Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neubau in der Berliner Torstraße: Mit oder ohne Würstelbude
> Der traditionsreiche Suhrkamp Verlag lässt in Berlin-Mitte ein neues
> Verlagsgebäude bauen. Auf einer der letzten Brachen nahe der Volksbühne.
Bild: Das freie Grundstück, der Kiosk steht auch nicht mehr. Gegenüber das er…
Als vor einigen Wochen ein Bauzaun an der Berliner Torstraße aufgestellt
wurde, da verschwand eine letzte jener kriegsbedingten Leerflächen in
Ostberlin, die zu DDR-Zeiten nie geschlossen wurden und die über die
Jahrzehnte so beständig in das Stadtbild gewachsen waren, dass man ihnen
schon eine eigene städtebauliche Größe zusprach.
„Wo nichts ist, ist alles möglich“, hatte der niederländische
Avantgarde-Architekturstar Rem Koolhaas die Leere Berlins in den
Neunzigern poetisch beschworen. Auf dieser Fläche gab es bis vor Kurzem
noch einen informellen Park mit wilden Linden, gut besuchtem
Container-Kiosk samt Dönerbude.
Trotz Verdichtung und steinerner Rekonstruktion des historischen
Stadtgrundrisses, die in den letzten Dekaden das ästhetische Leitbild für
das wiedervereinte Berlin waren, konnte sich dieses Stück Freifläche im
Zentrum halten. Doch schon seit Jahren stand fest, dass dieses Grundstück
bebaut werden soll. Ab 2019 wird der Suhrkamp Verlag dort in einen
markanten Eckbau aus Aluminium und Beton einziehen.
Die Geschichte vom neuen Suhrkamp-Verlagssitz an der Torstraße beginnt bei
einem gesellschaftlichen Anlass im Jahr 2011, wo sich Jonathan Landgrebe,
damals noch Geschäftsführer beim Suhrkamp Verlag, und Birgit
Steenholdt-Schütt begegneten. Steenholdt-Schütt, Juristin und
Geschäftsführerin der etablierten Hamburger Hachmann Immobilien-Verwaltung,
steht auch der IBAU AG vor, der heutigen Weiterführung der einstigen
Industrie-Baugesellschaft Centrum am Bülowplatz AG aus den zwanziger
Jahren. Sie war auf der Suche nach einem geeigneten Bauherren für das
Gelände. Landgrebe und Steenholdt-Schütt konnten sich verständigen: Mit der
finanziellen Zusicherung der IBAU wird sich der Verlag langfristig an der
Torstraße ansiedeln.
## Hans Poelzig plant
Um die Geschichte des kommenden Gebäudes zu erzählen, kann man aber auch
mit einem großen städtebaulichen Wettbewerb der zwanziger Jahre beginnen.
Damals, 1927, trat der Architekt und Vertreter der Moderne Hans Poelzig auf
den Plan.
Als Gewinner der Competition überzog Poelzig das gesamte Areal, das rund um
den damaligen Bülowplatz zu einem unkontrollierbaren Slum mit Migranten,
Gaunern und Randgestalten herangewachsen war, mit einer beinahe barocken
Planung: Im Zentrum lag die 1914 mit Arbeiterpfennigen finanzierte
Volksbühne von Oskar Kaufmann, an deren Vorplatz sich eine Hauptachse
spaltet und ein dreieckig ausstrahlendes Gelände bis zur Torstraße
formuliert.
Poelzig bebaute selbst die seinerzeit so typisch schwungvollen Ecken um die
Volksbühne, darunter das Kino Babylon. Und er inszenierte mit pavillonartig
ausgreifenden Eckbauten den Übergang vom Platz zur Torstraße. Dazu gehörte
auch ein Bau, der im Krieg zerstört und seitdem eine Leerstelle
hinterlassen hat: der Vorgänger des baldigen Suhrkamp-Sitzes. Die besagte
IBAU AG trat ebenfalls 1927 zum ersten Mal auf, sie war Verwalterin des
Geländes.
