# taz.de -- Zielwert für Entwicklungshilfe: Deutschland rechnet sich hoch | |
> Die Ausgaben für Entwicklungshilfe sind auf 0,7 Prozent des | |
> Bruttonationaleinkommens gestiegen – auch dank der Flüchtlingskosten | |
> hierzulande. | |
Bild: Entwicklungsminister Gerd Müller in Äthiopien mit Flüchtlingen aus der… | |
Berlin taz | Hat ja auch nur fast 50 Jahre gedauert: Deutschland hat zum | |
ersten Mal die anerkannte Zielmarke für Entwicklungshilfe geknackt und 0,7 | |
Prozent des Bruttonationaleinkommens dafür ausgegeben. Insgesamt sind die | |
sogenannten ODA-Mittel (Official Development Assistance) Deutschlands nach | |
Angaben der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung | |
(OECD) im Jahr 2016 auf rund 25 Milliarden US-Dollar (23 Milliarden Euro) | |
gestiegen. Korrigiert um Inflation und Wechselkursschwankungen ist das eine | |
Steigerung von 36,1 Prozent. | |
Entwicklungsexperten und Hilfsorganisation kritisieren allerdings, dass | |
Deutschland sich seine Ausgaben schönrechne. Die Grünen-Fraktion im | |
Bundestag bezeichnete die deutsche ODA-Quote deshalb auch als | |
„Scheinriesen“ und sprach von einem „absurden Zustand“. | |
Das 0,7-Prozent-Ziel ist schon seit 1970 die anerkannte Messlatte für einen | |
fairen Beitrag in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Damals hatte | |
Deutschland eine UN-Resolution angenommen, nach der die Länder nach dieser | |
Zielmarke streben sollten. Über die Jahre hatte die Bundesregierung das | |
Ziel immer wieder bekräftigt. | |
Insgesamt sind die Ausgaben der 29 Geberländer im | |
OECD-Entwicklungsausschuss 2016 mit rund 143 Milliarden US-Dollar (rund 132 | |
Milliarden Euro) um 8,9 Prozent auf ein Rekordhoch gestiegen. Auf Platz | |
eins der Geldgeber stehen weiterhin die USA, gefolgt von Deutschland, | |
Großbritannien, Japan und Frankreich. Die 0,7-Prozent-Quote übertreffen nur | |
Dänemark, Schweden und Norwegen. Großbritannien liegt mit Deutschland bei | |
genau 0,7. | |
Diese Zahlen zeigten, dass Deutschland „seiner wachsenden internationalen | |
Verantwortung gerecht“ werde, erklärte Bundesentwicklungsminister Gerd | |
Müller (CSU) am Dienstag. Er hatte im März versprochen, dass die 0,7 | |
Prozent bis 2020 zustande kämen. Nun geht es zwar schneller. Aber auch | |
Müller weiß, dass die Quote keine reine Jubelmeldung ist – denn ein | |
wesentlicher Teil der Mittel besteht aus Geldern, die innerhalb | |
Deutschlands etwa für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen | |
eingesetzt werden. | |
## „Aufgeblasenen Hilfe“ | |
Diese Ausgaben machen immerhin rund 25 Prozent der gesamten deutschen | |
ODA-Mittel aus. Ohne sie stünde Deutschland mit einer Quote von 0,52 | |
Prozent deutlich schlechter da. „Auch ohne Flüchtlingszahlen, wie wir sie | |
jetzt in Deutschland zu bewältigen haben, müssen wir das 0,7-Prozent-Ziel | |
auf absehbare Zeit erreichen“, kommentierte der Entwicklungsminister. | |
„Phantomhilfe“ oder auch „Inflated aid“, übersetzt etwa „aufgeblasene | |
Hilfe“, nennen Nichtregierungsorganisationen diese Art der Rechnung. Die | |
Regeln der OECD gestatten den Industrieländern zwar, bestimmte | |
Flüchtlingskosten im Inland mitzuzählen, und auch andere Staaten wie etwa | |
Schweden profitieren bei ihrer Berechnung davon. Trotzdem steht diese | |
Praxis immer wieder in der Kritik – schließlich werden die Mittel nicht in | |
den Entwicklungsländern ausgegeben. | |
Deutschland werde „zum größten Empfänger seiner eigenen | |
