Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gesetz gegen Kettenduldung: Integriert, aber trotzdem ungewollt
> Gut integrierte Geduldete sollen laut Aufenthaltsgesetz bleiben dürfen.
> Doch wenige schaffen das, denn die Kriterien sind kaum zu erfüllen.
Bild: Kusch! So ungefähr müssen sich manche Kettengeduldete vorkommen
Berlin taz | Ayla kommt aus Neukölln. Sie wurde im Vivantes-Klinikum
geboren, besucht die örtliche Grundschule und war schon in der ersten
Klasse in mehreren Fächern die Beste. Vor genau einem Jahr berichteten
Berliner Medien über die damalige Erstklässlerin, weil sie mit ihrer
Familie nach Aserbaidschan abgeschoben werden sollte. Protest von
Lehrer*innen, Mitschüler*innen und deren Eltern verhinderte die
Abschiebung.
Aylas Eltern sind vor 17 Jahren eingewandert, finanzieren ihren
Lebensunterhalt und schicken die Kinder zur Kita und in die Schule. Warum
sollten sie nicht bleiben dürfen?
Für Fälle wie Ayla und ihre Familie hat die Bundesregierung eigens im
Sommer 2015 ein Gesetz geändert. Der neue Paragraf im Aufenthaltsgesetz
bestimmt, dass gut integrierte Geduldete ein Bleiberecht bekommen sollen.
Wie nun herauskam, hat die Änderung bislang nur knapp 1.000 Menschen
geholfen.
Laut dem neuen Paragrafen 25b kann eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wer
sich „nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland
integriert hat“. Im Gegensatz zu früheren Regelungen gibt es keine
Stichtage mehr, die Menschen nur aufgrund der Ankunftszeit ausschließen.
Stattdessen kann jeder geduldete Mensch, der seit mindestens acht Jahren in
Deutschland lebt, den Antrag stellen. Bei Familien mit Kindern sind es nur
sechs Jahre.
## „Eine gute Grundlage“, findet die Regierung
Mehr als 33.000 Geduldete leben seit mindestens sechs Jahren hier, davon
25.318 mehr als acht Jahre, so die Bundesregierung. Diesen Menschen sollte
die Regel eigentlich eine Perspektive geben. Sie sind von sogenannter
Kettenduldung betroffen, weil ihre Duldung über Jahre hinweg immer wieder
verlängert wird.
Wer geduldet wird, hat eigentlich kein Aufenthaltsrecht, kann aber gerade
nicht abgeschoben werden. Kettenduldung führt also dazu, dass Menschen in
einem ewigen Vakuum leben. Sie bauen sich jahrelang ein Leben in
Deutschland auf, können aber jederzeit rausgeworfen werden, wenn die Lage
im Herkunftsland das zulässt.
Dass bis Ende 2016 nur 1.084 Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis von
Paragraf 25b profitierten, schrieb die Bundesregierung in ihrer Antwort auf
eine Kleine Anfrage. Die Linke stellt diese Anfrage alle paar Monate und
erfragt darin genaue Aufschlüsselungen, wie viele Menschen aus welchen
Ländern nach welchen Paragrafen gerade in Deutschland leben. Im Juni hatte
die Bundesregierung noch erklärt, ihr lägen „keine belastbaren Angaben zu
den bisher von den Ländern erteilten Aufenthaltstiteln nach Paragraf 25b
AufenthG vor“.
Inzwischen hat sie gezählt und schlüsselt die 1.084 Betroffenen genau nach
Altersgruppen, Nationalitäten und Bundesländern auf. Ergänzend steht in der
Antwort auf die Kleine Anfrage, die neue Version des Gesetzes sei „eine
gute Grundlage, um diejenigen mit einer dauerhaften Bleibeperspektive zu
honorieren, die Integrationsleistungen erbracht haben“.
## „Erschütternd schlechte Bilanz“
Für Ulla Jelpke ist dieser Satz „ein schlechter Witz“. Die innenpolitische
Sprecherin der Linke-Bundestagsfraktion kommentiert die Zahlen gegenüber
der taz als „erschütternd schlechte Bilanz“.
Außerdem sieht sie einen Teufelskreis darin, dass Geduldete häufig nicht in
ihrem eigentlichen Job arbeiten können und von Sprachkursen ausgeschlossen
sind, was wiederum mit einer schlechten Bleibeperspektive begründet wird.
Das Resultat sei, dass die Kriterien für §25b nicht erfüllt würden. „Diese
Voraussetzungen sind offenkundig zu hoch“, kritisiert Jelpke. „Wer seit
Jahren in Deutschland lebt, sollte ein Bleiberecht erhalten.“
Auch Pro Asyl kritisiert die hohen Anforderungen an Antragsteller*innen.
