# taz.de -- Chef der Jungen Liberalen über die FDP: „Wir sind die Optimisten… | |
> Der FDP-Nachwuchs trifft sich zum Bundeskongress. JuLi-Chef Konstantin | |
> Kuhle über Koalitionsaussagen und Wahlkampffehler. | |
Bild: JuLi-Chef Konstantin Kuhle | |
taz.am wochenende: Herr Kuhle, als die FDP 2013 aus dem Bundestag geflogen | |
ist, hat sie sich zur APO, zur außerparlamentarischen Opposition erklärt. | |
Die Jungen Liberalen haben sich [1][nackt an eine Wand gestellt] und auf | |
Kommune 1 gemacht. Wie haben die vergangenen vier Jahre die Partei | |
verändert? | |
Konstantin Kuhle: Wir haben einen neuen Teamgeist. Innerparteiliche Kritik | |
ist wichtig, um nach außen zu zeigen, dass wir lebendig sind. Aber wenn | |
sich manche auf Kosten anderer profilieren, drückt das die Ergebnisse. Das | |
hat sich in der FDP geändert. | |
Erfolgreich, die Partei ist raus aus dem Drei-Prozent-Tief und zuletzt in | |
mehrere Landtage eingezogen. Im Saarland hat es aber nicht geklappt. Woran | |
lag ’s? | |
Der phrasendreschende Politiker würde jetzt sagen, wir haben immerhin zwei | |
Prozentpunkte hinzugewonnen. Aber das hilft ja nicht weiter. Mich hat | |
geärgert, dass man sich am Ende darauf versteift hat, zu sagen: Wer Rot-Rot | |
nicht will, muss FDP wählen. Das reicht nicht. Man sollte als FDP immer in | |
der Lage sein, zu sagen, was man will. Denn ein zentraler Begriff | |
unterscheidet uns von allen anderen… | |
… darf ich raten: Freiheit? | |
Optimismus. | |
Zweckoptimismus? | |
Nein. Wir haben uns in der APO gestählt und sind die optimistische Partei | |
in Deutschland. Die Grünen sind technikfeindlich, die SPD hat Angst vor | |
Modernisierung, die Union ist pessimistisch angesichts des demografischen | |
Wandels. | |
Lassen Sie uns über Koalitionen reden. | |
Klar. Muss sein. | |
Wie halten Sie es mit der Gretchenfrage: SPD oder Union? | |
Die einseitige Orientierung der FDP zugunsten der Union war und ist ein | |
großer Fehler. Wir müssen mehr sein als der Arbeitskreis Freiheit von CDU | |
und CSU. Es kann nicht sein, dass etwa die Grünen in Hessen mit der CDU | |
koalieren und im benachbarten Thüringen sogar mit der Linken, während die | |
FDP sofort in neurotische Selbstbeschäftigung verfällt, wenn es um | |
Koalitionen geht. Wir sollten gesprächsbereit sein mit allen Parteien, | |
außer mit AfD und Linkspartei. | |
Christian Lindner ist nicht so offen. Kürzlich sagte er, [2][die FDP stehe | |
der CDU deutlich näher als der SPD]. | |
Wir stehen niemandem näher. Eine Festlegung auf alle Zeit, vor allem im | |
Bund, wäre respektlos gegenüber dem eigenen Programm. Liberalismus ist kein | |
Komplementärprogramm zu anderen politischen Einstellung. Wir haben Ansätze | |
in Umwelt-, Sozial- und Familienpolitik, nicht nur bei Wirtschaftsfragen. | |
Eine Korrektur in der Energiewende ginge gut mit der SPD, eine | |
Fortschreibung der Schwarzen Null könnte man wohl nur mit der Union | |
durchziehen, und die Ehe für alle kann man wunderbar in einer Ampel | |
beschließen. | |
Wie wichtig ist Ihnen die Ehe für alle? Würde die FDP diese Forderung in | |
für ein Bündnis mit der Union opfern? | |
Alle Parteien, die dafür sind, haben da schon Abstriche gemacht. Der | |
Schwarze Peter sitzt allein bei CDU und CSU. Das Thema ist Angela Merkel | |
eigentlich egal, aber es ist das Letzte, bei dem sie ihr konservatives | |
Profil noch zeigen kann. Das Thema muss von einem Koalitionspartner | |
durchgesetzt werden, ich würde mich freuen, wenn wir es sind. | |
Guckt man sich die aktuellen Wahlprogramme von FDP und Grünen an, findet | |
man viele Gemeinsamkeiten. Bildung, Kampf gegen Rassismus, Sexismus, | |
Homophobie. Die FDP hat sich mit dem Mindestlohn abgefunden, | |
Steuersenkungen stehen nicht mehr im Mittelpunkt, und man sagt | |
„Energiewende“ ohne einen roten Kopf zu bekommen. Findet da eine Annäherung | |
mit einem ehemaligen politischen Feind statt? | |
Bei Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gibt es eine faktische | |
Annäherung. Etwa bei der Anzahl von Partnern, die zusammen Kinder | |
aufziehen, bei Fragen der Digitalisierung und der Migration. | |
Sehen das alle in der FDP so? | |
Viele in der FDP sehen die Grünen noch immer nicht als normalen politischen | |
Mitbewerber. Ich komme aus Niedersachsen, einem Land, das stark | |
landwirtschaftlich geprägt ist. Da kann ich mir eine Zusammenarbeit mit den | |
Grünen kaum vorstellen. Aber wir müssen in der Lage sein, mit ihnen normal | |
zu diskutieren. Nicht wie im letzten Bundestagswahlkampf, als die | |
FDP-Spitze nur absurde Argumente gegen die Grünen vorgebracht hat. | |
Welche waren das? | |
Der Veggie Day und Pädophilie. Da wurden einer Partei vergangene Straftaten | |