Entwicklungsausgaben“, bemängelt etwa Renate Bähr, Geschäftsführerin der | |
Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW). „Gerade nach der Ankündigung der | |
USA, die Mittel für internationale Familienplanung deutlich zu kürzen, | |
sollte Deutschland mehr in diesen Bereich investieren“, sagt Bähr. Die USA | |
hatten kürzlich die Zahlungen für den UN-Bevölkerungsfonds gestrichen. | |
Man könne mit der deutschen Quote nicht zufrieden sein, sagte Niema | |
Movassat, Entwicklungsexperte der Linken, der taz: „Der Inhalt ist halt | |
getrickst.“ Das Geld komme schließlich nicht wirklich in den Ländern des | |
globalen Südens an. Auch der entwicklungspolitische Sprecher der | |
Grünen-Fraktion, Uwe Kekeritz, und seine Parteikollegin aus dem | |
Haushaltsausschuss, Anja Hajduk, lehnten die Anrechnung der | |
Flüchtlingskosten ab. | |
Eine Sprecherin des Bundesentwicklungsministeriums wies gegenüber der taz | |
darauf hin, dass Deutschland die Flüchtlingskosten gemäß den OECD-Regeln | |
melde – und dabei mit den angerechneten Kosten pro Flüchtling im Mittelfeld | |
liege. „Somit werden bei Weitem nicht alle in Zusammenhang mit Flüchtlingen | |
entstehenden Kosten als ODA gemeldet.“ | |
„Meine Sorge ist, dass sich eine Selbstzufriedenheit einstellt“, und | |
dringend benötigte Gelder nicht aufgebracht würden, sagte Movassat. | |
Tatsächlich sind es vor allem die ärmsten Länder, die nicht vom generellen | |
Anstieg der Entwicklungshilfe profitieren konnten: Die OECD-Daten von 2016 | |
zeigen, dass die bilateralen Zahlungen für die am wenigsten entwickelten | |
Länder, also die Zahlungen von einem Staat an einen anderen, im Vergleich | |
zum Vorjahr sogar um 3,9 Prozent gefallen sind. | |
11 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Eva Oer | |
## TAGS | |
Entwicklungshilfe | |
OECD | |
Gerd Müller | |
Entwicklungspolitik | |
Entwicklungshilfe | |
Uganda | |
OECD | |
Ostafrika | |
Entwicklungszusammenarbeit | |
Boko Haram | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bilanz zur Entwicklungspolitik: Mehr Geld, mehr Jobs – mehr Show | |
Im entwicklungspolitischen Bericht zieht Minister Gerd Müller Bilanz. | |
Kritiker ärgern sich über seine „Selbstinszenierung“. | |
0,7-Prozent-Ziel für Entwicklungshilfe: Genug reicht nicht | |
Deutschland schafft es nach fast 50 Jahren, 0,7 Prozent seines | |
Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben. Ist das Ziel | |
noch zeitgemäß? | |
Kommentar Kampf um die Binde: Was Afrikas junge Generation braucht | |
Beim Kampf um die Binde für Schulmädchen in Uganda geht es auch um | |
Mädchenbildung und geschlechtergerechte Bildungschancen. | |
Kommentar Entwicklungshilfe: Schönrechnen können wir | |
Nach den OECD-Zahlen erreicht Deutschland das lang gesetzte Ziel für | |
Entwicklungshilfeausgaben. Ganz ohne Mogelei läuft das aber nicht. | |
Entwicklungshilfe für Ostafrika: Die Frage nach dem fairen Anteil | |
Deutschland zahlt weitere Millionen für dürregeplagte Länder. Doch gibt die | |
Regierung genug für die akuten Hungerkrisen? Die Opposition sagt nein. | |
Bundesregierung und Krisen in Afrika: Mit Panzern gegen den Hunger | |
Die Bundesregierung will Militäreinsätze und Entwicklungshilfe in Afrika | |
enger verbinden. Das ist das Ergebnis einer Konferenz. | |
Entwicklungshilfe für Nigeria: „Wer hat das Geld bekommen?“ | |
Nigeria erhält reichlich humanitäre Hilfe für die Opfer des | |
Boko-Haram-Kriegs. Eine lokale NGO verfolgt nun, ob das Geld auch ankommt. |