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# taz.de -- Berliner Volksbühne: Haben die 'n Rad ab?
> Mit dem Ende der Ära Castorf soll auch die berühmte Rad-Skulptur vor der
> Volksbühne verschwinden. Ist das eine überzogene Trotzreaktion?
Bild: Bald isses weg, das Wahrzeichen des Rosa-Luxemburg-Platzes in Mitte
PRO
Ja, ohne jeden Zweifel. Natürlich kann man geteilter Meinung sein über das,
was der künftige Intendant Chris Dercon aus der Volksbühne machen will und
wird. Aber das Rad wegzunehmen, das geht gar nicht. Das Rad ist nämlich
nicht bloß Markenzeichen des Theaters: Es ist längst ein kiezprägendes
Element geworden. Es hat für den Schreiber dieser Zeilen den Platz vor dem
Theater zu einem Ort gemacht, um den man wegen seiner Besonderheit noch mal
extra mit dem Rad kurvt. Da ist es völlig egal, ob man
Castorf-Inszenierungen mag oder, wie in diesem Fall, eindeutig nicht.
Oberflächlich? Banal? Ja, gerne. Wenn sich schon vieles ändert und den Bach
runtergeht – wenigstens das Rad, dieser lustige, einfach mal so
dahingemalte Kopffüßler, soll da bleiben, wo es, wo er ist.
Rein juristisch scheint die Skulptur im Eigentum desjenigen zu sein, der
sie mal aufgestellt hat. Es ist aber den Versuch wert, gerichtlich
abzuklopfen, ob es nicht so etwas wie ein Gewohnheitsrecht gibt – Eigentum
verpflichtet, heißt es doch. Ob hier nicht auch im weiteren Sinne
Veränderungssperre, Milieu- und Denkmalschutz gelten. Ob solche Skulpturen,
die ein ganzes Stadtbild dermaßen geprägt haben, nicht nur gefühlt, sondern
auch rechtlich vergesellschaftet sind und nicht mehr nur einem allein
gehören. Warum sollte es vor diesem Hintergrund nicht möglich sein, den
Aufsteller gegen Entschädigung zu enteignen?
Wie geht die Geschichte andernfalls weiter? Baut die Belegschaft des
Theaters am Schiffbauerdamm den weithin sichtbaren Ring mit der „Berliner
Ensemble“-Leuchtschrift auf dem Dach ab, wenn wie Castorf dort Claus
Peymann geht und nach sich die Sintflut wähnt?
Der Kopffüßler vor der Volksbühne ist viel mehr als Ausdruck einer
Auffassung von Theater. Er ist selbst Kulturgut – und kulturvergessen wäre
es nicht nur, ihn abzubauen, sondern in gleicher Weise zuzulassen, dass das
passiert. „Müller, übernehmen Sie“, hat die taz Berlin am Mittwoch zum
Thema Tegel Richtung Regierungschef getitelt – heute geht der Aufruf an den
Kultursenator: „Lederer, übernehmen Sie!“ (Stefan Alberti)
CONTRA
Manchmal ist es ja so: Erst wenn einem etwas fehlt, merkt man, was man
daran hatte. Nur ist es dann in den meisten Fällen zu spät. Vorbei die
Möglichkeit, selbst noch Einfluss zu nehmen auf die Entscheidung. Oder, um
bei der Volksbühne und dem Räuberrad zu bleiben, mitzumischen in der seit
Monaten anhaltenden und aufgeregten Intendantendebatte Dercon versus
Castorf und die Frage: Was ist die Volksbühne eigentlich, und was ist, wenn
sie nicht mehr ist in der bisherigen Form?
Wer dagegen nicht sentimental ist und nicht nur das liebgewonnene und
allgegenwärtige Volksbühnensymbol sieht, sondern auch die Motive von Rainer
Haußmann, sein 1994 geschaffenes „Laufendes Rad“ zu entfernen, wird
unweigerlich zustimmen müssen: Das Rad muss weg. Und das gleich aus drei
Gründen.
Erstens, weil es der Künstler so will, und der hat das Autorenrecht.
Zweitens, weil es das Ensemble so will (und der Kultursenator wohl auch),
weil es nach wie vor keinen Frieden schließen will mit der neuen Intendanz.
Drittens auch, weil nur das „abbe Rad“ als Leerstelle im Stadtraum auch die
Leerstelle Volksbühne zu symbolisieren vermag.
Aber selbst wenn man nicht der Volksbühnenfamilie angehört und die
Entscheidung des damaligen Kultursenators Michael Müller (SPD) gegen
Castorf und für Dercon nachvollziehen kann, ist eine Volksbühne ohne
Räuberrad die richtige, weil konsequente Entscheidung. Denn der
Intendantenwechsel ist eine Zäsur, und diese muss für alle sichtbar sein.
Alles andere wäre eine Nebelkerze. Hier ein bisschen Wechsel, dort ein
bisschen Kontinuität. Wischiwaschi der billigsten Sorte.
Aber das Stadtbild ist keine Wohlfühlveranstaltung. Würde ja auch keiner
auf die Idee kommen, am neuen Suhrkamp-Gebäude ein Wandbild des Kiosks
anzubringen, der dem Bauvorhaben weichen musste.
Und wohin kommt das Räuberrad nun? Rainer Haußmann ist um die Antwort
darauf nicht zu beneiden. Denn jeder neue Standort wäre schon ein Statement
und muss den Volksbühnenvergleich fürchten. Also am besten ins Museum. Oder
auf den Friedhof. (Uwe Rada)
23 Mar 2017
## AUTOREN
Stefan Alberti
Uwe Rada
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