von rund einer halben auf vier
Millionen Reichsmark bis zum Kriegsbeginn.
In der Sonderausstellung „Verlagsgesellschaft der deutschen
Konsumgesellschaft“ würdigt das [1][Hamburger Genossenschaftsmuseum] den
Verlag, das durch alliierte Bombenangriffe 1943 zerstörte architektonische
Meisterstück und den Gründer Kaufmann. „In dem Haus der Verlagsgesellschaft
wurde Geschichte geschrieben“, sagte Museumsleiter Burchard Bösche. In der
Ausstellung sind Originalbaupläne zu sehen, Fotos und Abdrucke.
Geschichte geschrieben wurde besonders durch die Herausgabe des
Internationalen Genossenschafts-Bulletins – mitten im großen Krieg über
alle Fronten hinweg. Mit Kriegsbeginn 1914 wird das Zentralorgan erst
einmal eingestellt. Doch Kaufmann und seine Freunde besinnen sich auf ihren
Internationalismus. Man wollte sich „nicht auseinander bringen lassen“.
## Aus dem feindlichen London
Die Texte für das Bulletin kamen während des Weltkrieges aus dem
verfeindeten London. Dort saß die Hauptredaktion des Internationalen
Genossenschaftsbundes (IGB). Auch beim „Erzfeind“ Frankreich erschien das
internationale Bulletin weiterhin. Im Hamburger Verlagshaus wurden die
Texte übersetzt, von Kaufmann mit ergänzenden Fußnoten versehen,
anschließend gedruckt und an 1.500 deutschsprachige Abonnenten bis nach
Österreich-Ungarn versandt.
Diesem Bulletin ist es zu verdanken, so Bösche, dass die internationalen
Beziehungen der Genossenschaften – anders als bei allen übrigen
internationalen Organisationen – nicht gänzlich abrissen. „Und nach
Kriegsende unverzüglich in vollem Umfang wieder aufgenommen werden
konnten.“ Reprints der Bulletin-Jahrgänge 1915 bis 1917 hat das
Genossenschaftsmuseum jetzt veröffentlicht. Eine bedeutende Quelle, um sich
über die wirtschaftliche und soziale Lage Europas während des Krieges zu
informieren.
Der Sozialdemokrat Kaufmann hatte in seiner Freizeit in einem Kellerlokal
des Fortbildungsvereins Barmbek-Uhlenhorst wissensdurstige Arbeiter
unterrichtet. Die SPD heute sollte endlich ihre „sozialdemokratischen
Kaufleute“ würdigen und ihre panische Angst vor wirtschaftlicher
Verantwortung ablegen, sagt Bösche. Gleiches ließe sich wohl von der
Linkspartei sagen. Vor einem Jahrhundert war das anders: 1903 gründeten 600
Delegierte in Dresden den Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften.
Kaufmann wurde Generalsekretär und Vordenker der Bewegung. Heute gehört
auch die tageszeitung zu deren Mitgliedern.
23 May 2017
## LINKS
[1] http://genossenschafts-museum.hamburg/
## AUTOREN
Hermannus Pfeiffer
## TAGS
Genossenschaft
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Rowohlt
Ausstellung
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