# taz.de -- Buch über Trash-Fernsehen: Hinter der Schattenwand | |
> Unterhaltsam, aber nicht sehr tiefgehend: Anja Rützel hat über | |
> Schundfernsehen und dessen Rezeptionswandel geschrieben. | |
Bild: Aus der Filterblase ausgebrochen | |
Wer mithilfe von Google nach dem Begriff „Schattenwand“ sucht, findet als | |
erstes Ergebnis den Verweis auf einen Wikipedia-Artikel zu einer | |
Fernsehsendung namens „Das Geständnis – Heute sage ich alles!“, die | |
zwischen 2004 und 2006 im Nachmittagsprogramm von ProSieben zu sehen war. | |
Tatsächlich kam in dieser Show so ziemlich alles zusammen, was man | |
gemeinhin unter dem Sammelbegriff „Trash-TV“ summieren kann: Moderiert von | |
einer Gewinnerin des Spannerformats „Big Brother“, wurden hier im Stil | |
einer täglichen Talkshow meist schlüpfrige, aber immer hanebüchene | |
Geschichten um Betrug, Eifersucht und Kleinkriminalität im Freundes- und | |
Familienkreis mit Laiendarstellern inszeniert. | |
Als zentrales Element der Sendungen wurde dabei auch eine Schattenwand | |
etabliert, hinter der ein Gast Platz nehmen musste, um dort | |
pseudoanonymisiert befragt zu werden. Das Verlassen dieses vermeintlich | |
sicheren Ortes und die Konfrontation mit den Gästen vor Livepublikum | |
stellten dabei jedes Mal den Höhepunkt der Showdramaturgie dar. | |
Die Autorin Anja Rützel beschreibt das gemeinsame Schauen einer Ausgabe | |
von „Das Geständnis“ mit einem Kumpel und dessen Fassungslosigkeit über d… | |
gerade Gesehene, als ihr Erweckungserlebnis. „Ich brauchte den Kontrast zu | |
meinem Freund, um in diesem Moment zu erkennen, wie tief ich offenbar | |
bereits in den Trash-Sumpf hinabgesunken war, ohne es zu merken“, schreibt | |
sie im Prolog des Bandes „Trash-TV“, der in der Reclam-Reihe „100 Seiten�… | |
erscheint und sich mit jenem Medienphänomen beschäftigt, das zwar seit | |
Jahren in aller Munde ist, aber wegen Uneindeutigkeit seiner | |
Genrezugehörigkeit kaum definiert werden kann. | |
Ähnlich wie bei Rützels beschriebenem Schlüsselmoment gelingt das mithilfe | |
der Differenz: „Was Trash-Fernsehen ist, lässt sich eigentlich nur durch | |
Abgrenzung bestimmen“, erklärt die Autorin und stellt ihr | |
kulturwissenschaftliches Interesse am Sujet ebenfalls unter dieses Thema: | |
„Jede Trash-TV-Sendung ist auch ein Ausbruch aus der Filterblase um uns | |
herum.“ | |
## Kanonisierung des Schundfernsehens: GNTM neben Ovid | |
Nun ist Anja Rützel zwar studierte Kulturwissenschaftlerin, der breiten | |
Medienöffentlichkeit aber vor allem als Autorin von Spiegel Online bekannt, | |
wo sie TV-Dauerbrenner wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, „… | |
Bachelor“ oder „Germany’s Next Top Model“ in all ihrer Irrsinnigkeit und | |
Absurdität mit geradezu liebevoller Akribie dokumentiert. Dass sie sich nun | |
auch für eine Reclam-Reihe „zu aktuellen und relevanten Themen aus Kultur | |
und Geschichte, Naturwissenschaft und Gesellschaft“ mit ihrem | |
Lieblingsthema beschäftigen kann, hängt mit einem Rezeptionswandel der | |
Trash-TV-Formate zusammen, der es im Zuge der Kulturkanonisierung des | |
RTL-Dschungelcamps mittlerweile problemlos erlaubt, die guilty pleasures | |
des Schundfernsehens hinter der persönlichen Schattenwand hervorzuholen. So | |
steht diese Reclam-Ausgabe nicht nur in einer Reihe mit „Twin Peaks“, | |
„Superhelden“ oder „Asterix“, sondern auch mit „Ovid“ und einem Ban… | |
„Menschenrechte“. | |
Wie zu erwarten geht die Autorin auch dieses Kompendium mit gewohnter | |
rhetorischer und spielerischer Leichtigkeit an und bringt dabei tatsächlich | |
die wichtigsten Punkte und eine Unmenge von Formatbeispielen unter, was – | |
der strengen Formatlimitierung geschuldet – manchmal ein leicht gehetztes | |
Anekdoten- und „Dann war da noch“-Gefühl aufkommen lässt. | |
Kritik an den häufig reaktionären und konservativen Rollen- und | |
Gesellschaftsbildern klingt zwar ebenfalls an, geht jedoch im Zuge des | |
Buchmottos „Es ist Mist, aber ich mag’s“ eher unter. Rützel bemüht hier | |
lieber die feministische Medienkritikerin Jennifer L. Pozner, die der | |
Rezeption von Trash-TV eine damit einhergehende Medienkompetenz als | |
„stärkste Waffe gegen Propaganda und Manipulation der profitgetriebenen | |
Medienkultur“ zuspricht. In logischer Konsequenz müsste sich Trash-TV nach | |
exzessivem Konsum also gleich selbst abschaffen. | |
15 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Mayer | |
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