Für den Architekten des zukünftigen Suhrkamp-Hauses, Roger Bundschuh, fängt
die Geschichte in den nuller Jahren mit einer Würstelbude an. Gemeinsam mit
der Künstlerin Cosima von Bonin wollte er im Auftrag des Kunstvereins am
Rosa-Luxemburg-Platz eine andere Leerfläche gegenüber dem zukünftigen
Suhrkamp-Bau mit der Replik eines Imbisscontainers humorvoll banalisieren,
sie zum Standort des Gewöhnlichen machen. Jedoch erwuchs aus der
anberaumten Würstelbude von 2006 bis 2010 ein eher ungewöhnliches
Eckgebäude. Entworfen hat es Bundschuh selbst.
Denn einmal in die Bespielung des Geländes involviert, wurde dem
Architekten schnell klar, dass dieses kleine Stück Leere im Stadtbild eine
schlummernde Bebauungsfläche war. Und mit dem Wiederauftritt der IBAU AG in
Berlin 1997 war ein Grundstückseigentümer im Spiel, der offenbar nicht nur
die Poelzig-Planung aus den Zwanzigern fortführen wollte, sondern auch ein
Interesse an deren kühner, zeitgenössischer Umsetzung hatte.
## Kein Wettbewerb, keine öffentliche Ausschreibung
Heute zeichnet ein für Berlin ungewöhnlich expressiver Bau aus granitgrauem
Beton mit spitz zulaufenden Konturen die Linien eines Grundstücks nach, die
einst von Hans Poelzig städtebaulich gezogen wurden.
Von seinem nur wenige Meter entferntem Büro aus, in der anliegenden
Rosa-Luxemburg-Straße, kann Bundschuh täglich auf seine eigene Hommage an
den Poelzig-Städtebau schauen, die allgemein L40 (für Linienstraße 40)
benannt wird. Sie spielt in der Geschichte um den Suhrkamp-Bau zwar nur
eine Nebenrolle, ist aber nicht unbedeutend.
Denn mit der L40 war Bundschuh in das Netz der vielen Akteure um den noch
gar nicht geplanten Suhrkamp-Neubau bereits verstrickt: Er hatte schon eng
mit dem Bezirk Mitte gearbeitet, kannte das Stadtplanungsamt, das einen
erheblichen Einfluss auch auf den Suhrkamp-Entwurf haben wird, und war mit
der IBAU vertraut. Er hatte sich mit den Poelzig-Planungen für das
Grundstück befasst, das seit Jahren von wilden Linden bewachsen und mit dem
an Wochenendnächten gut besuchten Kiosk sowie der benachbarten Dönerbude zu
einem beliebten informellen Park geworden war.
Als Jonathan Landgrebe und Birgit Steenholdt-Schütt sich an jenem Abend
2011 kennenlernten, stand bereits fest, dass Bundschuh das freie Gelände an
der Torstraße bespielen würde. Es gab keinen Wettbewerb, keine öffentliche
Ausschreibung, wie sonst üblich bei solch einem Bauvorhaben. Und so kam der
prominente Suhrkamp Verlag ins Rennen um einen Bau, der sich mit Galerien,
dem Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz oder dem Verlagssitz der Jungen
Welt in ein Kulturensemble rund um die Volksbühne einreiht. Eine
Ansiedlung, die die IBAU bewusst betrieben hat.
## Skulptur und Gebrauchsgegenstand
Mit zwei von ihm selbst entworfenen Bauten schließt Bundschuh nun die
Anlage um den einstigen Bülowplatz und bringt sie wieder in die harmonische
Form von 1927. Eine Herausforderung wohl für jeden Architekten, während des
Entwurfs des einen Gebäudes stets das eigene Werk als Gegenüber zu haben.
Bundschuh inszeniert die nun entstehende Toreinfahrt zum
Rosa-Luxemburg-Platz als Streitgespräch zwischen zwei Architekturen. Der
provokativ spitzen L40 mit scharfen Glaseinschnitten wird Bundschuh einen
breiten siebenstöckigen Riegel mit geordneter Rasterfassade
entgegenstellen.
