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# taz.de -- Kommentar TV-Debatte in Frankreich: Marathon der Empörung
> Die Talk-Runde vor den Präsidentschaftswahlen nutzt nur den Populisten.
> Argumente dringen nicht durch. Die linke Mitte könnte scheitern.
Bild: Mal nicht die strahlende Siegerin: Marine Le Pen
Wer hätte das gedacht? Die Altlinken, sie können es noch. Am Dienstagabend
jedenfalls ging einer von ihnen als klarer [1][Sieger der großen
Fernsehdebatte] vor der französischen Präsidentenwahl hervor. Jean-Luc
Mélenchon, der Vorsitzende des sozialistischen Parti de Gauche, wetterte
nach allen Seiten und riss die Debatte so dermaßen an sich, dass der
Linksliberale Emmanuel Macron nur noch dreinschauen konnte wie ein
verstörtes Kaninchen.
Macron kann gut zuhören, er kann Dialog, ist kein Starrkopf. Aber gerade
das dürfte dazu beigetragen haben, dass er in den spätabendlichen Umfragen
nur auf Platz zwei landete hinter Mélenchon, der ein gutes Gespür für die
Schwächen seiner Gegner hat – weshalb er auch den sozialdemokratischen
Kollegen Benoît Hamon in die Bedeutungslosigkeit versenkte – und sich
gleichzeitig nicht zu schade für Pathos ist: „Ich habe mein Leben dem
französischen Volk gewidmet.“
Auch Mélenchon bedient sich des Narrativs, dass das französische Volk
beschützt werden müsse. Mit dem Argument, man müsse gegebenenfalls das
Paket EU wieder aufschnüren, dominierte er zumindest den Europa-Teil der
Debatte. Macron hielt tapfer dagegen, aber sein Problem ist nun einmal,
dass in jedem zweiten Satz Europa vorkommt, gepaart mit Aufschwung,
Investitionen und Fortschritt. Und womöglich hat er jetzt den Punkt
erreicht, an dem das in den Ohren der Wähler nur noch abstraktes Rauschen
erzeugt.
Dass Mélenchon sich profilieren konnte, indem er den good cop des
Linkspopulismus neben der Rechtspopulistin Marine Le Pen gab, zeigt auch
das größte Defizit des Formats grand débat: Es hilft bevorzugt denjenigen,
deren Talent im Polarisieren und Überspitzen liegt. Es ging um Angriff und
Verteidigung, weniger um Argumente. Macron, dem mancher nachsagt, eine
seiner größeren Leistungen als Minister sei die Einführung neuer Buslinien
gewesen, hatte mit seinem fröhlich-streberhaften Pragmatismus keine Chance.
## Wenigstens verlor auch Le Pen
Das einzig Gute an diesem Abend war: Marine Le Pen verlor. Zwar hatte sie
mit die meiste Redezeit, wirkte aber unvorbereitet und quengelig. Die
Empörungsmaschine bedienten diesmal andere, allen voran eben Mélenchon. Da
wagte sich sogar Macron so weit hinaus, Le Pen vorzuhalten, sie erzähle
dieselben Lügen wie ihr Vater. Damit wirkte er dennoch nicht präsidialer
als der großpolterige Sozialist; ebenso wenig François Fillon, der
angestrengt seriös wirken wollte, stattdessen aber zur Wachsfigur verkam.
Trotz der an der Überschreitung der Redezeit verzweifelnden Moderatorinnen:
Auch hierzulande sollte es statt schnöder Talkshowverschnitte mal eine
solche große Runde vor der Wahl geben. Eine Minute ist zwar kurz, aber man
mag gar nicht glauben, wie viel Selbstoffenbarung darin steckt – ob nun
gewollt oder gerade krampfhaft zu verhindern versucht. Dass sich Marine Le
Pen in dieser Reihenfolge als „Französin, Mutter,
Präsidentschaftskandidatin“ vorstellte, war zwar nicht überraschend, aber
sagt doch viel über sie aus.
In Frankreich jedenfalls ist jetzt wieder alles noch viel offener als
ohnehin schon. Macron wird sich überlegen müssen, wie er künftig auftreten
kann, wenn er verhindern will, dass Mélenchon ihn tatsächlich überholt.
Schon werden erste Stimmen laut, die eine Stichwahl zwischen Mélenchon und
Le Pen vorhersagen. Das wäre, wie diese Debatte, ein Scheitern der (linken)
Mitte.
5 Apr 2017
## LINKS
[1] /Grosse-Fernsehdebatte-vor-der-Wahl/!5399768
## AUTOREN
Johanna Roth
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Jean-Luc Mélenchon
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