| # taz.de -- Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon: Eine andere Generation | |
| > In der französischen Politik gilt Benoît Hamon auch mit 49 noch als der | |
| > ewige Jugendliche – eine offenbar unüberwindbare Hürde. | |
| Bild: Ewig jung? Der französische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon | |
| Paris taz | Ein Treffen nach dem anderen und die Müdigkeit ist ihm | |
| anzusehen. Keine Zeit zum Luftholen. „Es ist die Zeit der Gemeinheiten“, | |
| sagt Benoît Hamon. Die Worte reihen sich aneinander, dann stockt er. Hamon, | |
| 49 Jahre alt, zählt an seinen Fingern die Präsidentschaftskandidaten ab, | |
| die die Sozialistische Partei (PS) hervorgebracht hat: „Mitterrand, Jospin, | |
| Royal, Hollande …“ Er schließt mit einem verschmitzten Lächeln: „Ich bin | |
| der Jüngste.“ Das Detail ist ihm wichtig. | |
| Hamon, Abgeordneter für das Pariser Vorortdepartement Yvelines, sitzt mit | |
| seinem jungen Wahlkampfteam in einem Büro im Tour Montparnasse. Er hat von | |
| Anfang an die Jugend in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs gestellt. In der | |
| Vorwahlkampagne sei es das zentrale Anliegen gewesen, die Jugend zu | |
| mobilisieren, um eine Zukunft für die Linke zu entwerfen, meint Pascal | |
| Cherki, einflussreicher Parlamentarier der Sozialisten und einer der | |
| wichtigsten Unterstützer des Präsidentschaftskandidaten. | |
| Benoît Hamon hat in Saint-Renan, am westlichen Ende der Bretagne, das Licht | |
| der Welt erblickt. Sein Vater ist Ingenieur im Schiffsbau, seine Mutter war | |
| Lehrerin und arbeitete später als Sekretärin. Eine ganz normale Familie. | |
| Benoît Hamon hat einen kleinen Bruder und eine kleine Schwester. | |
| Bald verlässt die Familie die Bretagne. Sie finden sich in Dakar, im | |
| Senegal, wieder. Papa Hamon war versetzt worden: Er bildet jetzt | |
| Facharbeiter für die senegalesische Rüstungsindustrie aus. „Ich bin acht | |
| Jahre und entdecke eine neue Welt auf der Straße: Es brodelt an allen | |
| Ecken“, erinnert sich der ehemalige Bildungsminister. Doch la vie est | |
| belle: Schule, Strand, Langusten und schöne Mädchen. Politik kommt kaum vor | |
| in diesem Leben. | |
| Der junge Kerl kehrt mit 12 Jahren in die Bretagne zurück. Nicht einfach. | |
| „Der Himmel ist grau und hängt tief, die Kleidung ist weniger farbenfroh.“ | |
| Die Schuljahre vergehen ohne Zwischenfälle. Nicht gut, nicht schlecht. Im | |
| Gymnasium trifft er auf Faschos mit Aufnähern „Hände weg von meinem Volk!�… | |
| Als Reaktion steckt er sich das Symbol der kleinen gelben Hand an: „SOS | |
| Rassismus“. Seine erste politische Handlung. | |
| ## Zusammenstöße mit militanten FN-Anhängern | |
| Die zweite dann 1986. Als Student in der Wirtschaftsfakultät gehört er zu | |
| den Widerständlern, die sich gegen die geplanten Änderungen am | |
| Hochschulgesetz wehren. Es geht um Studiengebühren und | |
| Zulassungsbestimmungen. Zusammen mit Mitstreitern tritt er in die | |
| Sozialistische Partei ein. Lagerkämpfe. In Brest haben die Anhänger des | |
| Sozialisten Michel Rocard die Vorherrschaft. | |
| Hamon erinnert sich: „Es hieß, die Mitterrandianer und die Juppétisten sind | |
| unsere Feinde. Ich antwortete: Ach so?“. Für den sozialistischen | |
| Präsidenten François Mitterrand und den Gaullisten Alain Juppé durfte man | |
| also nicht sein. Hamon ist schnell vorn dabei und landet mitten in | |
| Zusammenstößen mit militanten Anhängern des Front National, „Typen, die | |
| Boulekugeln in ihre Strumpfhosen steckten.“ Hamon liebt den Zoff. | |
| Beim Weißwein kommt er im Kreise seiner jungen Mannschaft ins Erzählen: Ein | |
| Samstagnachmittag Ende der 80er. Aktivist Hamon verteilt mit einem Kumpel | |
| Flugblätter in Brest. „Drei kantige Typen vom FN tauchen auf. Einer | |
| ohrfeigt mich. Und schmeißt mich vor allen Leuten in den Brunnen. Die | |
| größte Peinlichkeit meines Lebens.“ | |
| Er läuft vollkommen durchnässt in die Zentrale der Partei: Die Mannschaft | |
| entwirft einen Plan. Die Woche drauf verteilt Hamon an der gleichen Stelle | |
| wieder Flugblätter. Die drei Kanten vom FN tauchen wieder auf. Nun aber | |
| kommen die Aktivisten von der PS aus ihren Verstecken. Die Demütigung der | |
| Woche zuvor wird vergolten. Er ohrfeigt den Revanchisten und wirft ihn in | |
| den Brunnen. | |
| ## Eher Spinner als Anführer | |