Der eine Baukörper ist mehr Skulptur, der andere architektonischer
Gebrauchsgegenstand. Der granitgraue Beton der L 40 blickt in Zukunft auf
eine glatte Aluminiumverkleidung des Suhrkamp-Baus. Das Aluminium soll
verdeutlichen, dass hinter ihm Büros des Verlags liegen.
Das ist nicht die einzige Stelle, an der Bundschuh seinen Materialien
sprechende Eigenschaften zuordnet. Am Sockel des zukünftigen Suhrkamp-Baus,
wo die Tätigkeit des Verlags ausklingt und der öffentliche Raum beginnt,
wird das glatte Aluminium vom Beton abgelöst.
## Eine städtebauliche Figur
Roh und unbelassen soll der Baustoff dort sein, so unbehandelt wie nahbar.
Dieser Beton zieht sich entlang der Torstraße und an der in der Fassade
eingelassenen Bushaltestelle. Der Beton markiert, gemeinsam mit Glas, auch
die Stellen, an denen sich der Baukörper zur Öffentlichkeit wendet, wenn
etwa der Sockel auf Straßenebene ins Innere rückt und mit einer überdachten
Fläche den öffentlichen Raum erweitert, oder wenn sich eine ganze Passage
zwischen Torstraße und Rosa-Luxemburg-Platz durch das Gebäude zieht.
Das neue Suhrkamp-Gebäude ist auch eine städtebauliche Figur. In ihr
bündeln sich die vielen stadtplanerischen Diskussionen über Berlin seit der
Wende, die Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses und die Debatte
um die Ostberliner Leere.
Gemeinsam mit dem Stadtplanungsamt Mitte entwarf Bundschuh einen Bau, der
die Torstraße schließt und ihr die Axialität wiedergibt. Gleichsam öffnet
er das Gebäude zum Rosa-Luxemburg-Platz. Anstatt ihn zu kaschieren legt er
einen sonst im Berliner Stadtbild so verschlossenen Innenhof des
Nachbargebäudes frei.
Vor allem aber legt Bundschuh entgegen der Poelzig-Planung wieder eine
Grünfläche an und holt ein wenig von der einstigen Leere Ostberlins ins
Stadtbild zurück, dieser einstigen Freiflächen, die sich Anwohner und
Kleingewerbe über Jahrzehnte in Ostberlin angeeignet haben und die
mittlerweile so rar geworden sind.
Es werden zwar keine wilden Linden mehr auf diesem kleinen Park stehen,
sondern neu gepflanzte. Auch eine Würstelbude ist eingeplant (oder ein
Späti), die sich in der zukünftigen Passage zwischen Torstraße und neuem
Park einmieten kann – ein Stück Informalität in Beton gegossen.
3 Apr 2017
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Architektur
Ostberlin
Suhrkamp Verlag
Architektur
Russland
Schinkel
Centre Pompidou
## ARTIKEL ZUM THEMA
Architektur und Migration: 3,5 Quadratmeter Deutschland
Ein Handbuch für Flüchtlingsbauten zieht auch eine Bilanz nach zwei Jahren
Veränderung in Deutschland. Es wurde in München vorgestellt.
Russlands ungeliebte Moderne: Von der Ikone zur Ruine
Einst die radikalste Umsetzung modernen Wohnes, heute eine Ruine: Das
Moskauer Narkomfin-Gebäude steht für das Schicksal der russischen Moderne.
Wiederaufbau der Bauakademie in Berlin: Schinkel soll Schinkel bleiben
Uneins in der Frage, wie sie genutzt werden soll – einig in der Frage der
äußeren Form: eine Diskussion mit Bausenatorin zur Gestaltung der
Bauakademie.
40 Jahre Centre Pompidou in Paris: Beaubourg, mon amour
Kein anderes Bauwerk wurde mehr gehasst. Kaum ein Kunsttempel wird heute
mehr geliebt. Ein Blick zurück in die Geschichte des Museums.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.