# taz.de -- Museumsgründer über Polens Erinnerung: „Was haben sie angericht… | |
> Der Zweite Weltkrieg werde „zu negativ“ und „zu wenig patriotisch“ | |
> dargestellt. Das wirft die polnische Regierung Paweł Machcewicz vor. | |
Bild: Was dieser Panzer angerichtet hat, dokumentiert das neue Museum des Zweit… | |
taz: Herr Machcewicz, was werfen die Kritiker Ihrem Museum vor? | |
Paweł Machcewicz: Auf der ideologischen Ebene sind es vor allem zwei | |
Vorwürfe: Angeblich würden die Kriegserfahrungen anderer Nationen die | |
spezifisch polnischen Erfahrungen relativieren. Außerdem würden wir ein zu | |
negatives Bild des Krieges zeigen. Der Krieg könne auch den Charakter | |
stählen. Das sei positiv. | |
Was antworten Sie darauf? | |
Dass erst ein Vergleich es ermöglicht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in | |
der deutschen Besatzung von Frankreich, Dänemark und Polen zu erkennen. | |
Wenn wir wollen, dass die Geschichte Polens auch von Ausländern verstanden | |
wird, müssen wir unsere Geschichte in die Europas und der Welt einbetten. | |
Der Zweite Weltkrieg lässt sich nicht aus einer rein polnischen Perspektive | |
zeigen. | |
War nicht auch für Polen „Nie wieder Krieg“ die Lehre aus Besatzung, Krieg | |
und Terror? | |
Angeblich, so behaupten unsere Kritiker, sei dies eine kommunistische | |
Parole. In Wirklichkeit hat sie einen zutiefst christlichen Ursprung. Als | |
Papst Johannes Paul II. auf der Westerplatte hier in Danzig war, band er | |
die Losung „Nie wieder Krieg“ auch in seine Predigt ein. | |
Ändern die Kritiker ihre Meinung, wenn sie die Ausstellung gesehen haben? | |
Tatsächlich besichtigte einer unserer Hauptkritiker das Museum am Tag der | |
offenen Tür. Er lobte den Teil, in dem wir das Leiden in den | |
Konzentrationslagern zeigen, als sehr berührend. Doch insgesamt sei das | |
Museum zu wenig militärisch. Der Ruhm der polnischen Armee komme zu kurz. | |
Die polnischen Piloten, die England verteidigt hätten, würden nicht stark | |
genug hervorgehoben. Ebenso die ruhmreiche Schlacht bei Monte Cassino. In | |
Wirklichkeit zeigen wir das alles. Aber wir wollen ja kein Militärmuseum | |
sein, sondern ein Museum des Zweiten Weltkriegs. Wir zeigen den Krieg aus | |
der Perspektive der Zivilbevölkerung. | |
Gibt es nicht längst ein Armeemuseum in Polen? | |
Ja, natürlich. Das Warschauer Armeemuseum wird demnächst in die ehemalige | |
Zitadelle umziehen und erheblich vergrößert. Aber auch wir zeigen alle | |
wichtigen Schlachten, das Flächenbombardement der Städte – erst der | |
polnischen 1939, später auch der anderen bis hin zum Atombombenabwurf über | |
Hiroshima. Wir zeigen eine deutsche Stuka, den amerikanischen Panzer | |
Sherman und einen sowjetischen in einer nicht näher bezeichneten zerstörten | |
Stadt. Bei allem interessiert uns aber: Was haben diese Waffen angerichtet? | |
Was ist neu an diesem Museum im Vergleich zu anderen Kriegsmuseen in der | |
Welt? | |
Die meisten Kriegsmuseen entstanden in der Zeit des Kalten Krieges. In den | |
westlichen Staaten wurden die Kriegserfahrungen der Menschen hinter dem | |
Eisernen Vorhang kaum bis gar nicht thematisiert. Unser Museum versucht nun | |
erstmals, vom Kriegsbeginn in Polen aus, den gesamten Zweiten Weltkrieg so | |
umfassend wie möglich darzustellen. Kein anderes Land war so lange besetzt | |
wie Polen, zunächst vom Deutschen Reich und der Sowjetunion gemeinsam. Hier | |
hat es den ersten Terror gegen die Zivilgesellschaft gegeben. Der deutsche | |
Rassen- und Vernichtungskrieg begann schon in Polen, nicht erst in der | |
Sowjetunion 1941. Das wollen wir insbesondere auch den ausländischen | |
Besuchern zeigen. | |
Wie soll es nun weitergehen? | |
Das ist völlig offen. Wir haben keine Planungssicherheit. Am 5. April | |
erwarten wir ein weiteres Gerichtsurteil, das entweder unsere | |
Unabhängigkeit als eigenständiges Museum bestätigt oder aber dem | |
Kulturminister Recht gibt, der unser Museum mit einem nur auf dem Papier | |
existierenden Westerplatte-Museum zusammenlegen will. | |
Was geschieht, wenn Sie verlieren? | |
Dann muss das Museum des Zweiten Weltkriegs womöglich sein Pforten wieder | |
schließen, und unsere bisherigen Kritiker werden hier die Regie übernehmen. | |
Oder wir gewinnen den Prozess. Dann beginnt der Kampf ums Budget. In jedem | |
Fall: Es wird nicht einfacher. Aber unser größter Erfolg ist, dass wir | |
trotz aller Hindernisse nun das Museum so eröffnen können, wie wir es | |
geplant haben. | |
22 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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