| # taz.de -- Comic-Band zum Musée d'Orsay: Schlangen beschwören im Museum | |
| > Neue und alte Meister: Manuele Fior führt in seinen „d’Orsay-Variationen… | |
| > durch das Pariser Museum – allerdings nicht fehlerfrei. | |
| Bild: Szene aus dem Band „d'Orsay-Variationen“ von Manuele Fior | |
| Die dunkelhäutige Flötenspielerin verschmilzt fast mit dem angrenzenden | |
| dunkelgrünen Dschungel. Mehrere Schlangen winden sich um sie herum, eine | |
| größere nähert sich aus dem Dickicht, während das leuchtend gelbe | |
| Schilfgras einen magischen Kontrast bildet. | |
| Auch heute noch geht von Henri Rousseaus Gemälde „Die | |
| Schlangenbeschwörerin“ von 1907 eine verrätselte, erotische Faszination | |
| aus. Diese macht sich der Comiczeichner Manuele Fior zunutze, indem er | |
| dessen oft als exotische Eva interpretiertes Motiv in seiner neuen Graphic | |
| Novel „d’Orsay-Variationen“ zur zentralen Figur seiner neuen Graphic Novel | |
| macht. | |
| Der 1975 geborene Italiener, der sich in seinen Werken, etwa der | |
| Literaturadaption „Fräulein Else“ nach Arthur Schnitzler (2009) oder der | |
| subtilen Science-Fiction-Parabel „Die Übertragung“ (2013), mit sehr | |
| unterschiedlichen Themen beschäftigt und durch seinen experimentellen, | |
| malerischen Stil auffiel, wurde vom Pariser Musée d’Orsay damit beauftragt, | |
| einen Comic zu zeichnen, der die Geschichte des Museums und dessen Sammlung | |
| behandelt. Das Museum versammelt seit seiner Eröffnung 1986 vor allem | |
| französische Kunst, die 1848 bis 1914 entstanden ist. | |
| Manuele Fior findet einen interessanten Erzählansatz, in dem verschiedene | |
| Zeitebenen fließend ineinander übergehen. Zwei junge Freundinnen treffen | |
| sich im Jahr 1900 am neuen Gare d’Orsay, einem Jugendstil-Bahnhof, der | |
| pünktlich zur Weltausstellung fertiggestellt wurde. Wenige Bilder später – | |
| die Stimmen der Frauen überlagern noch die Bilder – sind wir im heutigen, | |
| frisch modernisierten Museum, das von Besuchern frequentiert wird, die | |
| Ausstellungsstücke betrachten und den Bildbeschreibungen der Audioguides | |
| lauschen. | |
| Eine namenlose, ältere Museumswärterin wird fokussiert, deren | |
| Gedankenstimme spricht. Sie ist nicht nur müde und genervt von manchen | |
| Besuchern, sondern auch von der „Kunst“, die sie in Frage stellt. Fast | |
| unmerklich findet eine Metamorphose statt, und sie verwandelt sich in die | |
| „Wächterin“ der Kunstwerke, die zugleich jene Schlangenbeschwörerin Henri | |
| Rousseaus ist, unter deren Rahmen die Museumsangestellte Platz genommen | |
| hat. Diese Erzählerin führt uns weiter zum Kern der Geschichte, ins Jahr | |
| 1874 und zum Maler Edgar Degas (1834–1917). Dieser stattet erst seinem | |
| Vorbild, dem klassizistischen Maler Jean-Auguste-Dominique Ingres einen | |
| Besuch ab, bevor er ein Café aufsucht, in dem er seine Mitstreiter trifft | |
| (u. a. Camille Pissarro, Claude Renoir, Berthe Morisot), mit denen zusammen | |
| er die erste Impressionistenausstellung organisiert. | |
| ## Fior kreiert Zauber trotz Ungenauigkeiten | |
| Leider sind Manuele Fior hierbei einige Fehler unterlaufen: 1874 war Ingres | |
| bereits Jahre tot, Degas traf ihn nur einmal im Jahr 1855. In der Graphic | |
| Novel gibt sich die Künstlergruppe den Namen „die Unbeugsamen“, aber in | |
| Wahrheit ist das ein damals von Kunstkritikern kreierter, negativ besetzter | |
| Name, der auf eine (verpönte) spanische politische Gruppierung verwies. Die | |
| Freunde nannten sich zunächst nur „anonyme Gesellschaft von Künstlern“. S… | |
| verfolgten noch kein ausformuliertes ästhetisches Programm, sondern wollten | |
| sich mittels gemeinsamer Ausstellungen vom jährlich stattfindenden „Salon“ | |
| der arrivierten Künstler abheben, der ihre moderne Kunst nicht | |
| berücksichtigte. | |
| Die Eröffnung dieser historischen 1. Impressionistenausstellung am 15. | |
| April 1874 im Haus des Fotografen Nadar war auch kein derart großer Affront | |
| gegen die damals etablierte Kunst, dass es zu Keilereien kam, wie Fior es | |
| ausschmückt, jedoch wehte durch die zahlreichen ästhetischen Neuerungen ein | |
| frischer Wind in die Kunstszene. Es gab viele gute Kritiken, und nach | |
| einigen Jahren setzte sich die Malerei unter freiem Himmel und ihr | |
| skizzenhaft-flüchtiger, Stimmungen wiedergebender Malstil durch. | |
| Trotz mancher Ungenauigkeiten gelingt es Fior, durch seine von Rousseau, | |
| Degas und anderen Malern inspirierten, traumhaft schönen Zeichnungen und | |
| nicht zuletzt durch seine surrealen Erzähleinfälle den Zauber von einst | |
| bahnbrechenden Kunstwerken wiederzuerwecken und dem Leser so ihre zeitlose | |
| Modernität in Erinnerung zu rufen. | |
| 4 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
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