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# taz.de -- Essen in Mexiko City: Kochen ist ein sozialer Motor
> Das Restaurant Quintonil von Jorge Vallejo hat es unter die 50 besten
> Restaurants der Welt geschafft. Mit regionaler, vorkolonialer
> Spitzenküche.
Bild: Jorge Vallejo, der Starkoch, in der Küche.
Als Jorge Vallejo klein war, hatte er einen großen Geburtstagswunsch: Ein
ganzes Grillhähnchen vom Imbiss an der Ecke. Nur für sich allein. Jorge
Vallejo ist erst 35 Jahre alt und schon jetzt einer der besten Köche der
Welt. Die Sonne scheint über das Tal von Mexiko-Stadt. Im Schatten der
Bäume verstecken sich Modeboutiquen, Juwelierläden, teure Apartments. Hier,
im Herzen der Megametropole, liegt das wohlhabende Viertel Polanco – und
Vallejos Restaurant Quintonil.
Wie bei den meisten Köchen hat auch seine Küchenkarriere mit dem
Geschirrtuch in der Hand begonnen. Er war gerade einmal 15 Jahre alt und
von der Schule geflogen. Seine Eltern schickten ihn in ein kleines Lokal in
der Nachbarschaft. Kartoffeln schälen statt Hausaufgaben. Schnippeln,
hacken, vierteln. Zuarbeiten immer dann, wenn einer der drei Köche ausfiel.
Jorge Vallejo wusste, dass er nichts anderes mehr machen wollte. Das
Adrenalin, das geordnete Chaos, der Stress, und am Ende einen Blick in die
Gesichter der Gäste erhaschen, ein Lächeln einfangen.
In weißem Kochhemd und lindgrüner Schürze steht er vor einem großen Tisch
aus Edelstahl. Jorge Vallejos Hand fällt immer wieder erbarmungslos wie
eine Guillotine auf die grünen Chilischoten nieder. „Die Gastronomie“, sagt
er ohne seinen Blick von den Chilis zu heben, „ist ein hartes Geschäft. Du
verpasst Geburtstage, Familienfeste, Zeit mit deiner Partnerin. Und
trotzdem machst du immer weiter.“
Vor fünf Jahren hat er das Quintonil eröffnet. Zwischenzeitlich war es auf
Platz 12 der 50 besten Restaurants der Welt. Dieses jahr ist es auf Platz
22 gelandet. Vor einem Jahr hatte Jorge Vallejo seinen Lehrmeister, den
mexikanischen Starkoch Enrique Olvera und dessen Restaurant Pujol,
überholt. Aber Jorge Vallejo will weiter bis an die Spitze. Keiner
Rangliste, sondern an die Spitze seiner eigenen Kreativität. „Jeder Tag ist
härter als der davor“, sagt er und wischt sich mit dem Handrücken über die
Stirn. „Jeden Tag wird es schwieriger, sich selbst zu übertreffen.“ In der
Pfanne tanzen die Fetttropfen.
## Großmutters Küche
Der junge Koch setzt auf den Kontrast zwischen mexikanischer Alltagskost
und längst vergessenen Zutaten aus der Zeit vor der Eroberung durch die
Spanier. Auf seiner Speisekarte stehen Gerichte wie Kaktus-Ceviche, mit
Shrimps gefüllte Kürbisblüten oder Forelle an gegrilltem Maispilz. „Ich
will die mexikanische Küche nicht neu erfinden“, sagt er und drapiert ein
Kräuterblatt mit der Pinzette auf einen Maisfladen. Er wolle den Geschmack
der traditionellen Gerichte intensivieren. „Ein Essen hier soll dich zurück
in deine Kindheit an den Esstisch deiner Großmutter katapultieren.“
Die mexikanische Küche ist Teil der kulturellen Identität des Landes. „Wir
Mexikaner brennen für unsere Chilis, unsere Gewürze, unsere Soßen. Unser
Essen ist unser Stolz“, sagt auch Jorge Vallejo ernst. In den vergangenen
Jahren ist das mexikanische Essen international immer bekannter geworden.