angedichtet, und es wurde eine Forderung überhöht, die so gar nicht im | |
Programm stand. Das ist so billig, dass es Wähler durchblicken. | |
Jugendorganisationen von Parteien treiben ihre Mutterpartei häufig vor sich | |
her. Sie fordern viel und nerven ständig. Wie wild sind die Jungen | |
Liberalen? | |
Zuletzt haben wir es geschafft, dass die FDP sich 2015 [3][für die | |
Legalisierung von Cannabis] ausgesprochen hat. Dafür haben wir zehn Jahre | |
lang gestritten. Auch die Aussetzung der Wehrpflicht haben wir erfolgreich | |
in die Partei getragen. | |
Das ist die Vergangenheit. Bei welchen Themen wollen Sie die FDP derzeit | |
überzeugen? | |
Etwa bei der Generationengerechtigkeit. Die Rentendebatte geht in eine | |
gefährliche Richtung, angetrieben durch Gewerkschaften und Martin Schulz, | |
die ständig neue Versprechungen machen. Die Vorschläge der FDP reichen | |
nicht aus, wir brauchen mehr private Vorsorge. | |
Das klingt von außen betrachtet nicht sehr weit entfernt von der | |
FDP-Position. Haben Sie noch etwas? | |
Wir fordern eine Reform der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunks. Der muss schlanker gestaltet und anders finanziert werden. | |
Damit wollen Sie junge Menschen von der FDP überzeugen? | |
Die erste Rechnung, die sie nach Hause bekommen, ist häufig der | |
Rundfunkbeitrag. Dabei haben viele den Eindruck, dass die | |
Öffentlich-Rechtlichen nichts mit ihrer Lebensrealität zu tun haben. | |
„Traumschiff“, teure Sportübertragungen, Live-Berichterstattung von royalen | |
Hochzeiten. Das können auch die Privaten. | |
Klingt populistisch … | |
… ist es aber nicht. Wir brauchen außerdem eine Debatte darüber, welche | |
Rolle junge Menschen in der Demokratie spielen. Viele haben heute mehr | |
Angst vor Fremdenfeindlichkeit als vor Fremden. Das muss auch der FDP | |
klarer werden. Jeden Sonntag gehen Tausende Menschen bei Pulse of Europe | |
für Europa auf die Straße, und die FDP verteidigt Europa nur mit | |
angezogener Handbremse. | |
Anderswo ist die Handbremse gelöst. In der Flüchtlingsdebatte etwa hat sich | |
FDP-Parteichef Christian Lindner deutlich vom Kurs der Kanzlerin | |
abgegrenzt. [4][„Unverantwortlich und unsozial“] sei das gewesen, Merkel | |
habe [5][„systematisch die Öffentlichkeit getäuscht“]. Klingt nach | |
AfD-Populismus. | |
Lindner hat zu Recht die Erosion der europäischen Einigung kritisiert. Der | |
Alleingang der Bundesregierung hat dazu geführt, dass Errungenschaften | |
wieder infrage gestellt werden. Etwa die offenen EU-Grenzen. Aber manchen | |
Vorschlag bewerten wir anders. Nach vorne gestellt wurde ein | |
Einwanderungsgesetz, das hält aber keinen Flüchtling von der Flucht ab. Man | |
muss das voneinander abgrenzen. Sonst kommen wir in die perverse Situation, | |
dass wir Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, nach ihrem | |
Hochschulabschluss fragen. | |
Ist es für eine Jugendorganisation schwer, sich von einer Mutterpartei | |
abzugrenzen, die selbst auf Profilsuche ist und deren Chef mit 40 Jahren | |
fast selbst noch Mitglied sein könnte? | |
Wenn Lindner es schafft, junge Leute anzusprechen, ist das gut. Wenn er es | |
nicht schafft, positionieren wir uns dagegen. | |
Die FDP scheint mit Christian Lindner mal wieder zur One-Man-Show zu | |
werden. Ist das gefährlich? | |
Das kann gefährlich werden. Aber ich mache mir derzeit keine Sorgen. Ich | |
bin froh, dass wir überhaupt irgendeine Show haben als Partei, die nicht im | |
Parlament ist. | |
Sie selbst sind für die Bundestagswahl auf Listenplatz 6 der | |
niedersächsischen FDP. Kann klappen, muss aber nicht. Was machen Sie, wenn | |
es nichts wird? | |
Wenn es nichts wird, werde ich in aller Ruhe in Göttingen promovieren und | |
nebenbei als Anwalt arbeiten. | |
Und was macht die FDP, wenn es nicht klappt? | |
Das wird nicht passieren. Wir dürfen nur nicht der Versuchung erliegen, um | |
jeden Preis einer Regierung beizutreten. Es wäre auch ganz gut, vier Jahre | |
in der parlamentarischen Opposition zu sein, um wieder Reiseflughöhe zu | |
erreichen. | |
7 Apr 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.horizont.net/marketing/nachrichten/APO-mit-Popo-Wie-sich-die-Jun… | |
[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/fdp-chef-christian-lindner-im-interview-… | |
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/parteitag-in-berlin-fdp-mehrheit-will-ca… | |
[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fdp-christian-lindner-kritisiert-… | |
[5] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fdp-christian-lindner-setzt-sich-… | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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