| Saint-Renan, Dakar, Brest, dann zieht Benoît Hamon nach Paris. Der Mann, | |
| der immer noch Anhänger von Rocard, einem Intimfeind Mitterrands bei den | |
| Sozialisten, ist, wohnt in verschiedenen WGs. Die Wohnung in der Rue | |
| Lafayette sei „eher ein besetztes Haus als ein Loft“ gewesen. | |
| „Wir waren alle blank“, erinnert sich einer der Mitbewohner. Es ist Olivier | |
| Faure, heute Fraktionsvorsitzender der PS in der Nationalversammlung. | |
| Verrückte Jahre, Mädchen, politische Kämpfe. „Er war eher ein Spinner als | |
| ein Anführer. Er ist sich erst später bewusst geworden, dass er die | |
| Fähigkeit hat zu agieren und zu vereinen“, sagt Faure. Hamon dazu: „Ich war | |
| Bretone.“ Ihm fehlte der Hauptstadt-Look. | |
| Der Bretone nimmt dennoch seinen Platz ein. Er engagiert sich in der | |
| Bewegung der Jungsozialisten (MJS) und emanzipiert sich politisch von den | |
| Vorgaben der Mutterpartei. | |
| Im November 1993 wird Hamon Chef der MJS. Er engagierte sich nun auch in | |
| der linken Studentenbewegung Unef-ID. „Es war die Zeit, als wir | |
| entschieden, in unseren Köpfen autonom zu werden: kein Guru, kein | |
| Anführer“, erinnert sich Hugues Nancy, ein Weggefährte von damals, der auch | |
| einmal Präsident der MJS war. | |
| „Autonom“, auch weil der politische Übervater Rocard nicht mehr mitspielt. | |
| Rausgerissen von der Niederlage bei den Europawahlen 1994, geschlagen von | |
| Bernard Tapie. „Die neue Linke“ gründet sich im Februar 1995, eine | |
| Mikrostruktur, in der vom Ende der Arbeit, der Legalisierung von Cannabis | |
| und Minderheitenrechten gesprochen wird. | |
| ## Herz der sozialistischen Wähler | |
| Hamon, damals 35, also eine Generation älter als die „Jungen“, die auf die | |
| Straße gehen, um gegen Jean-Marie Le Pen zu demonstrieren. Er wendet sich | |
| weiter vom Mehrheitsflügel der PS ab und schließt sich denen an, die das | |
| Etikett „Jugend“ der Partei beleben möchten: Arnaud Montebourg und | |
| Vincent Peillon, die die Neue Sozialistische Partei gründen. Hamon geht | |
| auf Risiko, „eine Haltung einzunehmen, ohne Aussicht auf einen Posten“, | |
| erinnert sich Cherki. | |
| Hamon positioniert sich also am linken Flügel der PS. Für ihn ist es das | |
| „Herz der sozialistischen Wähler“. Als Beweis führt er das Votum der jung… | |
| Linken beim Referendum zur Europäischen Verfassung 2005 an: Nein. | |
| 2008 gründet er zusammen mit Henri Emmanueli die Bewegung „Un monde | |
| d’avance“ (Welt des Fortschritts). Da hält man ihn immer noch für einen | |
| Anfänger. Die Veteranen der Sozialisten „glauben, er ist ein Kleiner, der | |
| sich leicht manipulieren lässt“, meint Cherki. | |
| Aber in Wirklichkeit findet beim Parteikonvent in Reims eine | |
| Staffelübergabe statt, die von Emmanuelli und Hamon organisiert wird. 22,6 | |
| Prozent der Delegierten stimmen bei der Wahl zum Parteichef für ihn. In der | |
| entscheidenden Abstimmung verhilft er der linken Martine Aubry zum | |
| überraschenden Erfolg über Mitte-Frau Ségolène Royal. | |
| Mit 49, nach einer kurzen Erfahrung als Minister – er war fünf Monate lang | |
| für Bildung, Hochschulen und Forschung zuständig –, erhält er nochmal das | |
| Etikett „jung“, als er die Vorwahlen der PS gewinnt und | |
| Präsidentschaftskandidat wird. „Das ist, weil er irgendwie nie das Aussehen | |
| eines Pennälers verliert“, sagt sein langjähriger Weggefährte Gwenegan Bui. | |
| Oft wird er deshalb bezichtigt, ein Dilettant zu sein, was politische | |
| Führung betrifft. | |
| „Das ist falsch, er hat Rückgrat. Er denkt die Krise 2008 und ihre | |
| Konsequenzen immer mit. Dogmatisch ist das nicht“, verteidigt ihn Cherki. | |
| „Er wird immer noch als junger Mann gesehen, weil unsere Generation nie | |
| Zugang zur Verantwortung hatte“, glaubt Olivier Faure, der sich an das | |
| Lieblingsbuch Hamons aus WG-Zeiten erinnert. „Génération“ von Hervé Hamon | |
| und Patrick Rotman, das vom Engagement der jungen Linken in den 50er bis | |
| 70er Jahren erzählt. „Ohne sich dessen bewusst zu sein“, fügt Faure hinzu, | |
| „dass er eines Tages eine andere Generation anführen wird.“ | |
| Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Rüttenauer | |
| 3 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilian Alemagna | |
| Rachid Laïreche | |
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