# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Heiliger Zorn gegen die Regier… | |
> In der einstigen Arbeiterhochburg Le Havre fühlt sich der | |
> linksrevolutionäre Jean-Luc Mélenchon in seinem Element. Und er benennt | |
> sein Vorbild. | |
Bild: Volkstribun der Arbeiterschaft: Jean-Luc Mélenchon | |
Le Havre taz | Echten Grund zum Optimismus hat Jean-Luc Mélenchon (La | |
France insoumise – das unbeugsame Frankreich). Er hat in den Prognosen von | |
10 auf 14 Prozent zugelegt und liegt vor dem Sozialisten Benoît Hamon. Sein | |
erklärtes Ziel ist es, im Rennen um die Präsidentschaft den Konservativen | |
François Fillon zu überrunden und zum Spitzenduo Le Pen und Emmanuel Macron | |
aufzuschließen. | |
„Seinen Rang verdient man in der Schlacht“, verkündet er siegesgewiss in Le | |
Havre, wo er im Hafen ankommt. Die Kommunisten des PCF, die seine | |
Kandidatur trotz Differenzen unterstützen, haben ihm ein Treffen mit den | |
Dockern organisiert. Sie sind immer noch eine Avantgarde in | |
Sozialkonflikten wie im Kampf gegen die Arbeitsrechtsreform von 2015. | |
Mélenchon verspricht den Hafenarbeitern, er werde als Präsident dieses | |
Gesetz widerrufen. Von den Dockern bekommt er einen orangefarbenen Helm, | |
den er stolz wie eine Trophäe vorzeigt. Als Mutprobe muss er mit den | |
Dockern dafür auf einer Hebeplattform in schwindelnde Höhe steigen. Mit 100 | |
Milliarden will Mélenchon die maritime Wirtschaft fördern. 300.000 | |
Arbeitsplätze sollen so entstehen. | |
Le Havre feiert in diesem Jahr die Gründung des Tiefseehafens am Atlantik | |
vor 500 Jahren. 1944 wurde die Innenstadt durch britische Bomben zerstört | |
und musste neu erbaut werden. Die von Auguste Perret entworfene | |
Betonarchitektur (im Volksmund Stalingrad-sur-mer) stößt bis heute auf | |
Ablehnung, wurde aber in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. | |
Wie bei allen großen Werken war es der Staat, der die Wiedergeburt von Le | |
Havre ermöglichte, sagt dazu Mélenchon. „Frankreich hat immer so | |
funktioniert“, erklärt er als Absage an die Propheten einer liberalen | |
Marktwirtschaft, die er mit bissig-ironischen Attacken von seinen Zuhörern | |
auspfeifen lässt. | |
## Harte Arbeit, stolze Arbeiter | |
Er mobilisiert in der Hafenstadt in der Normandie seine Anhänger zu den | |
letzten Gefechten vor der Wahl am 23. April. Mélenchon liebt die heroische | |
Geste. Er ist ein exzellenter Geschichtenerzähler. Er [1][setzt sich in | |
Szene in einem Konzertsaal der Docks], die zum Einkaufszentrum mutiert | |
sind. Seine Bühne steht in der Mitte wie ein Boxring. Nur ist der Mann, der | |
die rund 5.000 Zuschauer rund herum in seinen Bann zieht, nicht ein Boxer | |
und seine Gegner sind anderswo. | |
Auch das Zwiegespräch, das er mit seinem Publikum führt, hat etwas | |
Virtuelles. In Wirklichkeit hält er einen langen Monolog aus dem Stegreif. | |
Langweilig wird es nie. Mélenchon ist bestimmt der beste Redner der elf | |
Präsidentschaftskandidaten, sein Französisch verrät Bildung und Erfahrung. | |
Er kann es sich leisten, zum Schluss ein Gedicht von Baudelaire vorzulesen, | |
ohne als Bildungssnob angeschaut zu werden. | |
In der Arbeiterhochburg Le Havre, die von 1965 bis 1995 die größte von den | |
Kommunisten regierte Stadt Frankreichs war, spricht Mélenchon von der | |
harten Arbeit und den stolzen Arbeitern. Das nach der Arbeitsministerin | |
„Loi El Khomri“ benannte Arbeitsgesetz ist ihm ein Musterbeispiel einer von | |
„Linken“ betriebenen neoliberalen Politik auf Kosten der Berufstätigen und | |
der großen französischen Nation: „Mit einer Arbeitswelt, die wie ein | |
Dschungel ist, kann man nicht eine große Nation mit großen Projekten sein“, | |
predigt Mélenchon mit republikanischem Patriotismus. | |
## „Résistance, résistance“ | |
Er steigert sich in einen heiligen Zorn, wenn er als Volkstribun Revanche | |
fordert. „Résistance, résistance“ (Widerstand, Widerstand), antwortet die | |
Menge im Dock Océan. Die One-Man-Show verwandelt sich unversehens in ein | |
Tribunal, wenn Mélenchon verlangt, das Volk müsse seine Macht | |
zurückbekommen und dazu müssten die bisher Regierenden weg. „Dégagez, | |
dégagez!“ (Weg mit euch!), ruft dazu bestätigend der Chor. Sein Vorbild, | |
sagt Mélenchon, seien die Sansculottes der Revolution von 1789. | |
Als Anekdote verrät er, als 13-Jähriger habe er einer Freundin ein Buch mit | |
Gedichten geschenkt und von ihr die fünfbändige Geschichte der Großen | |
Revolution bekommen, deren Lektüre ihm eine neue Welt eröffnet habe. Vor | |
diesem persönlichen Lebenshintergrund muss man sein Programm lesen: Er will | |
die „präsidiale Monarchie“ beenden und als „letzter Präsident der Fünf… | |
Republik“ eine verfassungsgebende Versammlung einberufen, die neue | |
Volksrechte einführen soll. | |
Zum Abschluss stimmt Mélenchon die Marseillaise an. Er überlässt es einigen | |
Nostalgikern, danach die Internationale zu singen. Seine Revolution ist die | |
von 1789 und nicht die vom Oktober 1917. Selbst in der Arbeiterhochburg Le | |
Havre. | |
30 Mar 2017 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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