Im Jahr 2010 hat die Unesco die traditionelle mexikanische Küche sogar zum
immateriellen Weltkulturerbe ernannt. „Ich will unseren Traditionen,
unseren Gerichten gerecht werden.“
12 Uhr Mittag. Noch eine Stunde bis zur Öffnung des Restaurants.
Besprechung. Um Jorge Vallejo stehen rund dreißig Köche und Kellner
zwischen den perfekt gedeckten Esstischen. Jeder hier hat eine Rolle,
gemeinsam zaubern sie eine große Choreografie. „Fangen wir an“, sagt Jorge
Vallejo und die Hostess beginnt die Reservierungen herunterzurattern. „Wir
starten um 13 Uhr mit 46 Gedecken, um 13.15 Uhr zwei weitere Tische, davon
ein Geburtstag, um 14.45 Uhr wieder zwei neue Tische mit zwei Veganern.“
Die Kellner stehen stramm und zielen mit ihrem Blick auf die Frau vor
ihnen. Alejandra Flores trägt eine Rahmenbrille, die glatten Haare fallen
geradlinig um ihren Kopf. „Ich will eure Hände sehen“, sagt sie und
kontrolliert jeden der Kellner einzeln. „Du musst dringend zum Friseur“,
murmelt sie vor einem jungen Mann ohne ihren Blick von seinen Händen zu
lösen. Sie verschwendet keine Worte und wird von allen gehört, auch ohne zu
schreien. Alejandra Flores ist Jorge Vallejos Frau und leitet das
Quintonil.
Das Paar hat eine Liebes- und eine Erfolgsgeschichte. Beide beginnen im
Jahr 2007, als Alejandra Flores noch im Restaurant Pujol als
Geschäftsführerin für Enrique Olvera arbeitet. Es klopft an ihrer Bürotür
und vor ihr steht Jorge Vallejo, der sich um die Stelle des Cateringchefs
bewirbt. Er bekommt den Job und eine Verabredung mit Alejandra Flores
obendrein. Eine Woche später sind die beiden ein Paar, zwei Jahre später
verheiratet. „Die Liebe meines Lebens ist Koch“, sagt die junge Frau und
lächelt kurz, „ein eigenes Restaurant mit Jorge war die einzig logische
Konsequenz.“
## Produkte der Metropole
Regionalität ist Pflicht im Quintonil. Fast alle Produkte stammen aus der
Megametropole. „Viele Leute können nicht glauben, dass 60 Prozent des
Stadtgebiets landwirtschaftlich genutzt werden“, sagt Jorge Vallejo. Lokale
Produkte seien nicht nur günstiger und die Qualität leichter zu
garantieren, es gehe ihm vor allem darum, das eigene Umfeld zu
unterstützen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass kochen ein sozialer Motor
sein kann.“ Er wolle den Gästen nicht nur eine kulinarische Erfahrung
bescheren, sondern sie dazu einladen, anders zu essen.
Das Restaurant ist voll, doch im Speisesaal herrscht eine fast zeitlose
Ruhe. Messer schaben das letzte bisschen von den Tellern. Und immer wieder
ist da dieses selige Lächeln, das Jorge Vallejo schon als Teenager
fasziniert hat. Jorge Vallejos Kunst ist ein köstlicher Moment
Vergänglichkeit.
Ulises Juvera ist Restaurantmanager im Quintonil und von Anfang an dabei.
Seit das Quintonil auf der Pellegrino-Liste der besten Restaurants der Welt
steht, seien rund 90 Prozent ihrer Gäste Ausländer. Kulinarische Touristen,
die Monate im Voraus reservieren. „Das Quintonil ist für sie einer der
Orte, die man in Mexiko besucht haben muss.“
Ulises Juvera trägt das Lederbuch mit der Rechnung für den Tisch direkt am
Eingang fast feierlich an sein Ziel. Elizabeth und Brennan Veys kommen aus
Virginia. Es ist der erste Urlaub mit ihrer Tochter Annie. Sie wollten sich
beweisen, dass ein feiner Restaurantbesuch möglich ist – auch mit und für
ein Kleinkind. In zwei Stunden haben sie sich durch die elf Gerichte des
Probiermenüs gegessen. „Sie hat das Artischoken-Tamal geliebt“, sagt
Elizabeth Veys und streicht ihrer Tochter über den Kopf. „So moderne
mexikanische Küche bekommst du bei uns in den Staaten einfach nicht“, sagt
Brennan Veys und unterschreibt die Rechnung.
9 Apr 2017
## AUTOREN
Lisa Hagen
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