Laut dem Gesetz müssen sie einen Pass vorzeigen können und nachweisen, dass
sie bisher immer mit den deutschen Behörden kooperiert haben. Bernd
Mesovic, dem Leiter der Rechtsabteilung von Pro Asyl, sind das zu viele
„Auslegungsfragen“. Zu den hohen Anforderungen komme eine sehr strikte
Auslegung durch Behörden und Gerichte. Ob die Passpflicht erfüllt werden
könne, hänge völlig von den Behörden des Herkunftslandes ob.
Im Gesetz steht außerdem, dass Antragsteller*innen einen Deutschtest
bestehen, sich zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung der
Bundesrepublik Deutschland“ bekennen und „über Grundkenntnisse der Rechts-
und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“
verfügen müssen. Diese Grundkenntnisse werden in einem schriftlichen Test
abgefragt. Mesovic findet den Test zu schwer, vor allem für
Nicht-Muttersprachler, und schlägt eine Gesprächsform vor, bei der jede
Person individuell geprüft werden kann.
## „Die Leute lösen sich ja nicht in Luft auf!“
„Das ist die einzige Reform der Asylpolitik, die die SPD in den
Koalitionsvertrag eingebracht und durchgesetzt hat. Das galt damals als
große Errungenschaft“, sagt Mesovic. Auch Pro Asyl hatte Paragraf 25b
ursprünglich begrüßt, „aber dass die Zahlen so gering sind, hat uns doch
sehr enttäuscht“, sagt Mesovic. Er fordert eine Neuregelung der
Neuregelung, denn „die Leute lösen sich ja nicht in Luft auf!“
Zu denen, die sich 2015 über die Änderung freuten, gehörte auch Aydan
Özoğuz. Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung bewarb das Gesetz als
„Chance“ für „Tausende seit Jahren geduldete Ausländerinnen und Auslän…
Endlich ende „für viele Geduldete und ihre Familien, die längst ihre Heimat
hier gefunden haben, eine jahrelange Unsicherheit“.
Auf Nachfrage hält die Migrationsbeauftragte an der Formulierung fest.
„Natürlich“ seien die veröffentlichten Zahlen noch gering, aber Asylantr�…
Geflüchteter hätten momentan Priorität. Sich um alle Menschen gleichrangig
zu kümmern, scheinen die behördlichen Kapazitäten nicht herzugeben. Jeder
wisse, „was in den letzten 18 Monaten in den Ausländerbehörden und
Beratungsstellen los war und noch los ist“.
Özoğuz fordert zwar, dass die Länder, die nicht alle für die neue Regel
gewesen waren, die „Potenziale“ stärker nutzen müssten. Aber prinzipiell
bleibt die Migrationsbeauftragte dabei: „Was beschlossen wurde, war richtig
und wichtig.“
30 Mar 2017
## AUTOREN
Jana Anzlinger
## TAGS
Integration
Abschiebung
Geflüchtete
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Maghreb
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Abschiebung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausbildungsplätze für Geflüchtete: Wer Angst hat, kann nicht lernen
Laut Integrationsgesetz dürfen auch abgelehnte Asylbewerber eine Ausbildung
machen. In der Praxis scheitert das oft an der Auslegung.
Regierungskonzept für Abschiebungen: Auf-Wiedersehen-Kultur
Bund und Länder wollen bei Abschiebungen gemeinsam handeln. Mehr als 80.000
Menschen sollen Deutschland 2017 verlassen.
Bund-Länder-Treffen: Neue deutsche Härte
Die Bundeskanzlerin will eine schnellere Abschiebung von Migranten. Am
Donnerstag trifft sie die Länderchefs. Dort herrscht teils Skepsis.
Abgelehnte Asylsuchende aus Nordafrika: Viele Gründe für eine Duldung
Nur sehr wenige Asylsuchende aus dem Maghreb werden wieder abgeschoben.
Grund dafür sind Gefahren für Leib und Leben, aber auch fehlende Papiere.
Was passiert mit Flüchtlingen ohne Asyl?: Ablehnung, Duldung, Abschiebung
Können Flüchtlinge ohne Papiere nicht zurückgeschickt werden? Der Fall von
Anis Amri beleuchtet eine schwierige Rechtslage.
Roma-Abschiebung in Bremen ausgesetzt.: Duldung bis der Winter kommt
Serbische Roma-Familie darf vorerst bleiben: Innenressort vertagt geplante
Abschiebung wegen Zweifeln an ihrer Ausreisepflicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.